Volkstheater, letzte Runde. Und ein großer Mutmacher

Kommende Woche soll Wiens Sorgentheater einen neuen Direktor bekommen. Etliche Namen sind im Umlauf, und es muss nicht zwingend eine Frau werden. Das zweite Kapitel widme ich einem Wunder

von Heinz Sichrovsky © Bild: NEWS

Weil ich Sie an dieser Stelle ja nicht nur mit meinen Subjektivitäten behelligen, sondern auch mit Belastbarem versorgen will: Hier wäre mein mutmaßlich vorletzter Einstieg in die Fahndungsprotokolle vor Bekanntgabe der Volkstheaterdirektion ab September 2025. Den Namen erfahren wir voraussichtlich in der kommenden Woche. Und wie man hört, wird es doch nicht bindend eine Frau.

Die deutsche Regisseurin Claudia Bauer, 58, hat dem Volkstheater mit einem Jandl-Projekt einen schönen Erfolg eingefahren. Marie Rötzer, 56, Intendantin in St. Pölten, wäre dank ihrer Nähe zu den Ausnahmeformaten Perceval, Castorf und Habjan die Luxusbesetzung. An der "Josefstadt" wäre man über einen diesbezüglich lichten Moment der Politik allerdings nicht glücklich: Marie Rötzer wird dort für die Nachfolge Herbert Föttingers im Jahr 2026 favorisiert. Die Konkurrenz könnte indes hart sein. Die Weltligistin Andrea Breth debütiert 2025 am Haus und wäre Weiterführendem evtl. zugänglich.

Soweit die ständig Genannten. Sollte nun das feministische Diktum überraschend doch nicht schlagend werden, täten sich wieder ein paar Fenster mit Ausblick auf, zu Paulus Manker oder Alexander Pschill etwa. Oder man findet - es sei hiemit höflich angeregt - jemanden wie den Nürnberger Intendanten Jan Philipp Gloger, geboren 1981 in Hagen und in der hohen Liga unterwegs: Er ist als Opernregisseur weit herumgekommen, hat in Amsterdam, London, Dresden, Zürich und 2012 in Bayreuth (den "Fliegenden Holländer") inszeniert. An der Volksoper sah man Millöckers "Dubarry". Auch theatertechnisch saß er nie in der Provinz fest, man sah ihn in München, Berlin, Dresden und Düsseldorf, wo er 2017 die Uraufführung von Jelineks "Das Licht im Kasten" verantwortete. Am Burgtheater amüsierte die Impfsatire "Nebenwirkungen". Man wird ja noch etwas interessant finden dürfen.

Ob das, was uns nächste Woche mitgeteilt werden wird, im Großbereich "Ermutigung" zu verorten ist, hängt also von subjektiven Einschätzungen ab. Unbestreitbar ermutigend hingegen ist das Folgende. Als ich mich vor einem Jahrtausend im Wasagymnasium mühevoll der Matura entgegennavigiert habe, drängten sich in den unteren Stockwerken die sogenannten M-Klassen, das Versuchsstadium des heutigen Musikgymnasiums in der Neustiftgasse. Spätere Musiker von Statur - Philharmoniker, Symphoniker, Dirigenten, Solisten - riefen mich noch Jahrzehnte später beim Spitznamen, den Sie nie erfahren werden. Einen von ihnen, den österreichischen Dirigenten Roberto Paternostro, hatte ich nach endlosen Stehplatzjahren schon aus den Augen verloren. Ich hörte von Gastspielen an besten deutschen Häusern, von Aufnahmen mit Agnes Baltsa und Renato Bruson, wurde aber erst aufmerksam, als mir ein exzellenter Wagner-"Ring" des Staatstheaters Kassel in die Hände fiel. Paternostro war dort bis 2007 Generalmusikdirektor und brachte das Haus auf imponierende Höhe. Der Sohn einer Familie von Shoah-Überlebenden leitete dann das Israel Chamber Orchestra und brachte es tollkühn bis nach Bayreuth: Mit dem dort 2011 aufgeführten "Siegfried-Idyll" wurde der Wagner-Boykott Israels quasi am Tatort durchbrochen.

Damals bahnte sich ein später Karriereschub außergewöhnlichen Ausmaßes an. Paternostro übernahm spektakuläre Aufgaben in Buenos Aires, zuletzt fragten (tatsächlich) erste amerikanische Orchester an, und schließlich wurde ein mit Unterschrift besiegelter Lebenstraum jedes Dirigenten greifbare Wahrheit.

Da brach die Pandemie aus, und sie war noch das Geringste, denn das Schicksal hatte dem Weltuntergang eine perverse private Pointe aufgesetzt: Im Juli 2020 empfing der Dreiundsechzigjährige die Diagnose Speiseröhrenkrebs. Er kämpfte, zehn Tage Intensivstation inbegriffen, eineinhalb Jahre, bis das Mistvieh besiegt schien. Nach einem hoch emotionalen "Lied von der Erde" in Budapest brach er zusammen, weitere eineinhalb qualvolle Jahre folgten. Und als er schon ans Aufgeben dachte, war es vorbei - im Guten! Wie er es jetzt angeht, treibt einem Schweißtropfen der Angst und der Bewunderung auf die Stirn. Am 29. Jänner hat er an seinem allerersten Dienstort, bei der Württembergischen Philharmonie Reutlingen, Bruckners monumentale Fünfte dirigiert. Der regionale Musikkritiker schrieb, er habe das Konzert wie durchgeschüttelt verlassen, Ohrenzeugen aus dem Freundeskreis erzählen von einem aufwühlend spirituellen Erlebnis. Vielleicht, schrieb mir Paternostro danach, müsse man "da" durchgegangen sein? Am Karfreitag werde ich nach Grafenegg fahren: Der Wagner-Spezialist Paternostro dirigiert da in großer Besetzung den dritten Akt "Parsifal", ein Stück Erlösungsmusik ohnegleichen. Der eine oder andere Operndirektor ist herzlich eingeladen, mich zu begleiten.

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