Warum in Salzburg die Zeit plötzlich drängt

Aus Angst vor dem drohenden KP-Bürgermeister muss die Führungsfrage der Salzburger Festspiele binnen Wochen entschieden werden. Es gibt übrigens einen Amtsinhaber. Und der ist gut so

von Heinz Sichrovsky © Bild: NEWS

Wäre das Ansinnen demokratiepolitisch nicht dermaßen verwerflich, stünde man einer behutsamen Reduktion heimischer Urnengänge durchaus aufgeschlossen gegenüber. Schon anno Corona hat man gebetet, die nächste Welle wolle sich diplomatisch mit der jeweils drohenden Regionalwahl abstimmen: Selbst nächstliegende Maßnahmen wurden da zwecks Ruhigstellung wahlberechtigter Radaubrüder und Sonderlinge bis zur Gemeingefährdung verschoben.

Jetzt erleben wir die andere Variante: In Salzburg wird am 10. März der Bürgermeister gewählt, und prognostizierbarerweise ist anschließend eine für 24. März anberaumte Stichwahl erforderlich. Das schenkt den für die wichtigste Personalie des österreichischen Kulturlebens Zuständigen zumindest zwei Wochen Frist. Wie das? Es geht um die Festspielintendanz ab Sommer 2027, also um den Verbleib oder die Ablöse des Intendanten Markus Hinterhäuser. Das Amt wurde turnusgemäß ausgeschrieben, und die Entscheidung trifft das von Bund, Land, Stadt und dem regionalen Fremdenverkehr besetzte Kuratorium.

Was das alles mit der bagatellformatigen Bürgermeisterwahl zu tun hat? Im Kuratorium herrscht Einstimmigkeitsprinzip, und über das Kunstverständnis des aussichtsreichen KP-Kandidaten Kay-Michael Dankl gibt es maximal Vermutungen. Deshalb will das vom Teilumbau bedrohte Kuratorium gegen frühere Absichten überfallsartig bis Mitte März entscheiden.

Die primäre Frage hat Hinterhäuser noch nicht beantwortet: Will er sich überhaupt bewerben? Über Anfrage verweist er auf ausstehende Gespräche. Aber auch auf die Perspektive, das Unternehmen mit 250 Angestellten und 5.000 frei Beschäftigten durch eine der schwierigsten Phasen seines Bestehens zu führen: Ab 2027 wird die desolate Immobilie generalsaniert, und die begleitenden infrastrukturellen Maßnahmen werden den Festspielbezirk erzittern lassen. Das Große Festspielhaus bis 2029 im Sommer überhaupt bespielen zu können, wird zur existenzentscheidenden Herausforderung. Hier sind Innensicht und Improvisationsvermögen vonnöten, wie sie Hinterhäuser und die leider nicht mehr aktive Präsidentin Rabl-Stadler zum Corona-Sommer 2020 im Überfluss aufbringen konnten. Damals haben sie mit einem von Schönheit und Zuversicht leuchtenden Notprogramm - die Reduktion des Bühnenbildes könnte leicht wieder zum Argument werden - in die verzweifelnde Kulturwelt geleuchtet, als andere nicht einmal an Aufsperren dachten.

Katastrophenpraxis hatte Hinterhäuser schon damals. Als er 2016 die Festspiele übernahm, endete ein von politischen Blockaden, Streit und Abgängen gezeichnetes Dauerinterregnum von zehn Jahren. Das Programm gewann sofort Kontur und Ansehen zurück, und zuletzt beschloss man den Sommer 2023 mit 98,5 Prozent Auslastung und der Nobilitierung von Martinus "Griechischer Passion" zur Opernaufführung des Jahres. Hinterhäuser wird 2026 zehn Jahre im Amt gewesen sein, und gegen finale fünf weitere wird man mit rationalen Argumenten wenig vorbringen können. Dafür legen die irrationalen an Dringlichkeit zu. Ein hysterischer Gschaftlhuberverein hat die Festspielführung nach coronabedingten Programmreduktionen wegen Betrugs und gefährlicher Drohung angezeigt. Er wurde von der Staatsanwaltschaft ins Körbchen verwiesen und hat sich hoffentlich so umfassend aus dem Ansehen reduziert wie zuletzt der "Plagiatsjäger".

Einem künstlerisch unangreifbaren Intendanten an Nebenschauplätzen aufzulauern, ist offenbar die Strategie. Hinterhäuser verträgt sich nicht mit der Präsidentin Kristina Hammer? Macht nichts. Ehe das Ausnahmeformat Helga Rabl- Stadler 1995 das Amt neu definierte, war die Position die eines Grüßhofrats, der die Regionalpolitik über unverstandene Kunst beruhigen sollte. Hinterhäuser hat die inferiore, vor sieben Jahren inmitten eines Ensemblestreits improvisierte "Jedermann"-Inszenierung des Perchtoldsdorfer Intendanten aus dem Programm gerückt? Keineswegs zu spät und sein Recht als künstlerischer Leiter, der Regisseur Robert Carsen stellt für 2024 hoffentlich wieder das nötige Format sicher. Wie es zu der Blitzentscheidung kam? Gekaufte Festspielkarten werden nicht zurückgenommen, man kann sie aber in Kommission geben. Das taten im Vorjahr beunruhigend viele, es wollte aber niemand zugreifen. Eine kühle Rechnung entschied dann: Was kommt teurer? Das Publikum zu verärgern und den Devisenbringer dauerhaft zu beschädigen oder wenige vertraglich verpflichtete Künstler auszuzahlen?

Jetzt gilt es also, und zwar bald. Unter den Entscheidungsbefugten dürften Landeshauptmann und Fremdenverkehrsbehörde ihrer Sache sicher sein. Aber Staatssekretärin Andrea Mayer (Grüne) könnte im Angesicht der schwindenden Regierungsverantwortung noch einen Pflock in die Kulturgeschichte einschlagen wollen. Das Restrisiko, dass sie dabei einen Pfosten findet, besteht. Allerdings hat die bei der SPÖ entlehnte, besonders sachkundige Politikerin bisher kluge Entscheidungen getroffen. Die klügste wird von ihr jetzt erbeten.

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