Der Grant weicht aus dem Burgtheater

Freundliche und entspannte Atmosphäre bei Stefan Bachmanns Antrittspressekonferenz. Das Programm ist ansprechend. Auch wegen der tollen Schauspieler, die Vorgänger Kusej verbellt hatte

von Heinz Sichrovsky © Bild: NEWS

Lang nicht mehr hat man einer Pressekonferenz mit solch gelassenem Wohlwollen entgegengeblickt: Am vergangenen Dienstag, Minuten vor meinem Redaktionsschluss (diesem Intimfeind des wissbegierigen Redakteurs alter Schule), hat der designierte Burgtheaterdirektor Stefan Bachmann das Programm seiner ersten Spielzeit enthüllt. Der Unterschied zum Vorgänger Kusej, jetzt designierter Professor im freisinnigen Shanghai, fällt auf: Kusej hatte sich mit den geschliffenen Umgangsformen eines Lavanttaler Dschingis Khan schon für das Reich der Mitte qualifiziert, als er am Burgtheater noch gar nicht angetreten war. Vom freundlichen Schweizer Bachmann hingegen, der als Regisseur drei Übernahmen vom Dienstort Köln und zwei Neuinszenierungen verantwortet, sickerte ständig, welche der von Kusej verärgerten Schauspielgrößen er zurückholen werde.

In der Tat ist die Heimholung Joachim Meyerhoffs, Jens Harzers, Caroline Peters’ und Stefanie Reinspergers (spielt den Liliom und eine feministische Sisi!) der Coup des Spielplans, der in kurzer Zeit halb improvisiert werden musste, nachdem sich Kusej Monate gegen seine Ablöse gestemmt hatte. Quantensprünge zur alten Qualität sind jedenfalls garantiert. Meyerhoff will sich schrittweise nach Wien zurück orientieren. Zunächst gastiert er als Protagonist der Künstlerapokalypse „Der Fall McNeal“ in der Übersetzung Daniel Kehlmanns. Es geht um einen leergebrannten Schriftsteller, der im Abwehrkampf gegen die Künstliche Intelligenz die Hinterlassenschaft seiner toten Ehefrau plündert.

Der Iffland-nobilitierte Harzer ist als Gast für den Eröffnungs-„Hamlet“ verpflichtet. Karin Henkel, die zum fast unvermischten Branchenentzücken in Salzburg „Richard III.“ dekonstruiert hat, führt Regie, mit harten Eingriffen in Text und Rollenstruktur ist zu rechnen.

Auch Martin Wuttke wird man wiedersehen, er verstrickt sich mit Caroline Peters in Laclos’ „Gefährliche Liebschaften“. Tobias Moretti bleibt mit Sartre im Repertoire. Ansonsten? „Tartuffe“ unter Barbara Frey (mit Titelheuchlerin Bibiana Beglau und Michael Maertens), Gogols „Revisor“ unter Mateja Koleznik, „Puntila“ unter Antu Romero Nunes (hier unterbinden die Brecht-Erben Texteingriffe): Das klingt nach aufrichtiger Bereitschaft, klassischen Texten zu vertrauen, statt sie und das Publikum an übergeschnappte Dramaturgen zu verfüttern. Dazu kommen aus Köln etwa Rafael Sanchez’ nachtschwarzer, sprachmächtiger „Lear“ mit Martin Reinke und der neuen Ensemble-Gewalt Bruno Cathomas oder Bachmanns drastischer „Eingebildeter Kranker“ mit Titelpatientin Regina Fritsch und Melanie Kretschmann.

Deren mehrfaches Auftreten ist herzlich zu begrüßen, mag sie auch die Gattin des Direktors sein. Was bisher weder Kusej noch seinen Kollegen Föttinger und Voges samt deren Vor-, Vorvor- und Vorvorvorgängern verübelt wurde.

Was man sich von den nächsten, etwas geplanteren Spielzeiten erhofft? Vielleicht einen Schritt abseits des nächstliegenden Repertoires. Nach Kusejs beschämender „Hermannsschlacht“ einen großen Kleist („Homburg“ mit Harzer, das wäre etwas!). Lessings „Minna von Barnhelm“, Ibsens „Wenn wir Toten erwachen“, Horvaths „Jüngster Tag“. „Torquato Tasso“, Harzer gleichfalls auf den Leib geschrieben. „Wallenstein“ und „Wilhelm Tell“, das muss man sich nur trauen. Und die Österreicher, so schwer Raimund, Nestroy, Horvath, Jura Soyfer, Wolfgang Bauer und Werner Schwab in Ermangelung idiomsicherer Schauspieler auch zu besetzen sind. Elfriede Jelineks „Burgtheater“ allerdings über die Nazi-Verstrickungen der Familie Wessely-Hörbiger, am Titeltatort in der Inszenierung des Festwochen-Intendanten Milo Rau: Das ist ein Signal von der Vehemenz der Posaunen von Jericho. Ob da womöglich Elisabeth Orth und Mavie Hörbiger aus der Nachkommenschaft der grausam vivisezierten Nationaldevotionalien tätig werden?

Das bringt mich, ehe ich weiter als Dramaturg dilettiere, auf das Ensemble. Die namhaften Abgänger Sophie von Kessel und Franz Pätzold hat schon Kusej verloren. Dafür kommt Max Simonischek, und Felix Kammerer bleibt. Die unbekannten Jungen wird man mit Freude kennenlernen, nicht ohne etwa Lili Winderlich zurückzufordern.

Noch etwas? Ja, etwas Fundamentales. Der Klassiker im Rang des Weltentwurfs fehlt noch, der Blick über das Ganze, ruhend im Textvertrauen. Das, was Andrea Breth kann. Oder Alvis Hermanis, der vor neun Jahren etwas gegen Flüchtlinge gesagt hat und seither in Riga festsitzt. Selbst Luk Percevals misslungenes Shakespeare-Projekt, derzeit am Volkstheater, ist diesem Willen zur Größe verpflichtet. Mit Kusejs Legoländern für Riesenbabys, die uns den Blanken präsentieren, sollte das freilich nicht verwechselt werden.

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