Schlicht selbstbeschädigend

Der Tag der Entscheidung naht. Vor einem Monat hat Florian Tursky das Amt des Staatssekretärs im Finanzministerium zurückgelegt, um sich ganz auf die Gemeinderats- und Bürgermeisterwahl in Innsbruck konzentrieren zu können. An diesem Sonntag ist es nun so weit.

von Politische Analyse - Schlicht selbstbeschädigend © Bild: Privat

ANALYSE

Tursky möchte Stadtoberhaupt werden. Der ÖVP-Mann gilt jedoch als Außenseiter. Es wäre eine Überraschung, wenn er es – zum Beispiel gegen Amtsinhaber Georg Willi (Grüne) – in die Stichwahl Ende April schaffen würde.

Der 35-Jährige hat zu kämpfen. Mit sich selbst und mit dem, was aus Wien kommt: Die Bundespartei, die von Kanzler Karl Nehammer geführt wird, sorgt für Gegenwind. Nachdem sie schon bei ihrem Versuch nicht weit gekommen war, "Normalität" zu definieren, entwickelt sich jetzt ihr "Leitkultur"-Vorstoß zu einem Bumerang. "Tradition statt Multikulti", teilte sie in einer Online-Kampagne mit, um diese nach ein paar Stunden wieder zurückzuziehen. "Zu extrem", lautet ein Kommentar dazu.

Was man will, ist klar: Wähler rechts der Mitte sollen angesprochen werden, die eher in ländlichen Regionen leben. Hier sollen Abwanderungsbewegungen zu den Freiheitlichen gestoppt werden. Ob es gelingt, wenn man nicht einmal eine stringente Kampagne zusammenbringt, ist fraglich. Zumal sich sogar der Verband der Blasmusikkapellen dagegen verwehrt, dass diese von Nehammer und seinen Leuten zu "Leitkultur" gezählt werden.

Von den Signalen, die an Bewohner urbaner Räume gehen, nicht zu reden. In Bezug auf diese sind sie schlicht selbstbeschädigend, vergrämt man damit eine Mehrheit. Vor allem, wenn man Migranten nebenbei ausrichtet, dass sie sich anzupassen oder zu gehen hätten, wie es die ÖVP tut: In Wien, Innsbruck oder Salzburg etwa, wo die Partei erst im März abgestürzt ist, sind Vielfalt und Menschen, die anders sind, selbstverständlicher Bestandteil des Alltags, ja bedeutet gerade das für viele Lebensqualität.

Ohne Stadtbewohner kann die ÖVP bei bundesweiten Urnengängen nicht weit über 20 Prozent kommen. Damit gemeint sind die EU-Wahl am 9. Juni und die Nationalratswahl Ende September. Abgesehen davon ist das Ganze zusätzlich belastend für die Vertreter der Partei, die in weiterer Folge noch heuer eine Landtagswahl zu schlagen haben und die ohnehin schon mit Verlusten rechnen müssen: die Landeshauptleute Christopher Drexler (Steiermark) und Markus Wallner (Vorarlberg). Für sie ist Zuspruch auch in urbanen Räumen entscheidend. Für Drexler in Graz, für Wallner im Rheintal. Allein: Die Bundespartei will’s nicht sehen.

BERICHT

Spionageaffäre: Was die FPÖ zu befürchten hat

Bringt die Spionageaffäre um den ehemaligen Verfassungsschützer Egisto Ott die FPÖ um Platz eins bei der Nationalratswahl? Die ÖVP sieht einen freiheitlichen Skandal, die Grünen werfen Herbert Kickl und Co. vor, Handlanger des russischen Präsidenten Wladimir Putin zu sein. In der Sache geht es darum, dass offenbar hochsensible Sicherheitsinformationen über Österreich nach Moskau gegangen sind. Politische Hintergründe müssen genauso erst geklärt werden wie strafrechtliche.

Die Rolle der FPÖ steht im Fokus: 2016 ging sie einen Freundschaftsvertrag mit der Putin-Partei "Einiges Russland" ein, 2018 kam es in Kickls Zeit als Innenminister zu einer Hausdurchsuchung beim Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT), die heute noch brisanter wirkt als bisher: Worum ging es damals wirklich? Wer sollte geschwächt, wem gedient werden? Russland?

Die FPÖ weist alle Vorwürfe und Unterstellungen zurück. Es gibt auch keine Beweise. Im Hinblick auf die Wahl ist die Sache daher nicht weiter besorgniserregend für sie: In Umfragen liegt sie aus Gründen vorne, die weiterhin gelten. Zum Beispiel, weil sie es versteht, von Unzufriedenheiten zu profitieren, die seit der Corona-Pandemie angewachsen sind. Zweitens: Mit ihrer grundsätzlichen Nähe zu Russland dürften ihre Anhänger kein Problem haben. Sie ist nicht neu.

Schwerwiegender ist für Kickl und die FPÖ, dass eine Regierungsbeteiligung für sie immer unwahrscheinlicher wird: Nicht nur, dass sie von der ÖVP, ihrer wohl einzig möglichen Partnerin, ohnehin schon als Sicherheitsrisiko dargestellt werden. Die Volkspartei müsste mehr denn je damit rechnen, sich mit allen Staaten im Westen, die sich klar gegen Putin stellen, größere Schwierigkeiten einzuhandeln, wenn sie der FPÖ zu Macht verhelfen würde.

ZAHL

Verlustängste prägen das Superwahljahr

In Regierungskreisen ist die Hoffnung groß gewesen, dass sich die Teuerungskrise bis zur EU-Wahl im Juni oder wenigstens bis zur Nationalratswahl im September so sehr entspannt, dass sie keine Rolle mehr spielt bei den Urnengängen. Stand heute wird sie das jedoch sehr wohl tun.

Zwar ist die Inflation zurückgegangen, mit rund vier Prozent aber noch immer beträchtlich. Außerdem mögen Löhne, Pensionen und Sozialleistungen angepasst sowie diverse Ausgleichshilfen gewährt worden sein. Die Wahrnehmung einer Masse ist jedoch, sich immer weniger leisten zu können. Schlimmer für ÖVP und Grüne, die politisch in der Verantwortung stehen und für die es daher schwieriger wird, um Zuspruch zu werben: Bemerkenswert viele Menschen rechnen mit weiteren Verschlechterungen. Das bedeutet, dass das Schlimmste aus ihrer Sicht noch nicht vorbei ist. "Statistik Austria" führt regelmäßig eine Erhebung zu sozialen Krisenfolgen durch. Zuletzt gaben 28 Prozent an, dass das Haushaltseinkommen in ihrem Fall in den vergangenen zwölf Monaten gesunken sei. 21 Prozent befürchten, dass es auch in den kommenden zwölf Monaten so weitergehen wird. Wenig überraschend, aber auffallend ist dabei, wie sehr sich die Erwartungen unterscheiden: In der oberen Hälfte der Haushalte überwiegt die Zuversicht, dass das Einkommen wachsen wird. In der unteren Hälfte ist es umgekehrt, hier sind die Verlustängste nach wie vor größer.

Wobei ein Viertel der Österreicherinnen und Österreicher ohnehin schon schwer zu kämpfen hat: Rund 25 Prozent berichten, unerwartete Ausgaben von 1.300 Euro nur auf Pump oder in Form von Ratenzahlungen bewältigen zu können. Und ebenso viele erklären, dass sie es sich nicht leisten können, öfter ins Kino zu gehen oder einen Sportkurs zu besuchen, der Geld kostet.

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Johannes Huber, Journalist und Blogger zur österreichischen Politik, www.diesubstanz.at