Türkise und Schwarze im freien Fall

Der damalige steirische Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer (ÖVP) wusste, wem er das triumphale Ergebnis seiner Partei bei der Landtagswahl 2019 zu verdanken hatte. "Lieber Sebastian, meine sehr verehrten Damen und Herren", würdigte er den anwesenden Bundesobmann der ÖVP, Sebastian Kurz, in einer ersten Rede am Wahlabend dann auch in besonderer Weise. Ursprünglich war seine Partei praktisch gleichauf mit Sozialdemokraten und Freiheitlichen gelegen. Jetzt erreichte sie 36 Prozent und ließ die beiden Mitbewerber um 13 bzw. rund 19 Prozentpunkte hinter sich. Um Welten also.

von Politische Analyse - Türkise und Schwarze im freien Fall © Bild: Privat

ANALYSE

Es war die Zeit des Kurz-Hypes. Von Vorarlberg über Niederösterreich bis Wien war die ÖVP plötzlich "in". Bei der Nationalratswahl kletterte sie unter der Bezeichnung "Liste Sebastian Kurz - die neue Volkspartei" auf 37,5 Prozent. Der Haken: Das alles hing eben mit ihm zusammen. Umso brutaler ist nun die Landung für die Partei, da er zwar längst zurückgetreten ist, sie aber keinen umfassenden Neustart ohne ihn vollzogen hat; da sie sich nicht klar von ihm getrennt hat, er jetzt aber - nicht rechtskräftig - wegen Falschaussage vor dem Ibiza-U-Ausschuss verurteilt worden ist. Das setzt damit auch ihr zu.

Der ÖVP geht es nicht so schlecht wie vor Kurz, sondern schlechter: Sowohl bei der Nationalratswahl als auch bei der steirischen Landtagswahl im Herbst muss sie befürchten, auf Platz drei hinter Freiheitlichen und Sozialdemokraten zu landen. Natürlich: Wie die Urnengänge ausgehen werden, ist offen. Allein schon, dass Umfragen zufolge Karl Nehammer derzeit damit rechnen müsste, das Kanzleramt zu verlieren, und Schützenhöfer-Nachfolger Christopher Drexler, die Funktion des Landeshauptmanns, ist jedoch bezeichnend.

Es geht nicht nur darum, dass sich die ÖVP in einem freien Fall befindet: Nehammer verkörpert eine türkise Volkspartei, die Kurz inhaltlich in wesentlichen Fragen treu geblieben ist. Von Migrations- bis Europapolitik ist Rechtspopulismus angesagt, lautet das Ziel, der FPÖ Konkurrenz zu machen. Drexler bemüht sich in der Steiermark hingegen um einen bürgerlichen, einen mittigen Kurs. Er gehört, wenn man so will, zu den Schwarzen in der ÖVP - und hat nun ebenfalls die Not.

Was die ganze Misere der Partei zum Ausdruck bringt: Sie hat keinen Ansatz, der erfolgversprechend ist. Im Gegenteil, unter Kurz hat man sich in ihren Reihen vom Boden- bis zum Neusiedlersee zu sehr allein auf ihn verlassen. Hat darauf vergessen, an sich selbst zu arbeiten. Dafür muss man jetzt doppelt büßen.

BERICHT

Ländliche Regionen verlieren

Vor wenigen Jahren ist er wenigstens noch weit oben auf der politischen Agenda gestanden: der ländliche Raum. Es ging darum, zu verhindern, dass er immer weiter ausdünnt, dass immer mehr Menschen wegziehen. Gelungen ist es nicht, wie ein Blick auf eine Karte der Statistik Austria zeigt, die Bevölkerungsveränderungen darstellt. Im Nordosten und Süden der Republik herrscht in weiten Teilen Abwanderung.

Kärnten insgesamt hat seit Anfang der 2000er-Jahre ein bescheidenes Bevölkerungswachstum verzeichnet. Zurückzuführen ist das vor allem auf die Großräume Klagenfurt und Villach. Ohne die zugehörigen Bezirke (jeweils "Stadt" und "Land") wäre die Bevölkerung um sechs Prozent zurückgegangen.

In der Steiermark ist es ähnlich. Hier wachsen Graz und Umgebung stark. Das ist jedoch die Ausnahme. Eine Steiermark ohne dieses urbane Zentrum würde schrumpfen.

In Niederösterreich verlieren die Waldviertler Bezirke Gmünd, Waidhofen an der Thaya und Zwettl. Dort leben heute um fast ein Zehntel weniger Menschen als im Jahr 2002. Darauf aufmerksam wird eine breitere Öffentlichkeit allerdings nur noch an Wahltagen: Es sind Regionen, in denen die FPÖ überdurchschnittliche Ergebnisse erzielt. Bei der jüngsten Landtagswahl beispielsweise rund 30 Prozent, und damit deutlich mehr als landesweit (24 Prozent). Ein Wunder? Nein: Herbert Kickl und Co. erklären, dass vieles schlechter werde und gerade in Abwanderungsregionen bestätigt sich das für viele Menschen tagtäglich.

Wobei: Mittlerweile bildet die FPÖ in Niederösterreich eine Regierung mit der ÖVP. Im Arbeitsprogramm kommt der "Ländliche Raum" jedoch nur unter "ferner liefen" vor, in einem Kapitel nach Landwirtschaft und Tierwohl, gleichauf mit einer Absage an das internationale Freihandelsabkommen "Mercosur". Priorität geht anders.

ZAHL

Für immer mehr Menschen ist "Eigenheim" kein Thema

Der sozialpartnerschaftliche Testballon für eine "Große Koalition" ist geplatzt: Damit die Baubranche wieder in Schwung kommt, haben Wirtschaftskammer-Präsident Harald Mahrer (ÖVP) und Gewerkschafter Josef Muchitsch (SPÖ) vorgeschlagen, fürs erste Eigenheim einen "Bonus" von bis zu 100.000 Euro zu gewähren. Weit sind sie damit nicht gekommen. Auch aus ihren eigenen Reihen setzte es Widersprüche: "Das ist kein sozialdemokratisches Modell", erklärte SPÖ-Chef Andreas Babler. Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) bezweifelte, dass die Idee "budgetär machbar, sinnvoll und treffsicher ist".

Tatsächlich stellt sich die Frage "Eigenheim" eher nur für Besserverdiener. Darauf lässt eine Auswertung der Nationalbank schließen: Im untersten Zehntel der Einkommensbezieher beträgt der Anteil der Eigentümer eines Hauses oder einer Wohnung 24, im obersten hingegen 75 Prozent. Haushalte mit bescheidenen Mitteln leben in der Regel in Miete.

Ändern lässt sich das weniger denn je. Insofern wirkt das Ziel von Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP), die Eigentumsquote von insgesamt 48 auf 60 Prozent zu erhöhen, illusorisch: Die Entwicklung von Immobilienpreisen und Zinsen haben die Finanzierung für eine noch größere Masse der Einkommensbezieher unmöglich gemacht. Vor allem aber: Ein wachsender Teil der Haushalte wird durch Menschen mit Migrationshintergrund gebildet. Österreich wächst de facto nur noch durch Zuwanderung. Und sehr viele Zuwanderer haben entweder nicht die Absicht, sich sesshaft zu machen oder es fehlen ihnen die Mittel, eine Immobilie zu erwerben. Ergebnis: Bei Bürgern aus anderen EU-Staaten in Österreich beträgt die Eigentumsquote gerade einmal ein Viertel und bei Angehörigen von Drittstaaten wie der Türkei oder Syrien überhaupt nur ein Achtel.

© News Zum Vergrößern klicken

Johannes Huber, Journalist und Blogger zur österreichischen Politik, www.diesubstanz.at