"Als Workaholic bin
ich auch Burnout-gefährdet“

Marcel Hirscher über Hass und Hetze, Licht- und Schattenseiten seines Erfolgs

Der Nationalheld Marcel Hirscher bezieht in der Flüchtlingsdebatte klar Stellung. Ein Gespräch über Hass und Hetze, Licht-und Schattenseiten des Erfolgs und den Alltag eines Workaholics

von Menschen - "Als Workaholic bin
ich auch Burnout-gefährdet“ © Bild: Kurt Prinz

Herr Hirscher, Sie haben sich auf Facebook im Rahmen der #showyourfacechallenge zur Flüchtlingsproblematik geäußert und sich deutlich für Flüchtlinge und gegen Hass und Hetze positioniert. Warum war Ihnen das ein Anliegen?

Als Sportler äußere ich mich normalerweise nicht zu Politik, dafür gibt es Experten. Doch hier geht es nicht um Politik, sondern um Anstand. Wenn es in unserem Land immer kälter und kälter wird, und dafür nicht der Winter verantwortlich ist, dann sollten wir - die deutliche Mehrheit - zeigen, dass Österreich anders denkt. Mitgefühl und Verständnis sind angebracht, nicht Angstmache, Hetze und Hass. Deshalb sage ich: Flüchtlinge sind in unserem Land herzlich willkommen. Ich weiß natürlich, dass ich damit die Probleme nicht löse -das muss wahrscheinlich durch die internationale Politik, in den Herkunftsländern, passieren. Doch wenn es schon so weit kommt, dass Menschen aus ihrer Heimat fliehen müssen, dann müssen wir ihnen auch helfen.

Binnen weniger Stunden haben zehntausende Menschen ihre Botschaft geliked. Hat Sie die Resonanz überrascht?

Ehrlich gesagt, nein. Ich war und bin überzeugt, dass die meisten so denken, doch ich weiß auch, dass andere oft lauter schreien und so einen falschen Gesamteindruck vermitteln. Natürlich verstehe ich auch die Ängste mancher Menschen in unserem Land, doch hier muss man Lösungen finden und vermitteln anstatt - wie in manchen Medien geschehen - die Ängste weiter zu schüren. Mit Ängsten zu spielen ist das Allerletzte.

Sie haben neben weiteren Sportlern auch Bundespräsident Heinz Fischer eingeladen, an der Challenge teilzunehmen. Ein gutes Gefühl, wenn der Bundespräsident einem folgt?

Ich kenne ihn ja persönlich ganz gut. Zuletzt hat er mich im Frühling auf einen Kaffee in die Hofburg eingeladen. Ich freue mich, dass er sich ebenfalls deutlich äußert.

»Fassungslosigkeit beschreibt mein Gefühl sehr gut. Entsetzen. Es ist zum Weinen.«

Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie hörten, dass 71 Flüchtlinge vor der Wiener Haustüre tot abgestellt wurden?

Ich war geschockt. Das lässt sicherlich niemanden kalt. Da schüttelt es mich noch immer. Fassungslosigkeit beschreibt das Gefühl sehr gut. Entsetzen. Es ist zum Weinen. Es besteht extrem großer Handlungsbedarf. Das sollte ziemlich schnell gehen -weil es eigentlich schon zu spät ist. Wir müssen jetzt dringend drei Schritte vorwärts machen. Da sollten keine weiteren Fehler gemacht werden.

Wo sind Fehler passiert?

Ich will nicht das politische Handeln beurteilen. Mir fällt auf: In der Bevölkerung liegt so viel Nichtwissen vor; nicht böse sein, aber da tragen Medien sehr stark dazu bei. Wenn ich mich zurückerinnere an die ersten Schlagzeilen: Da ging es um Handys für Flüchtlinge. Mit diesem Thema Hass zu schüren, dafür habe ich kein Verständnis. Da drehe ich voll durch. Es gibt so viele differenzierte Wahrnehmungen in dieser Thematik. Es ist eine große und schwierige Herausforderung für uns alle, doch die gehört angepackt. Welche Lösungen es gibt, das müssen Berufene sagen. Spenden ist eine Option. Wir im Skiverband wollten schon vor einem Jahr, als die erste größere Flüchtlingswelle kam, Kleidung spenden -damals hieß es noch, es gebe keinen Bedarf.

In der ZiB 2 bei Armin Wolf haben Sie im März gemeint, zur Politik sollten sich politische Experten äußern. Hat das auch damit zu tun, dass politische Statements im Skiverband nicht erwünscht sind?

Nein, der Skiverband mischt sich da nicht ein. Würde ich mich zur Politik erklären, wäre das so, als würden Sie mir in einer Ski-Fachzeitschrift erklären, wie das Präparieren von Skiern funktioniert. Das ist lächerlich. Ich interessiere mich für Politik. Ich kenne mich bis zu einem gewissen Grad aus, würde mich aber nie zu einer Fachexpertise hinreißen lassen. Das steht mir nicht zu. Ich äußere mich auch nicht dazu, wie eine Geburt funktioniert -das soll lieber eine Mutter erzählen. Es gibt Experten für die jeweiligen Gebiete. Wir können bei einem kleinen Bier gerne drüber reden, wer was meint und was vielleicht unserer Meinung nach das Gescheitere wäre, aber ich muss nicht als Hobbyanalytiker irgendwelche politischen Statements abgeben. Ich meine: Worüber du nicht reden kannst, sollst du schweigen.

Reden wir über Ihr Metier. In dem Dokumentarfilm "Streif - One Hell of a Ride" konnte man sehen, dass Sie auch im Sommer mit unglaublich hoher Intensität trainieren, etwa ganze Baumstämme hinter sich herziehen. Wie realitätsnah sind diese Aufnahmen?

Das ist Alltag. Das Standardprogramm. Da ist nichts beschönigt, nichts künstlerisch überzeichnet. Die Realität ist sogar noch eine Spur härter.

Würden Sie sagen, dass der Perfektionismus, mit dem Sie Ihren Sport betreiben, Sie deutlich von der Konkurrenz unterscheidet?

Ich kann schwer beurteilen, wie das die anderen machen. Aber natürlich ist es Fluch und Segen. Es fordert extrem, wenn man jeden Tag versucht, das Maximum aus seinem Körper herauszuholen, aber ich habe die grundsätzliche Einstellung: Das mache ich jetzt ein paar Jahre, und ich will das so effektiv und so gut wie möglich hinkriegen. Ich spüre aber sehr wohl, dass dieser Perfektionismus keine Dauerlösung ist. Unmöglich. Man kann mich bestimmt als Workaholic bezeichnen. Ich bin sicher komplett drüber, was die Belastungen betrifft. Aber ich lebe eben nach dem Grundsatz: Jetzt habe ich die Chance. In den letzten vier Jahren konnte ich sie nützen. Vielleicht gelingt mir das noch ein paar Jahre, vielleicht auch nicht mehr.

Gibt es bereits eine gewisse Sättigung?

Die gibt es. Aber in den letzten Jahren war einfach klar: mit Vollschub und mit vollem Elan alles dem Sport unterordnen. Mit Vollgas rein in die Mission, so erfolgreich wie möglich zu werden.

Als Workaholic, um in Ihrem Bild zu bleiben, wären Sie auch Burnout-gefährdet.

Ja, das bin ich.

Woher beziehen Sie nach so vielen Erfolgen noch Motivation?

Ich will einfach nicht zulassen, dass ich schlechter Ski fahre als ich könnte. Und ich will nicht aus dem Sonnenlicht weg. Ich weiß, dass ich Rennen gewinnen kann. Ich weiß gar nicht, wie viele es waren, aber einige. Und wenn man das einmal gespürt hat und weiß, dass es möglich ist, dann will man das nicht mehr anders haben. Für mich war früher auch ein 15. Platz ein Riesenerfolg. Was mich jetzt noch treibt, sind Siege. Und natürlich auch eine Riesenöffentlichkeit, die große Dinge von mir erwartet. Sponsoren, Partner, Kooperationen, die alle nur funktionieren, wenn ich gut Ski fahre.

Haben Sie sich an das Siegen gewöhnt?

Es macht Spaß, keine Frage. Das hat alles ganz klein begonnen. Ich wollte schon, hätte aber nie zu träumen gewagt, wirklich Spitzenathlet zu werden. Für mich war es früher ein großes Ziel, im Landeskader irgendwann einmal im Jahresbericht mit Foto aufzuscheinen. Wenn man da seinen Kopf drinnen hatte, dann war man im Skiclub eh schon ein Großer.

Gibt es Momente, in denen Sie denken: Im Schatten war es auch ganz angenehm?

Der Schatten kommt eh früh genug wieder. Es ist ein schönes Gefühl, erfolgreich zu sein. Wenn es einmal Kritik gibt, kann ich jetzt viel leichter damit umgehen, weil ich auf meinem Konto schon Erfolge verbuchen konnte. Wenn es bei mir nicht so läuft, kann ich sagen: Ja, was wollt ihr denn von mir? Ich werde immer lockerer. Den Hut, dass ich erfolgreich sein muss, lasse ich mir nicht mehr aufsetzen. Das macht mich unglaublich frei.

Wie erhält man sich den Spaß?

Gute Frage. Das ist gar nicht so einfach. Ich versuche, den Trainingsalltag so lustig wie möglich zu gestalten. Heißt: Sachen ins Training einzubauen, die brutal viel Spaß machen. Motocross fahren zum Beispiel, oder Kajak. Kann schon sein, dass ich einmal einen ganzen Nachmittag lang auf das Training pfeif', "Ihr könnt's mich gern haben", sag' und Wasserskifahren gehe, weil der letzte heiße Sommertag war. Da ich für mich selbst verantwortlich und mein eigener Chef bin, muss ich auch selbst mit den Konsequenzen leben. Dementsprechend versuche ich, mir gewisse Auszeiten zu nehmen. Das viele Training unter Hochdruck ist sicher keine Dauerlösung. Das spüre ich.

»Dass der Sportler unter dem Helm schreit und sich quält, das sieht man nicht.«

Ist es tatsächlich so, dass Sie in der Sommervorbereitung den perfekten Schwung immer wieder neu einlernen müssen?

Am ersten Tag, wenn man wieder am Ski steht, merkt man: Ui, das ist aber jetzt ein Haufen Arbeit, bis man wieder dort ist, wo man einmal war. Das ist bei einem Saisonsport leider die Crux. Man hört am Peak auf, und dann muss man sich wieder dorthin hanteln. Die letzten Hundertstel holt man nur über möglichst viele, qualitativ hochwertige Trainingsläufe. Im Fernsehen sieht das dann alles so einfach aus. Wenn ich Motocross schaue, dann denke ich mir auch: Sieht aus, als ob der Fahrer eh nichts täte -und dann schaffe ich nicht einmal eine Runde. Alles, was man kann, schaut für den Außenstehenden leicht aus. Dass der Sportler unter dem Helm schreit und brüllt und sich quält, das sieht man nicht.

Wenn Sie auf Ihr Erfolgsgeheimnis angesprochen werden, dann antworten Sie: Es ist ein Gesamtpaket aus Talent, Wille, Material und Umfeld. Sind Sie der talentierteste Rennfahrer der Gegenwart?

Nein. Aber zweifellos im privilegierten Bereich.

Wie viele Bessere gibt es?

Das kann ich schwer beurteilen. Wenn ich mich zurück erinnere, an meine Anfänge, da hat es schon Athleten gegeben, die mittlerweile auch alle Weltcup fahren, die hatten mehr Talent. Dass ich einen starken Willen habe, kann ich bestätigen.

Wann ist Marcel Hirscher zufrieden?

Wenn ich mein Bestmögliches geben konnte, was meine Person betrifft.

Wie schaffen Sie es, Ihre Leistungen punktgenau abzuliefern?

Als ich in den Weltcup kam, war ich ein Kamikaze-Fahrer. Entweder draußen -oder sehr schnell. Mittlerweile, nach sehr viel Training und dem ständigen Ausloten des Limits, weiß ich, was geht und was nicht.

Arbeiten Sie mit Sportpsychologen?

Nein. Ich habe das Gefühl, dass ohnehin nur ganz wenige Menschen überhaupt verstehen können, was da eigentlich abgeht, wenn in Schladming 70.000 Menschen schreien und von dir erwarten, dass du bei der Weltmeisterschaft Gold holst. Man kann das in der Theorie vielleicht besprechen. Aber in der Praxis? Entweder du kannst mit dem Druck umgehen und hältst ihm stand, oder nicht. Ich will nicht sagen, dass die Arbeit mit Psychologen nichts bringt, doch ich persönlich habe nicht das Gefühl, dass es notwendig ist.

Nervt es Sie, wenn Sie gelobt werden, obwohl Sie aus Ihrer Sicht gar nicht gut waren?

Das kommt darauf an, wer das macht. Wenn ein echter Insider, mein Trainer etwa, mich loben würde, obwohl er weiß, das war jetzt eigentlich nichts oder es wäre mehr möglich gewesen, dann würde ich das sehr unlustig finden, weil dann hat er mich verarscht.

Und wenn es ein Reporter macht?

Dann kommt es darauf an, wer es ist.

Wie sehr leidet Ihr Privatleben unter den Erfolgen? Wie viel Privatsphäre würden Sie noch aufgeben? Nichts mehr. Haben Sie bereits zu viel Privatsphäre aufgegeben?

Das kann man so stehen lassen. Es ist definitiv der Gipfel erreicht. Privat soll einfach privat bleiben. Da gibt es eine Grenze, und die wird auch verteidigt. Ich bin natürlich eine Person der Öffentlichkeit. Wenn ich bei einer TV-Sendung bin, dann bin ich für jeden Autogrammwunsch, für jedes Foto zu haben. Wenn ich aber beim Essen bin, und es fotografiert mich jemand dabei, wie ich mir gerade genüsslich die Nudeln in den Mund schlürfe, dann ist bei mir mittlerweile Schluss mit lustig. Am Anfang habe ich das auch noch geschluckt. Aber das geht gar nicht. Man muss sich ja nur vorstellen, wenn das umgekehrt wäre.

Ist es richtig, dass Ihnen sogar auf der Autobahn Fans gefährlich nahe kommen, um ein Bild oder Video zu machen?

Finger weg vom Handy beim Autofahren, das wissen wir ja alle. Dennoch passiert es leider, dass gewisse Leute neben mir fahren, mich mit dem Handy filmen und nicht mehr auf die Straße schauen. Die schauen nur darauf, dass sie das Richtige filmen. Das kann mühsam sein. Wenn ich links und rechts nicht mehr auskomme, eine echte Gefahrensituation entsteht, dann müsste ich normalerweise die Polizei rufen. Jetzt ist die Frage: Fahre ich wirklich so geile Kisten, oder es liegt an mir?

Können Sie mit Ihrer Freundin in Österreich noch in Ruhe essen gehen?

Nein. Das, was der Normalbürger unter Entspannung und Relaxen versteht, das fällt für mich zu 90 Prozent weg.

Belastet das eine Beziehung?

Mittlerweile nicht mehr, weil wir beide sehr gut damit umgehen können. Und sehr viel dazugelernt haben.

Wie viel Kunstfigur steckt in Marcel Hirscher? Wie authentisch sind Sie?

In den letzten fünf Jahren war ich sicher sehr authentisch. Ich kann keine Rolle spielen, das habe ich am Anfang mal versucht. Damals habe ich nach einem Ausfall im Rennen gesagt: "Alles halb so schlimm." Funktioniert nicht! Natürlich tut es weh. Und deshalb: Wenn ich etwas tue, dann mache ich das aus Überzeugung. Weil es dann für mich einfacher ist, mit den Konsequenzen zu leben.

Sie sind also kein Skifahrer 2.0, der durchgestylt und durchgecoacht ist?

Ich fühle mich freier, wenn ich ich selbst sein kann, und zusätzlich habe ich auch noch ein perfektes Team um mich.

Wer kritisiert Sie, wenn Sie ungeschickte Aussagen treffen? Wer ist Ihr Korrektiv?

Viele. Aber im engsten Umfeld. Die anderen sollen sich putzen. So etwas kommt doch nur an, wenn es von jemandem kommt, den man fachlich respektiert, dem man vertraut und der es ehrlich meint mit einem.

Das skibegeisterte Österreich verlangt von einem Wintersportler, dass er sich auch mit Teamkollegen freut. Ist das immer so einfach? Skifahren ist -abgesehen von den paar Teambewerben -doch ein Einzelsport.

Es gab Zeiten, als ich noch nicht erfolgreich war, da habe ich mir damit schwergetan. Das hat sich geändert. Mittlerweile stellt sich bei mir eine gewisse Genugtuung ein, was Erfolge betrifft. Ich gönne den Konkurrenten den Erfolg, habe null Problem damit. Ich freue mich für andere, weil ich weiß, wie viel harte Arbeit es braucht, um erfolgreich zu sein. Und weil ich viel erfolgreicher war, als ich selbst mir das jemals erwartet hätte.

Ein Hermann Maier hat sich auch im höheren Alter noch geärgert, wenn Stephan Eberharter gewonnen hat. Und Sie stehen da drüber?

Bei den beiden war das eine spezielle Situation. Sicherlich etwas verschärfter als mein Konkurrenten-Umfeld. Nur: Ich war schon so oft näher am Aufhören als am Weiterfahren, dass ich das relativ entspannt sehe. Alles, was noch kommt, ist sehr positiv. Wenn etwas nicht funktioniert, werde ich versuchen, gegenzusteuern. Aber es ist nicht mehr das unbedingte Muss da.

Wann waren Sie zuletzt näher am Aufhören?

Letztes Jahr. In der Saison 2013/2014.

Gab es da ein spezielles Ereignis?

Nein, nichts, was ich herauspicken könnte.

»Im Zeitalter der fucking Smartphones kannst du beim Autofahren nicht einmal Nasenbohren.«

Hermann Maier lebte als Typ auch von seinen Ausrutschern, vom gestohlenen Polizeiauto bis zur demolierten Telefonzelle. Sind Sie ein Mann ohne Eskapaden, oder wird der Skizirkus heute einfach besser abgeschottet?

Die Zeiten haben sich geändert. Es ist eine andere Zeit, eine andere Generation, es sind andere Typen. Im heutigen Zeitalter, mit den fucking Cellphones - sprich: Smartphones, Facebook und so weiter -kannst du nicht einmal mehr Nasenbohren beim Autofahren. Also: Es ist ziemlich langweilig. Abgesehen davon, dass ich nicht beabsichtige, jetzt in der ganz großen Liga zu spielen, was das Feiern von Partys betrifft: Aber so wie man mit 18 gefeiert hat, da bräuchte ich heute einen guten Grund, damit ich das rechtfertigen kann. Was ziemlich schade ist, wie ich finde.

Als Sportler müssen Sie extrem egoistisch sein, um Ihre Ziele zu erreichen. Haben Sie privat noch ausreichend Energie, ausgeglichen zu sein?

Ich habe - speziell am Ende einer Saison -sehr oft eine Situation, mit der ich im Sommer ganz anders umgehen würde. Weil einfach der Stresslevel schon so hoch ist, dass es mir fast durch die Schädeldecke rausraucht. Da kann es schon Situationen geben, die mich - wenn ich relaxed wäre -überhaupt nicht stressen würden. Aber wenn alles Spitz auf Knopf zusammengeht, hat man ein sehr dünn besaitetes Nervenkostüm. Und da ist es dann gut, wenn man aufpasst und die richtigen Menschen an seiner Seite hat.

Hat sich Ihr Freundeskreis mit den Erfolgen verändert?

Nein. Ich habe wenige gute Freunde, noch immer die gleichen Buddys wie früher. Und ein paar neue, was auch gut ist, aber eher ältere Freunde.

Kein Problem mit Schulterklopfern? Konnten Sie da immer differenzieren?

Nicht immer. Als ich mir den Fuß gebrochen hatte, war schnell klar, wer nur an meinem Vermarktungserfolg, an meinem Sonnenlicht interessiert ist. Und viele sind nicht übrig geblieben.

Sie wollen noch bis 2018, 2019 aktiv bleiben. Warum gehen Sie so offen mit Ihrem Karriereende um? Andere Sportler würden wohl taktieren und auf langfristige Sponsorenverträge hoffen.

Solche Sportler gibt es. Aber ein Erntejahr, das interessiert mich nicht. Nein! Da verdiene ich lieber ein bissl weniger Geld. Spiele spielen kann ich daheim im Wohnzimmer - im besten Fall mit den Kindern.

Sie zählen mittlerweile zu Österreichs bestverdienenden Sportlern. Welche Rolle spielt Geld noch in Ihrem Leben?

Geld wird immer eine Rolle spielen. Ich muss mir auch Essen kaufen, muss wohnen, leben. Am Anfang der Karriere hat mich die Situation komplett überfordert. Ich musste mir mit 18 plötzlich Gedanken machen, wie man Geld klug anlegt. Ich komme aus einem ganz normalen, bescheidenen Elternhaus, in dem sehr gut überlegt wurde, ob man eine neue Jeans braucht oder nicht. Oder ein neues Paar Laufschuhe. Das ist bei mir noch immer so. Ich war nie der Typ, der das Geld beim Fenster rauswerfen oder verbrennen wollte.

Wem vertrauen Sie, was Geldanlage betrifft? Abgesehen davon, dass eine Bank Ihr Hauptsponsor ist.

Es gibt ein paar Leute, die das bis jetzt glücklicherweise ganz gut gemacht haben.

Sind Sie in der Geldanlage auch jemand, der das Risiko liebt?

Ich bin ein sehr konservativer Anleger.

Haben Sie schon im Kopf, was Sie nach der Skikarriere machen werden?

Zum Beispiel eine eigene Skimarke. Eigene Ski. Komplett individuell designt. Das ganze Konzept darf und will ich nicht verraten. Ich habe es aber schon im Kopf.

Den Skiherstellern geht es aber wirtschaftlich nach wie vor nicht sehr gut.

Das wäre ganz ein anderer Markt. Limitiert. Ganz klein. Einzelstücke, in einem anderen Preissegment. Etwas für einen Liebhaber, der sich da schon etwas Spezielles zusammenstückeln kann, wenn er möchte. Das wäre so eine Geschichte, wo wir familienintern schon sehr gut aufgestellt wären. Mit Grafikern, Skibauern und meiner Wenigkeit. Aber die Rallye Dakar, Motocrossrennen, Autorennen, die Freeride World Tour, Powder Skiing -all das würde mich ebenfalls sehr reizen. Ich bin geschwindigkeitsaffin. Geschwindigkeit ist ein unglaublich schönes Gefühl.

Würden Sie sich nach der Skikarriere eine Auszeit gönnen oder sich sofort wieder in ein neues Abenteuer stürzen?

Kann gut sein, dass ich meinem Körper zwei, drei Jahre lang wieder zurückgebe, was ich ihm genommen habe. Also: gesund leben, viel schlafen, viel Rad fahren, auf den Berg gehen, alles ist möglich. Spitzensport ist -so, wie ich ihn betreibe -in gewissen Bereichen ungesund.

Viele erfolgreiche Sportler sagen: Ich hatte meine Karriere, ich kann mich nicht ein zweites Mal an die Spitze quälen. Wie ist das bei Marcel Hirscher?

Es muss nicht die Spitze sein. Ich muss jetzt nicht die meisten Paar Ski verkaufen. Wenn sich Einnahmen und Ausgaben die Waage halten, wäre das schon ein großer Erfolg. Mich treibt der Spaß, die Leidenschaft. Sonst wäre ich ja nur einer unter vielen.

Sehen Sie sich in einer Reihe mit nationalen Skihelden wie Toni Sailer, Karl Schranz oder Hermann Maier?

Nein.

Warum nicht?

Weil ich noch keine grauen Haare habe. Nein, gar nicht.

Wie patriotisch ist Marcel Hirscher wirklich? Wie sehr fühlen Sie sich als Österreicher?

Da komm' ich her, da gehöre ich hin.

Zur Person:
Marcel Hirscher Das Skifahren wurde dem vierfachen Weltmeister in Annaberg im Lammertal quasi in die Wiege gelegt: Vater und Mutter (eine Niederländerin) sind Skilehrer. Der heute 26-jährige Salzburger, Absolvent einer Hotelfachschule, ist der erste alpine Rennläufer, der vier Mal in Serie, von 2012 bis 2015, den Gesamtweltcup gewinnen konnte. Hirscher feierte bisher 72 Podestplätze (davon 31 Siege).

© Video: Kurt Prinz

Kommentare

Seine Probleme wollen viele haben..........

Bravo, Marcel, Sie sind ein Supertyp!

Er soll Skifahren, gewinnen und kassieren. Aber bitt schön, erspart uns seine Kommentare.

Na Raiffeisen wirds schon richten das es im nicht schlecht geht ...so wie dem unsympatler Herrmann Maier

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