Die dünne Decke der Diskretion

Heinz Sichrovsky über die Grenzen von Kunst und Satire

von Heinz Sichrovsky © Bild: News

Über die Grenzen der Satire – somit auch über die Freiheit der Kunst – wurde zuletzt viel diskutiert. Dass Jan Böhmermann seine Argumentation dabei besser auf den Großbereich „Freiheit“ als auf die eingeschränkt dehnbaren Begriffe „Satire“ oder gar „Kunst“ konzentrieren sollte, ist unerheblich: Der Mann muss Erdoğan ohne Gerichtsfolgen verspotten dürfen. Das gilt auch für humoroide Hervorbringungen, von denen wir Ösis nach der Bundespräsidentenwahl seitens deutscher Böhmermann-Hybride heimgesucht werden: Das hakenkreuzförmige Schnitzel ist ja nicht das Magenhebendste an diesem Urnengang.

Der bedeutende israelische Autor David Grossman aber bricht in seinem eben erschienenen Roman „Kommt ein Pferd in die Bar“ Tabus, die man sonst konsensual unberührt lässt: Die Hauptperson ist ein alter Komiker, der sich seiner Familiengeschichte mittels elender Witze über die Shoah zu entledigen sucht. Das Buch verstört, weil es nicht spekuliert, und die Verstörung ist therapeutisch: Grossman hebt die dünne Decke der Diskretion, die oft mit Verdrängung eins ist. Einer, der diese Technik bis zur Genialität beherrschte, war der große Theatermann George Tabori, dessen Vater in Auschwitz umgebracht wurde. Dort und davon handelt Taboris Groteske „Die Kannibalen“, ein Stück Weltliteratur. Die Böhmermanns aber bleiben, bitte, besser bei Erdoğan und den Ösis.

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