Alles muss raus

Wenn die Welt uns Angst macht, hilft der Rückzug in die Natur

Wem die Welt zu bedrohlich wird, der findet seine Ruhe oft wieder in der Natur. Psychologen, Ärzte und Menschen, die mit der Natur arbeiten, bestätigen: Schon ein Blick ins Grüne reicht, um uns glücklicher zu machen.

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Gesundheit - Alles muss raus

Zuerst vor dem Fernseher und dann auch noch den ganzen restlichen Tag zu Hause herumgehockt. Nicht einmal kurz auf dem Spielplatz gewesen. Und schon gar nicht über Wiesen gestreunt. Bei den meisten jüngeren Kindern merkt man die Wirkung des "Stubenhockens“ sofort. An sich freundliche und ausgeglichene Wesen verwandeln sich in unleidliche, quengelnde kleine Monster. Doch kaum kommen sie hinaus ins Freie - noch besser: ins Grüne -, sind sie plötzlich wieder die liebenswerten Kinder, wie man sie kennt.

»In der Umweltmedizin gibt es den Begriff Vitamin G«

Wissenschaftler haben einen offiziellen Namen für dieses Phänomen: Naturdefizitsyndrom. Es befällt eigentlich nicht nur Kinder. Aber Kinder spüren noch, dass ihnen etwas fehlt, und reagieren entsprechend unzufrieden. Im Lauf des Erwachsenwerdens lernen viele, mit diesem Defizit zu leben, und vermissen die Ausflüge in die Natur gar nicht mehr. Im Gegenteil: Sie scheuen den Aufwand, um ins Grüne zu kommen. Doch ausgeglichen sind Erwachsene mit Naturdefizit nicht. Sie wissen nur meist nicht, woher ihre innere Unruhe und Unzufriedenheit kommen.

"In der Umweltmedizin gibt es den Begriff Vitamin G“, sagt Daniela Haluza, Umweltmedizinerin an der Med-Uni Wien. Das "G“ steht für grün. Denn die Natur ist für die Gesundheit extrem wichtig. Die Wirkung von "Vitamin G“ beschreibt Haluza so: "Durch die Bewegung im Grünen werden körpereigene Endorphine ausgeschüttet. Das führt zu einer Stressreduktion. Puls und Blutdruck sinken. Die Luft ist gut, da grüne Pflanzen den Feinstaub reduzieren. Außerdem sind alle Sinne aktiv, denn man riecht den Wald und die Blumen, hört Vögel zwitschern und Blätter rauschen und man geht auf unebenem Waldboden.“

Bewegung im Grünen

Dafür muss man nicht einmal Stunden in der Wildnis ausharren, schon täglich zehn Minuten leichte Bewegung im Grünen genügen. Sogar ein Spaziergang im Park reicht. Die gesundheitsfördernde Wirkung von Grün wird in manchen Ländern bereits systematisch genützt. In Südkorea gibt es anerkannte "Heilwälder“, in denen Menschen, die unter großem beruflichem Stress, psychischen Problemen oder schweren Krankheiten leiden, vom Arzt verordnet Zeit verbringen. Im oberösterreichischen Mühlviertel will man nun sogar "Waldbademeister“ ausbilden und ab nächstem Jahr Touristen einen Kuraufenthalt im Wald anbieten.

Verschiedene Studien mit Patienten, Häftlingen und Studierenden, von denen manche auf eine graue Wand und manche in die Natur blickten, belegen den Erholungswert des Blicks ins Grüne. Die Umweltpsychologin Renate Cervinka berichtet, wie wichtig es ist, zum Beispiel das Umfeld eines Spitals richtig zu gestalten. "Bei der Gestaltung von Krankenhausgärten achtet man mittlerweile darauf, dass für alle Gruppen ein Angebot da ist“, sagt sie. Patienten sollen dort einfach Bewegungen und Übungen machen können; die Menschen, die dort arbeiten, sollen in ihren Pausen Erholung finden; jene, die zu Besuch kommen, sollen, wenn sie ankommen und auch wenn sie vielleicht belastet wieder weggehen, durch das Grün Entspannung finden. Auf Palliativstationen und bei der Betreuung Demenzkranker und psychisch Kranker wird zunehmend auf die heilsame Wirkung von Gärten und sogar Selbstgärtnern gesetzt.

Auch im Alltag hat so ein Garten einen beträchtlichen Erholungswert. Auf einer zehnteiligen Skala bekommt das Grün ums Eigenheim die Note acht, der Erholungswert einer begrünten Terrasse, eines Balkons oder eines begrünten Wohnzimmers wird von den Teilnehmern einer wissenschaftlichen Studie nur mit 6,7 bewertet. Zum Vergleich: Eine Grünfläche in einem Industriegebiet hat den Erholungsfaktor 3,5. "Die Wirkung des Gartens liegt im milden Tun, mit dem man den Arbeitsalltag ausklingen lässt“, sagt Cervinka. "Außerdem lässt die Arbeit saisonal auch wieder nach, und man kann selbst bestimmen, welchen Aufwand man treibt. Ein Garten wächst und entwickelt sich mit einem mit.“

Ein Garten entspricht zudem jener Vorstellung einer "gezähmten“ Natur, mit der man in der westlichen Welt Erholung assoziiert. Naturverlust reduziert das Wohlbefinden, erklärt Cervinka. Wer sich gut fühlen will, sollte sich regelmäßig in der Natur aufhalten. Selbst eine kleine Dosis Natur zeigt positive Wirkung; genauso, wie sich die Natur nur vorzustellen.

»40 Sekunden auf einen Baum zu schauen hat einen nachgewiesenen Effekt auf die Leistungsfähigkeit«

"40 Sekunden auf einen Baum zu schauen hat einen nachgewiesenen Effekt auf die Leistungsfähigkeit“, sagt Cervinka. Daher empfiehlt die Psychologin, während der Arbeit einfach einmal den Blick aus dem Fenster schweifen zu lassen. Die Mittagspause sollte man sowieso besser im Park als am Schreibtisch verbringen. Und das sollte auch Chefs interessieren: "Erholte Mitarbeitende sind aufgrund erhöhter Leistungsfähigkeit effizienter, weil sie weniger Fehler machen.“

Raus aus dem Hamsterrad

Nationalpark-Ranger Robert Müllner war schon erwachsen, als er seine Liebe zur Natur entdeckte. Es war ein Stieglitz, der sein Interesse weckte. "Ich saß mit Frau und Kindern beim Essen, und plötzlich kam ein wunderschöner Vogel zu unserem Vogelhäuschen. Dass niemand von uns wusste, welcher Vogel das ist, schockierte mich“, sagt Müllner. Von diesem Tag an interessierte er sich für die Vogelwelt und verbrachte immer mehr Zeit in der Natur. Mittlerweile kennt er die Stimme praktisch aller Vögel, die im Nationalpark Thayatal beheimatet sind, und kann sie so gut imitieren, dass die Vögel ihm sogar antworten oder zu ihm kommen.

»Viele haben mittlerweile verlernt, Natur wahrzunehmen und sich Zeit für die Natur zu nehmen«

Seit zwei Jahren gibt er seine Freude an der Natur und sein Wissen an interessierte Erwachsene und Schulkinder weiter. Dabei fällt ihm auf, dass immer weniger Menschen in und mit der Natur zurechtkommen. "Viele haben mittlerweile verlernt, Natur wahrzunehmen und sich Zeit für die Natur zu nehmen. Alles andere ist immer wichtiger.“ Die Leute seien in ihrem Hamsterrad gefangen. Sich einfach einmal hinzusetzen, nichts zu tun und in die Natur zu hören und zu schauen, müssten sie erst wieder lernen. Für viele Kinder seien sogar banale Dinge, wie im Wald die Notdurft zu verrichten, eine kaum zu meisternde Aufgabe, erzählt der Ranger.

Friedrich Holzinger, Revierleiter der Österreichischen Bundesforste in Purkersdorf, ist auch aufgefallen, dass das Fachwissen der Schüler immer geringer wird. Außerdem würden die Menschen verlernen, die Natur zu genießen. Der Förster freut sich immer, wenn er Menschen in der Natur sieht. Aber er fragt sich auch, weshalb die Hälfte aller Läufer, denen er im Wald begegnet, immer Stöpsel im Ohr haben müssen. "Sie bewegen sich dann zwar in der Natur, nehmen diese aber gar nicht wahr“, sagt Holzinger.

Dem Naturarbeiter fehlt das Verständnis für Menschen, die zwar im Wald spazieren, dabei aber alle paar Minuten auf ihr Smartphone starren oder durchgehend telefonieren müssen. "Diese Menschen bemerken gar nicht mehr, was um sie rundherum passiert“, sagt Holzinger. "Sie haben außerdem verlernt, wie sie wieder runterkommen und sie endlich wieder einmal abschalten können.“ Laut einer Umfrage der österreichischen Nationalparks suchen Menschen vor allem schöne Natur und Ruhe, um sich perfekt erholen zu können. Das Handy dabei abschalten wollen allerdings nur wenige. Gerade ein Drittel der Befragten gab an, dass es für sie erholsam sei, nicht ständig erreichbar zu sein.

Radius: 500 Meter

Kinder wollen sich in der Natur nicht erholen, sie wollen diese entdecken. Im Roots Camp, einem Sommercamp für Kinder in der Buckligen Welt, können sie genau das tun. Sie können stundenlang durch die Natur streifen, auf Bäume klettern, im Bach spielen - mit nackten Füßen und hochgekrempelten Hosen.


Zurück zu den Wurzeln: Smartphones und sonstige elektronische Geräte sind im Roots Camp verboten. Für viele eine wichtige Erfahrung. Denn die Ergebnisse einer deutschen Studie sind schockierend: Fast die Hälfte aller Kinder ist noch nie auf einen Baum geklettert und zwei Drittel der Schüler hatten noch nie einen Käfer oder Schmetterling auf der Hand.

»Ich glaube, wir erziehen eine Generation auf erschreckende Art nicht artgerecht«

Der Bewegungsradius eines Kindes hat seit den 60er-Jahren von etwa acht Kilometern ums Haus auf etwa 500 Meter abgenommen. "Die Kinder können auch einen Frosch nicht von einer Kröte unterscheiden und sagen zum Kalb Babykuh“, sagt Campleiter Jürgen Schneider. "Ich glaube, wir erziehen eine Generation auf erschreckende Art nicht artgerecht. Würden wir Meerschweinchen so halten, würden wir wegen Tierquälerei angezeigt.“

Erwachsene machen sich oft darüber lustig, dass Stadtkinder eine Kuh lila anmalen würden. Dabei sind sie selbst dafür verantwortlich, wie viel oder wenig Kinder über die Natur wissen. Laut "Jugendreport Natur 2010“ wissen nur 52 Prozent der 3000 Befragten, dass Walnüsse auf Bäumen wachsen. Dabei würden 74 Prozent der Kinder sogar gerne unbekannte Landschaften entdecken, 56 Prozent am liebsten kreuz und quer durch den Wald streifen und 49 Prozent Rehe in freier Wildbahn beobachten. Nur ermöglichen müsste man es ihnen halt.

Natur heißt auch voneinander lernen. Das beobachtet auch Yara Coca Dominguez vom Wiener Verein Gartenpolylog, die unter anderem den Gemeinschaftsgarten Macondo in Simmering betreut. Hier haben sich über Jahrzehnte verschiedene Flüchtlingsgenerationen ihr grünes Refugium geschaffen. Momentan teilen sich 23 Familien aus Afghanistan, Pakistan, Syrien, Kroatien und Nepal die Parzellen im 800 Quadratmeter großen Garten. Viele von ihnen leben in kleinen Flüchtlingswohnungen in der Nähe. "Für die Frauen ist der Garten ein Erholungsort und Rückzugsgebiet, wo sie unter sich sein können“, sagt Dominguez. Was sie hier ernten, hilft den Familien durch den Alltag. Und die Menschen aus verschiedenen Ländern lernen hier viel über das Zusammenleben, über das soziale und das meteorologische Klima im Land. Die Menschen haben in ihren Gärten eine sinnvolle Tätigkeit, einen Ort, wo sie willkommen sind. Klar gebe es auch Konflikte, sagt Dominguez. "Aber alle schätzen diesen Ort und wissen, dass sie etwas tun müssen, um ihn zu bewahren.“ Denn neben dem eigenen Beet geht es bei diesen Projekten eben auch darum, Verantwortung für das Gemeinsame zu übernehmen: "Der Garten ist ein Schauplatz für viele Dinge, die außerhalb des Gartens auch wichtig sind.“

Kommentare

Und gerade in diesem Moment werden wieder Naturflächen zubetoniert für den Parkplatz eines unnötigen Konsumtempels in dem eine sinnentleerte Gesellschaft dem Kosumwahn frönt oder ein Stück Wald wird zur Weide damit die Menschheit weiterhin Unmengen an Fleisch essen kann. Irdendwann wird keine Natur mehr dasein. Was soll dann geschehen? Darum ist Naturschutz eines der wichtigsten Dinge die es gibt

Henry Knuddi

der wald erzeugt OO als abwehr

Illus melden

Wie gut, dass die Menschheit dann alles zubetoniert!

Henry Knuddi
Henry Knuddi melden

und dana renaturiert, weil beton hochwasser erzeugt und weil beton langsam ausgeht

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