Erschöpfung in beiden Welten

Die türkis-grüne Regierung geht in ihr letztes Arbeitsjahr. Vor allem für die Grünen geht es nun darum, zu erklären, wofür ihre Regierungsbeteiligung gut war.

von Renate Kromp © Bild: Ian Ehm/News

Der 2. Jänner 2020. In die Aula der Wissenschaften in Wien war als Berichterstatter geeilt, wer nicht gerade auf Weihnachtsurlaub war. Sebastian Kurz wurde neben Werner Kogler klar, dass sein Redeanteil bei Auftritten mit dem Meister des Schachtelsatzes immer der kleinere sein würde. Die neuen Koalitionspartner wussten noch nicht, dass sie bald nur mehr über Corona reden würden, Politstar Kurz nicht, dass ihm Kogler in nicht einmal zwei Jahren den Rücktritt nahelegen würde. "Das Beste aus beiden Welten" vereine sich hier - so hatten sich die Message Controller das ausgedacht. Kaum einer der Anwesenden hat an diesem Tag gedacht, dass es diese Regierung ungleicher Partner bis zum Ende der Legislaturperiode schaffen würde. September 2023, die Parlamentssaison beginnt, die Regierung stolpert in ihr letztes Arbeitsjahr. Die Aufbruchstimmung von damals ist kaum mehr als eine ferne Erinnerung. Nicht einmal Erleichterung ist spürbar, dass man es bald überstanden hat. Die Grünen nennen die türkise Staatssekretärin Claudia Plakolm "ignorant", Plakolm wirft der grünen Justizministerin Alma Zadic Säumigkeit vor. Der ÖVP-Wirtschaftssprecher wundert sich, dass die grüne Infrastrukturministerin Leonore Gewessler beim Energiebonus 2 für Unternehmen blockiere. Womöglich will sie mit der ÖVP in den Verhandlungen etwas abtauschen? Ein Klimaschutzgesetz beispielsweise, denn das gibt es noch immer nicht, weil die ÖVP sich ziert. Man nervt sich gegenseitig mit Streitereien über Postenbesetzungen, bisweilen ringt man sich noch zu Kompromissen durch. Erschöpfung in beiden Welten. Für die Grünen stellt sich langsam die Frage: Hat es sich wenigstens ausgezahlt? Sie liegen in jüngsten Umfragen unter zehn Prozent. Träte diese Prognose am Wahltag ein, hätten sie ein Drittel ihres Wähleranteils von 2019 verloren. Allerdings sagt der Politikwissenschaftler Peter Filzmaier: "Selbst bei bestmöglicher Durchführung hat eine Sonntagsfrage ein Jahr vor der Wahl einen ähnlichen Wert wie die Frage: 'Haben Sie vor, sich in einem Jahr zu verlieben und, wenn ja, in wen?' Beides wird durch emotionale und damit nicht kalkulierbare Momente mitbestimmt."

»Die Aufbruchstimmung von damals ist kaum mehr als eine ferne Erinnerung«

Bei Grün-Wählerinnen und -Wählern geht es oft um Emotion - und Enttäuschung. Die Erwartungen in die Partei waren hoch, gerade so, als könnten fünf Regierungsjahre den Klimawandel bremsen. Die moralische Fallhöhe war ebenso beträchtlich: Die Ambitionen der Grünen etwa bei gleichen Menschenrechten für alle kollidierten schnell mit der harten Linie der ÖVP gegen Zuwanderer. Und: Pragmatismus in diesem Bereich versteht der Grün-Wähler nicht. "Unverzeihlich", las und hörte man oft.

Andererseits: Die Grünen haben seit 2019 nur bei zwei Wahlen Verluste erlitten, haben 2024 aber bei insgesamt vier Wahlen reichlich Gelegenheit dazu. Haben sie genug vorzuweisen? Unbestritten das Klimaticket, wichtige Gesetze für den ökologischen Umbau des Landes, den Klimabonus (der allerdings mit der ungeliebten, aber notwendigen CO₂-Steuer einhergeht), aber auch Erfolge im Sozialbereich wie die Indexierung von Beihilfen. "Nicht das Erreichte zählt, sondern das Erzählte reicht", kalauert Werner Kogler gerne in Richtung politischer Konkurrenz. Die Grünen müssen nun beweisen, dass es bei ihnen anders ist.

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