Zwischen Leid und Luxus

Als der Krieg ausbrach, hüllten sich die einen in Schweigen, die anderen in die Nationalfarben der Ukraine. Daneben entbrannte die alte Debatte: Wie politisch darf Mode sein? Über Designer, die zu Aktivisten wurden, und solche, die lieber unpolitisch bleiben

von Zwischen Leid und Luxus © Bild: 2022 Getty Images

Und plötzlich tobte sie wie ein Sturm durch die Vorbereitungen zu den Fashion-Shows der diesjährigen Herbst-/Winterkollektionen: die Nachricht, dass in der Ukraine Krieg herrscht. Gedämpft wurde die Vorfreude darauf, die Reihen der Modenschauen nach zwei Jahren Pandemie endlich wieder mit Menschen füllen zu können. Viele Labels verfielen in Schockstarre, unsicher darüber, wie sie mit dieser Situation umgehen sollten, ohne potenzielle Käufer zu verschrecken und monatelange Arbeit zunichtezumachen.

Betretenes Schweigen über die jüngsten Ereignisse herrschte besonders zum Auftakt der Fashion Weeks auf der Modewoche in Mailand. Lediglich Giorgio Armani verwandelte dieses Schweigen in ein Statement, indem er die Musik seiner Show strich und damit verdeutlichte: Jetzt ist nicht die richtige Zeit, um Feste zu feiern. Doch je länger der Krieg andauerte, desto lauter wurde die Modewelt und vor allem diejenigen, die selbst von Krieg und Vertreibung betroffen waren.

© IMAGO/Eventpress Anja Gockel, Berlin. Die aus Kiew geflohene ukrainische Tänzerin Nataliia Ovcharova präsentiert ein Kleid der Mainzer Designerin in den Nationalfarben der Ukraine. Das Kleid war Teil der "Weltgewand(t)"-Kollektion

Die Mode als Waffe

Eigentlich hätte der ukrainische Designer Jean Gritsfeldt seine neue Kollektion auf der am 14. März startenden Berlin Fashion Week präsentieren sollen. Es wäre sein erster Besuch in Deutschland gewesen. Der 32-jährige Designer hatte schon alles bis ins kleinste Detail geplant. Ein Perfektionist eben. Doch dann kam der Krieg und Gritsfeldts erster Impuls war, alles abzusagen. "Aufgrund der Situation in meiner Heimat zögerte ich, nach Berlin zu reisen, um an der Fashion Week teilzunehmen", so der Designer auf Instagram. Gritsfeldt verblieb in Kiew, doch seine Kollektion schaffte es dank seiner Community doch nach Berlin.

Mithilfe des Vereins Fashion Revolution Germany konnten kurzerhand rund 30 Freiwillige versammelt werden, um die Skizzen des Nachwuchstalents am Modell zu übersetzen. Kurz nach der russischen Invasion warf der Designer sein Konzept über den Haufen, fokussierte auf klare Linien und unmissverständliche Statements. Dass Mode politische Slogans perfekt zu transportieren vermag und diese Art der Plakativität besonders effektvoll sein kann, kennt man bereits von Modegrößen wie Vivienne Westwood. Plötzlich zierten die Worte "Freiheit","Frieden" und "Liebe" auf Englisch und Ukrainisch Gritsfeldts Designs. "Diese Statements sind unsere Waffen", kommentierte der Kreative auf Instagram.

© 2022 Getty Images Jean Gritsfeldt, Berlin. Eigentlich hätte der ukrainische Designer seine Show in Berlin am liebsten abgesagt. Doch ein engagiertes Team schneiderte seine Kollektion neu und schaltete den in Kiew festsitzenden Designer per Videokonferenz zu

Mode für den Luftschutzbunker

Die Show galt als fulminantes Highlight der Berlin Fashion Week. "Heute ist nicht die Zeit, um über Mode zu sprechen", äußerte Gritsfeldt sich via Videozuschaltung am Tag der Präsentation, "sondern durch Mode. Heute werden wir keine neuen Looks zeigen, denn wenn du in einem Bombenkeller sitzt, interessiert es wirklich niemanden, was du anhast. Das wichtigste ist, dass deine Kleidung warm ist, komfortabel und dass du dich beschützt fühlst."

»Wenn du in einem Bombenkeller sitzt, interessiert es wirklich niemanden, was du anhast«

Jean Gritsfeldt, ukrainischer Designer

Ähnlich aktionistisch präsentierte Balenciaga-Creative-Director Demna Gvasalia seine neueste Kollektion. Der gebürtige Georgier hat den Krieg am eigenen Leib miterlebt. 1993 floh er als Zehnjähriger mit seiner Mutter aus Sochumi. "Ich habe im Krieg schon so viel geopfert", so der 41-Jährige Modedesigner in einem Interview mit "Vogue". Nun werden alle Erinnerungen wieder wach, die er und seine Mutter 30 Jahre lang zu verdrängen versuchten.

Auch kamen Zweifel auf, ob sein modisches Schaffen in dieser Zeit überhaupt Sinn mache, so der Designer. "Dann entschloss ich mich aber: Wir müssen Widerstand leisten."

Stürmische Zeiten

Anstatt über einen Laufsteg zu schweben, ließ Gvasalia seine Models gegen einen Schneesturm in einer Rotunde ankämpfen. Jeder Schritt schien eine Herausforderung für sie zu sein. In diesem apokalyptischen Spektakel vereinte der Chefdesigner der Balenciaga-Couture-Kollektion die Themen Klimawandel und Flucht. Er wollte die Hilflosigkeit der Flüchtenden darstellen und somit veranschaulichen, wie es ist, den Elementen ausgeliefert zu sein. Damit ließ der Modeschöpfer tief in seine eigenen Erinnerungen blicken, denn sein eigener Fluchtweg führte ihn als Kind durch die Berge Georgiens.

© IMAGO/Xinhua Balenciaga, Paris. Design-Mastermind Demna Gvasalia schickte seine Models in einen Schneesturm anstatt über den Laufsteg. Der 41-Jährige musste selbst als Kind 1993 vor dem Georgisch-Abchasischen Krieg fliehen

So viel persönliche Betroffenheit lässt sogar den zynischsten Kritiker verstummen. Denn auch, wenn Mode immer noch keine Anerkennung als Kunstform findet, so ist sie doch immerhin eine Plattform, die Kreativität und Meinungsfreiheit als wichtigste Instrumente hochhält.

Nicht zuletzt ist die Modeindustrie aber eben auch eine gewinnorientierte Milliardenbranche. Umso überraschender war es, dass Luxuskonzerne wie der französische LVMH, Kering sowie Hermès ihre Geschäfte in Russland schlossen. Vorübergehend zumindest. Mehr als 120 Geschäfte der LVMH-Gruppe sind von den Schließungen betroffen. Der Konzern verzeichnete im letzten Geschäftsjahr 64,2 Milliarden Euro Umsatz. Nur etwa zwei Prozent dieses Ergebnisses sollen in Russland erwirtschaftet worden sein. Allerdings ist die russische Bevölkerung für die Luxuskonzerne dennoch eine wichtige Klientel, wenn auch nicht zwangsläufig innerhalb Russlands. Geshoppt wird mehrheitlich ohnehin im Ausland. Insofern ist diese Konsequenz der Luxuskonzerne bemerkenswert, deklarierte LVMH in der Vergangenheit doch vielfach, politisch neutral zu sein.

© IMAGO/i Images Louis Vuitton, Paris. Selbstbewusst trägt das Model einen Look aus der Herbst-/Winterkollektion des französischen Modehauses in den Farben Gelb und Blau

Der Druck, sich zu positionieren, wird immer stärker. Nicht nur Kreative spüren ihn, auch Konzerne. Vielleicht mag jetzt nicht die Zeit sein, um Feste zu feiern. Doch es ist höchste Zeit, politisch Farbe zu bekennen.

Dieser Beitrag ist ursprünglich im News-Magazin Nr. 13/2022 erschienen.