Früher waren wir alle anders

Die "Generation Y" gilt als beziehungsunfähig, "Generation Z" wird als unmotiviert und faul beschrieben und die "Boomer" sind egozentrisch und verständnislos. Was ist dran am Generationenkonflikt? Ein deutscher Forscher meint: Es gibt keine Generationen, wohl aber Diskriminierung.

von Generationen © Bild: Pexels/Cottonbro

Selten wurde so viel über Generationen geschrieben wie in den letzten Jahren. Dabei sind es Debatten, die vermutlich immer schon geführt wurden, auf die eine oder andere Weise.

Zahllose Autoren, Trend- und Generationenforscher befeuern die Auseinandersetzung mit der Frage nach den Generationen im Wandel: Viele von ihnen beraten heute Unternehmen und geben Tipps, wie Arbeitgeber den Umgang mit jüngeren Jobwerbern "lernen" und deren Werte verstehen.

Generationenforschern und -analytikern kommt heute beinahe Guru-Status zu. So auch Michael Nast: Der bekannte deutsche Autor feierte seinen Durchbruch mit seinem 2016 erschienenen Beziehungsratgeber "Generation Beziehungsunfähig", der es auf Anhieb an die Spitze der Spiegel-Bestsellerlisten schaffte. Damit stieß der gebürtige Berliner gesellschaftliche Debatten an, die bis heute andauern. Seine Lesungen sind regelmäßig ausverkauft, seinen mehr als 340.000 Followern auf Instagram liefert er Beziehungstipps und analysiert das Verhalten seiner eigenen Generation. Nur: Gibt es die überhaupt – oder haben Menschen in einem ähnlichen Alter alle ähnliche Sorgen?

(K)eine Frage des Alters

Martin Schröder widmet sich dem Thema Generationen nicht nur aus populärwissenschaftlicher Sicht, sondern in einem tatsächlichen wissenschaftlichen Setting. Der Soziologe forscht an der Universität des Saarlands zu Themen wie soziale Ungleichheit, Sozialstaat, Moral und Lebenszufriedenheit.

Schröder zufolge gibt es keine Generationen – zumindest nicht, wenn man sich die Daten ansieht."Empirisch gibt es keine Generationen. Sie sind ein Mythos, statt ein messbarer Fakt." Er selbst ist auf dieses Thema aufmerksam geworden, als ihm eine Agentur einen lukrativen Buchvertrag in Aussicht stellte, mit dem Auftrag, zu beweisen, dass die Generation Y anders tickt als andere Generationen: "Doch ich fand nichts."

Hände
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Schröder analysierte die Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP), einer Panelstudie, die aus repräsentativen Wiederholungsbefragungen besteht. Jährlich werden hierfür seit 1984 immer wieder Privatpersonen aus Deutschland zu ihren Einstellungen in Bezug auf bestimmte Themen, wie Arbeit oder Chancengleichheit, befragt und daraus Informationen zum Wandel der Gesellschaft abgeleitet. Eine Mammutaufgabe bei Hunderttausenden Interviews: "Dabei rechne ich erst die oben genannten Alters- und in einem zweiten Schritt die oben genannten Periodeneffekte heraus, um zu testen, ob nach diesen beiden Effekten Einstellungsunterschiede übrig bleiben, welche man mit dem Geburtsjahr einer Person und insofern mit ihrer vermeintlichen Generationenzugehörigkeit erklären kann."

Von Generationen, so Schröder, könne man nur dann sprechen, wenn Menschen gleichen Alters zum gleichen Zeitpunkt je nach Geburtszeitpunkt unterschiedliche Einstellungen haben. Doch Schröder zufolge wird ein Punkt in den Debatten immer vernachlässigt: der Periodeneffekt.

Zeitgeist

"Wer später geboren wurde, wurde im Schnitt auch später nach seiner Meinung gefragt", erklärt der Forscher. "Doch wir alle denken heute anders als früher. Wenn beispielsweise alle heute weniger arbeiten wollen als früher, sagt das nichts über Generationen aus, sondern ist vielmehr ein Effekt des historischen 'Zeitgeists', der alle gleichermaßen betrifft, unabhängig davon, wann man geboren wurde und zu welcher Generation man gehört."

Der intuitive Eindruck, dass junge Menschen heutzutage weniger arbeitswillig sind als frühere Generationen, ist also nicht gänzlich falsch, meint der Soziologe. "Er hat nur nichts mit Generationen zu tun, sondern liegt einerseits daran, dass junge Menschen schon immer weniger arbeiten wollten als mittelalte und dass alle Menschen, egal, welchen Alters und Geburtsjahrs, Erwerbsarbeit heute für weniger wichtig halten als früher. Wir verwechseln also Alters- und Perioden- mit Generationeneffekten und sehen Generationen, wo keine sind."

»Generationismus erfüllt heute einen ähnlichen Zweck wie vorher Sexismus oder Rassismus«

Martin Schröder, Soziologe an der Universität des Saarlands

Schröders Fazit: Nicht die Generationenzugehörigkeit erklärt, wie wir denken, sondern wann wir danach gefragt werden. „Berücksichtigt man den Effekt unterschiedlicher Lebensphasen und Befragungszeitpunkte, bleiben kaum Generationeneffekte übrig.“

Manchmal, so der Forscher, könne man tatsächlich einen sehr schwachen Generationeneffekt in den Daten erkennen, jedoch ohne wirkliche Signifikanz. "Vielleicht liegt das auch daran, dass wir einige wenige Aktive für eine Generation halten, so dass fünf Prozent politisch Aktive ein paar Jahrzehnte später den Ruf 'der 68er' prägen – oder wir einige wenige Klimakleber mit der Generation Z verwechseln."

Lieber negativ

Doch wieso wollen so viele Menschen immer noch an Generationen glauben, wenn es sie doch faktisch nicht (oder Schröder zufolge zumindest nicht mit hoher Signifikanz) geben kann? Der Forscher meint: "'Generationismus' erfüllt heute einen ähnlichen Zweck wie vorher Sexismus oder Rassismus." Unser Gehirn, so der Soziologe, liebt es, Menschen in Gruppen einzuteilen. Denn indem wir andere Gruppen abwerten, können wir unsere eigene Gruppe aufwerten, was Menschen ein befriedigendes Gefühl verleiht.

Während bei bestimmten Merkmalen, wie Hautfarbe oder Geschlecht, mittlerweile mehr Sensibilität herrscht, ist die Diskriminierung des Alters immer noch weitgehend gesellschaftlich akzeptiert und kann sowohl junge als auch alte Menschen betreffen.

Dass das menschliche Gehirn Vorurteile bereitwilliger verarbeitet, wurde in einer Studie der University of Oxford bestätigt:

10 Mal relevanter als Generationeneffekte sind Periodeneffekte, so Schröder. Auf Einstellungsskalen können diese zu Veränderungen von einem ganzen Skalenpunkt führen, während Generationeneffekte sich lediglich mit 0,1 Skalenpunkten niederschlagen

Das Forscherteam rund um Professor Robin A. Murphy konnte nachweisen, dass das Gehirn negative Informationen über bestimmte menschliche Gruppen bevorzugt behandelt, sich jedoch schwerer damit tut, positive Aussagen über diese zu verarbeiten. Damit nicht genug: Sobald ein negatives Vorurteil vom Gehirn verarbeitet wurde, sammelte dieses fleißig weiter negative Informationen ein, um ebendieses Vorurteil zu festigen. Sogar positive Aspekte konnten das Vorurteil nicht abschwächen, im Gegenteil: Sie wurden als Anomalie bewertet, anstatt den Stereotypen aktiv entgegenzuwirken.

Früher war nicht alles besser

Wer den eigenen Vorurteilen auf den Grund gehen möchte, hat also einiges an Arbeit vor sich. Denn eine weitere Eigenart des Gehirns ist, dass sich Gewohnheiten nur mit viel Aufwand verlernen lassen. Dabei müssen bestimmte neuronale Verknüpfungen abgeändert werden. Gerade in puncto Diskriminierung lohnt sich der Aufwand aber: Die Universität Mannheim konnte in einer Studie aufzeigen, dass Diskriminierung die psychische Gesundheit unmittelbar verschlechtert, sogar dann, wenn man nicht unmittelbar davon betroffen ist. Man könne also sagen: Diskriminierung verschafft Menschen vielleicht einen kurzfristigen Ego-Boost, schadet jedoch langfristig.

Dass viele Menschen ein großes Interesse daran haben, Generationen gegeneinander abzugrenzen, hat Schröder zufolge auch einfach monetäre Gründe. "Viele Menschen verdienen mit der Behauptung, dass es Generationen gibt, Geld." Selbsternannte Generationsversteher, so der Forscher, wollen Coachings verkaufen oder als Speaker gebucht werden. Verlässlich sind stereotype Aussagen über Generationen also nicht. Die "emsigen Babyboomer" und die "faule Generation Z" haben somit eins gemeinsam – beide sind Klischees.

Dieser Beitrag erschien ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 15/2024.