Salzburger Endzeiten

Wollte man rasch einen Bogen über das bisher bei den Festspielen Stattgefundene schlagen, so käme man darauf: Das Publikum jubelt, als wäre Salzburg das Nordkorea der Hochkultur.

von Heinz Sichrovsky © Bild: NEWS

Eine Opernuraufführung; eine Strauss-Rarität sperrigster Beschaffenheit; der notorische „Jedermann“; Shakespeares „Sturm“ mit Peter Simonischek; ein famoser Beckett; nicht zu reden vom marketingtechnischen Geniestreich, Anna Netrebko samt Gemahl für drei konzertante Aufführungen von Puccinis „Manon Lescaut“ zu verpflichten und damit ein an Karajan-Zeiten erinnerndes gesellschaftspublizistisches Aufkommen zu provozieren: Das Abschiedsjahr der Interimsintendanz Sven-Eric Bechtolf/Helga Rabl-Stadler ist deren erfolgreichstes. Nicht einmal das Trotzpaket dreier gescheiterter, jetzt wieder aufgenommener Mozart- Inszenierungen Bechtolfs kann die Wirkung beeinträchtigen. Auf den zweiten Blick ist die Saison den Überbegriffen „Endzeit“ und „Abschied“ verschrieben.

Man begann mit der Auftragsoper „The Exterminating Angel“ des Briten Thomas Adès. Buñuels surrealistisches Filmkunstwerk „Der Würgeengel“ aus dem Jahr 1962 wurde vom inszenierenden Librettisten Tom Cairns um einige symbolische Ebenen erleichtert und zum Psycho thriller im Fantasy-Format konkretisiert. Eine exklusive Premierengesellschaft ist von der Oper in die Villa eines Millionärs gewechselt.

Bald erweist sich, dass man in der Falle sitzt: Die Gesellschaft ist, bei offenen Türen, außerstande, den Raum zu verlassen. Die folgende Barbarisierung nimmt sich in dieser Zeit und an diesem Ort unheimlich aktuell aus. Spitzentöne Der vom Feuilleton berümpfte Adès kennt keinen falschen Genierer: Sein Gespür für Atmosphäre ist so untrüglich wie seine Lust am musikalischen Effekt, er lässt in dieser Hinsicht nichts anbrennen.

Als sein eigener Dirigent treibt er das famose ORF-Orchester zur Hochspannung. Da das geschmeidig zwischen Tonalität und Atonalität changierende Ganze auch noch glänzend besetzt ist, schwingt sich das Publikum jubelnd und trampelnd über alle Barrieren zur Moderne. Richard Strauss’ späte Mythenkomödie „Die Liebe der Danae“ ist nichts fürs Ohr: Mitten im Krieg experimentierte der Meister in den Grenzbereichen zwischen den Tonarten.

Die Uraufführung erreichte bloß die Generalprobe, da die Festspiele 1944 nach dem Hitler-Attentat abgesagt wurden. Zudem drechselte der „Arier“ Joseph Gregor das von Hofmannsthal konzipierte Libretto – eine Königstochter im erotischen Dilemma zwischen Jupiter und einem Eseltreiber – ungelenk zu Ende. Franz Welser-Möst aber hat mit den Philharmonikern bis zur Erschöpfung gearbeitet, und das Resultat ist ein Wunder an Farben, Stimmungen und Zwischentönen. Krassimira Stoyanova und Tomasz Konieczny singen Danae und Jupiter in olympische Höhen.

Nur der Regisseur und Ausstatter Alvis Hermanis erzeugt mit goldenem Kunstgewerbe die Atmosphäre einer budgetär aus dem Ruder gelaufenen Verfilmung des Kinderbuchs „Hatschi Bratschis Luftballon“. Konträr Samuel Becketts „Endspiel“ in der Inszenierung des altmeisterlich souveränen, auf jede Selbstdarstellung verzichtenden Dieter Dorn. Becketts genau 60 Jahre altes Schlüsselwerk des absurden Theaters entzieht sich in seiner Vieldeutigkeit jeder Banalisierung.

Der blinde und gelähmte Herrenmensch Hamm; sein gepeinigter, ihm höriger Domestik Clov; Hamms Eltern, gefangen in Mülltonnen und in ihren eigenen Exkrementen verhungernd: Das ist Clownspiel und Tragödie, Pantomime und Konversationsstück, Weltuntergangsparabel und die privateste aller Familienhöllen. Man muss das nur so besetzen, dass es nicht besser geht. Das tri­ t hier zu: dank Nicholas Ofczareks versteinertem Monstrum Hamm, dank der von Michael Maertens’ Clov mobilisierten Verzweifl ungsakrobatik und dank der Intensität, die Joachim Bißmeier und Barbara Petritsch in ihren Mülltonnen freisetzen.

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