Für Verurteilungen sind die Gerichte zuständig

Eine deutsche Fernsehdokumentation erhebt gegen Paulus Manker und Julian Pölsler teils bekannte, teils unbewiesene Vorwürfe. Und in der „Josefstadt“ naht überraschend schnell die Direktionsentscheidung

von Heinz Sichrovsky © Bild: NEWS

Wenn Sie gestatten, beginne ich diese Kolumne so (und wie sonst sollte ein Kulturjourna list sie beginnen): Julian Pölsler ist ein sehr großer Regisseur. Er hat mit Alfred Komarek und Erwin Steinhauer für die „Polt“-Reihe des ORF eine Ästhetik entwickelt, vor der Konkurrenzprodukte verblassen. Wie sich Steinhauers Dorfgendarm, verstummt unter der Last des ihm auferlegten Vergeltungswerks, auf seinem alten Waffenrad in die Einsamkeit des Weinviertler Hügellands verliert: Das ist Fernsehgeschichte. Die Umsetzung des Romans „Die Wand“ von Marlen Haushofer ist Pölsler aufsehenerregend gelungen. Ferdinand von Schirach will seine Erstaufführungen an den Wiener Kammerspielen keinem anderen Regisseur anvertrauen. Pölsler ist ein Mann der Sprache, der Bilder und des Sich-Zeitnehmens für beide. Ein großer Regisseur, wie gesagt.

Das ist das eine. Das andere ist eine Dokumentation des Norddeutschen Rundfunks, in der Pölsler „Grenzüberschreitungen“ vorgeworfen werden. Wäre es nur das dunkle Geschwafel eines mir unbekannten Schauspielers, Pölsler habe vor 15 Jahren seine Studenten am Konservatorium mit Blicken „von oben bis unten abgescannt“: Das wäre der nämliche Stumpfsinn, mit dem die „Studierendenschaft“ des Reinhardt-Seminars die Direktorin Maria Happel anonym beschuldigte, ihre Assistentin habe jemanden „zum Weinen gebracht“. Es geht aber auch um „nicht eingehaltene Abstände und Berührungen“. Hier steht Aussage gegen Aussage, und sollte der Tatbestand tatsächlich judizierbar sein, ist niemand gehindert, den Rechtsweg zu beschreiten. Dass man sich damit Karriereoptionen zerstören würde, trifft nicht mehr zu. Im Gegenteil ist die Behauptung meist mit dem Urteil identisch.

Die Beschuldigungen gehen allerdings ins Grundsätzliche: Pölsler erzeuge während der Dreharbeiten eine Atmosphäre des Drucks und der Angst. Dieses Verfahren haben früher viele der allergrößten Regisseure – exemplarisch Peter Zadek – gewählt. Mancher unter den ebenfalls allergrößten Schauspielern wurde dabei „zum Weinen gebracht“, und die Resultate atemberaubend zu nennen, würde ihnen noch immer nicht gerecht. Es steht jedem Schauspieler frei, diesen Weg nicht mitgehen zu wollen. Aber wer immer darüber entscheidet, ob der Weg noch begangen werden darf: Der Norddeutsche Rundfunk ist es nicht. Auch nicht die Staatssekretärin, die schon anlässlich der substanzlosen Verleumdungskampagne gegen Ulrich Seidl vorsorglich bestürzt war. Mein Kompliment an ServusTV, wo man Pölsler nicht auf Basis von Behauptungen abschafft.

Auch wer mit dem zweiten namentlich Genannten arbeitet, weiß, worauf er sich einlässt. Die Gestalterinnen der Dokumentation hätten dafür keine drei Jahre aufwenden müssen: Wer ein von Paulus Manker ausgesprochenes Angebot ablehnt, darf des Verständnisses sicher sein. Wer sich aber dem ebenso maßlosen wie perfekten Arbeitsprozess ausliefert, hat Aussicht, Theatergeschichte zu schreiben. Manker hat sein begeistertes Publikum: Er hat sich freigewütet. Das Außerkünstlerische ist Sache der verschwenderisch bemühten Gerichte. Und dass Mankers beispiellose „Letzte Tage der Menschheit“ im Karl-Kraus-Jahr gezeigt werden müssen: Zu der Erkenntnis benötigen wir weder Zu- noch Widerspruch von Radio Bremen.

Das zweite Thema der Woche fliegt mich quasi unvorbereitet an: Herbert Föttinger zieht sich im Sommer 2026 aus der Direktion der „Josefstadt“ zurück, und inmitten des Getöses um andere ist die spielentscheidende Personalie glatt untergegangen. Kein Wunder: Die „Josefstadt“ funktioniert ja. Aber dass sich die von Bund und Land subventionierte Privatstiftung nur ungern mit Kickls Kunstminister arrangieren will, liegt nahe. Also wird Mitte März ausgeschrieben, wobei, wie seinerzeit im Glücksfall Föttinger, Direktionserfahrung nicht gefordert ist. Spätestens im Juni will man entschieden haben. Nun will ein paradoxes Geschick, dass sich die Kulturpolitik gerade deshalb gefährlich eingeengt hat, weil sie bisher den dümmlichen Quotendiktaten nicht nachgegeben hat: Die Volksoper ausgenommen, sind die Wiener Großbühnen in Männerhand.

Jetzt also verbindlich eine Frau? Nein, die geeignetste Person. Gerade die „Josefstadt“ braucht Identität, die mit österreichischer Literatur, mit der Melodie der Stadt zu tun hat. Sollte tatsächlich die Weltligistin Andrea Breth mit der Koryphäe Sven-Eric Bechtolf Interesse zeigen, könnte die Politik nur zum Dankgottesdienst in die Piaristenkirche einrücken. Auch Marie Rötzer, derzeit St. Pölten, wäre ein Glücksfall. In Graz leistet Andrea Vilter Beachtenswertes. So wie Anna Maria Krassnigg in den niederösterreichischen Kasematten. Zwischen das, was die vom Studentenschwachsinn rehabilitierte Maria Happel in Reichenau zaubert, und die „Josefstadt“ passt kein Programmeinlageblatt. Von ihr hat Kusejs hart geprüfte Ex-Stellvertreterin Alexandra Althoff gerade das Reinhardt-Seminar übernommen. Wer weiß? Die Dame kann etwas, und das ist bei der wehen „Studierendenschaft“ kein Garant des Verbleibs. Oder man pfeift auf den Quotenblödsinn und überredet Nikolaus Habjan, Daniel Kehlmann, Josef Ernst Köpplinger oder Thomas Gratzer, der im Rabenhof mehrere Jahrgänge des Berliner Theatertreffens egalisiert.

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