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62 Punkte liegen zwischen WM-Leader Verstappen und Norris, nachdem Red Bull sechsmal in Serie nicht gewonnen hat. Das gilt gleich für Verstappen, eine so lange Sieglosigkeit hatte der Niederländer zuletzt 2020. Mit sieben Saisonsiegen hat der Titelverteidiger zwar fast so viele wie die jeweils dreimal siegreich gebliebenen McLaren, Ferrari und Mercedes gemeinsam, an Podestplätzen liegt aber Norris mit dem "Oranje" bei jeweils zehn schon gleichauf. Freilich hat Norris mit dem auch nur 106 Zähler hinter Verstappen lauernden Oscar Piastri den härteren internen Widersacher.
Das hat McLaren aber in ein Dilemma gebracht, denn nicht nur in Monza hat Piastri als da Zweiter besser gepunktet als Norris. Der hätte Verstappen weiter auf die Pelle rücken können, hätte es da eine Stallorder bei McLaren gegeben. Dieses Thema gewinnt von Rennen zu Rennen nun mehr an Bedeutung, Teamchef Andrea Stella stellte daher am Donnerstag in einem BBC-Interview die Dinge auch klar: "Das oberste Prinzip ist, zu gewinnen. Aber wir wollen es auf die richtige Weise tun. Wir unterstützen Lando, aber ohne zu sehr gegen unsere Team-Prinzipien vorzugehen."
Stella gab an, eine Wiederholung von Monza vermeiden zu wollen, als Verstappen nur Sechster geworden war und Norris Punkte "hergeschenkt" hat. Gespräche mit den beiden Fahrern seien laut Stella konstruktiv gewesen. "Sogar als ich Oscar gefragt habe, ob er in so einem Fall auf einen Sieg verzichten würde, hat er gesagt, dass es zwar schmerzvoll sei, aber dass es derzeit das Richtige sei. Er würde es machen. Wir kämpfen gegen Max Verstappen. Also denke ich, wenn wir einen Fahrer unterstützen wollen, müssen wir den auswählen, der in der besten Position ist."
Piastri meinte in Baku, dass die Teamorder für ihn "kein großer Spaß" sei. Aber er habe erkannt, dass es ein größeres Bild gebe. "Natürlich würde ich es vorziehen, sie (die Stallorder, Anm.) nicht zu haben. Aber ich bin mir sehr bewusst, dass es nicht nur um mich geht, und ich bin froh, zu diesem Zeitpunkt der Saison eine unterstützende Rolle zu spielen", fügte der Australier hinzu. "Ich denke, zu einem früheren Zeitpunkt der Saison wäre es wahrscheinlich übertrieben gewesen, aber ich denke, jetzt ist der richtige Zeitpunkt, um dem Team zu helfen, beide Titel zu gewinnen."
Wie es dann auf der Strecke aussieht, wird sich weisen. Norris jedenfalls gab an, "volles Vertrauen in die Mannschaft" zu haben. Er erwarte nicht, dass Piastri ihm Rennsiege schenke. "So will ich keine Meisterschaft gewinnen. Ich will sie gewinnen, indem ich gegen Max kämpfe, indem ich Max schlage, meine Konkurrenten schlage und beweise, dass ich der Beste auf der Strecke bin", sagte der Brite.
Noch kann der 24-Jährige den Titel auch aus eigener Kraft holen, wenn er nämlich alle Rennen inklusive der drei noch ausständigen Sprints gewinnt und zudem noch die eine oder andere schnellste Runde dreht. Bei der Dichte vorne mit Ferrari und Mercedes scheint das aber unrealistisch. "Ich würde nicht sagen, dass uns die Zeit davonläuft, aber sie schleicht so langsam dahin", sagte Norris daher. Es gehe darum, jede Kleinigkeit zu optimieren.
Für McLaren-Geschäftsführer Zak Brown scheint freilich die Konstrukteurs-WM Priorität zu haben, da geht es um die Verteilung der Milliarden-Einnahmen. Es wäre der erste Teamtitel seit 1998. 104 Zähler mehr fuhr das McLaren-Duo in den Europa-Rennen mehr ein als Verstappen und dessen Stallgefährte Sergio Pérez. Brown daher: "Wir haben immer drauf gesetzt, zwei Nummer-eins-Fahrer zu haben, so war der Weg von McLaren." So war es auch einst mit den Ex-Weltmeistern Ayrton Senna und Alain Prost im Team. Negativer Höhepunkt war da die Kollision im WM-Finale 1989.
Baku wird voraussichtlich aber wieder mehr als ein Duell McLaren gegen Red Bull, auch wenn die "Roten Bullen" auf dem seit 2016 befahrenen Stadtkurs bisher am erfolgreichsten waren und zuletzt mit Verstappen und zweimal Pérez dreimal in Folge gewonnen haben. Doch die vergangenen drei Pole Positions am Kaspischen Meer gingen an Leclerc, und der Monegasse ist außer mit Ferrari im Team-Rennen auch in der Fahrer-WM noch dabei. 86 Zähler trennen ihn von Verstappen, bloß 24 von Norris. Freilich nur zweimal wurde auf dem 6-km-Kurs von der Pole Position aus gewonnen.
"Wir haben da immer gut mitgehalten, und es ist eine von Charles' Lieblingsstrecken", meinte Ferrari-Teamchef Fred Vasseur zuversichtlich. "Nach unserem Sieg in Monza sind wir obenauf, und das wollen wir so beibehalten." Auch Ferrari-Ersatzfahrer Oliver Bearman wird starten, aber in einem Haas. Der Brite ersetzt Kevin Magnussen, da der Däne wegen zu vieler Strafpunkte das eine Rennen pausieren muss. Bearman wird nächstes Jahr im Haas-Cockpit sitzen, heuer in Melbourne war er schon bei Ferrari für Carlos Sainz eingesprungen und hat gleich sechs Zähler geholt.
Außer Red Bull hat bisher nur Mercedes in Baku gewonnen. Mit 154 Punkten Rückstand auf Ferrari ist nach schwächerem Rennen in Zandvoort und Monza die Konstrukteurs-WM für "die Silbernen" aber wohl kein Thema mehr. "Wir wollen in Baku besser abschneiden", gab Teamchef Toto Wolff daher als Ziel aus. "Jetzt haben wir die Chance zu zeigen, dass wir die notwendigen Lehren daraus gezogen und Verbesserungen vorgenommen haben." Das gelte für Baku, und auch für nächste Woche in Singapur. Wolff: "Beide Strecken sind anspruchsvoll."