"In dem Moment, wo ich nicht hinschaue, legitimiere ich die Gewalt"

Initiative: Nachbarn sollen vermehrt bei häuslicher Gewalt aktiv werden, sich "einmischen"

Mit einer neuen Bewusstseinskampagne will das Wiener Nachbarschaftsprojekt "StoP - Stadtteile ohne Partnergewalt" zu mehr Zivilcourage bei Partnergewalt aufrufen. Am Mittwoch wurde der Kino- und TV-Spot unter dem Motto "Was sagen. Was tun." im Rahmen einer Pressekonferenz vorgestellt. Mitgewirkt haben u.a. Kabarettist Wolfgang "Fifi" Pissecker und Schauspielerin Alena Baich.

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"In dem Moment, wo ich nicht hinschaue, legitimiere ich die Gewalt", sagte die stellvertretende Margaretner Bezirksvorsteherin und Mitinitiatorin des Projekts, Nikola Furtenbach (Grüne). Zumindest 5.347 Kinder seien in Wien im Jahr 2018 Zeugen von häuslicher Gewalt geworden - "und das sind nur die dokumentierten Fälle", die Dunkelziffer sei noch viel höher. Tätern müsse klar sein, dass Gewalt von den Nachbarn und Bekannten nicht stillschweigend hingenommen wird.

Niederschwellige Auseinandersetzung mit dem Thema

Ziel des seit Anfang des Jahres in Wien-Margareten laufenden Projekts "StoP - Stadtteile ohne Partnergewalt" ist es, Nachbarn und Nachbarinnen zu ermutigen, bei häuslicher Gewalt und Partnergewalt Zivilcourage auszuüben. Ursprünglich stammt das Konzept aus Deutschland, wo es mittlerweile in vier Städten, darunter Hamburg, erfolgreich eingesetzt wird. Der Austausch bei regelmäßig stattfindenden "Männer- und Frauentischen" soll etwa eine niederschwellige Auseinandersetzung mit dem Thema ermöglichen. Innerhalb eines wachsenden Netzwerks aus Nachbarn und Institutionen will man sich gemeinsam für ein gewaltfreies Miteinander einsetzen. Mittlerweile gibt es laut den Organisatoren schon 30 Partnerinstitutionen.

Männliche Zielgruppe ansprechen

Angelegt ist das Projekt im Bezirk vorerst auf drei Jahre, langfristiges Ziel sei es, die Initiative auf ganz Wien auszuweiten. Zukünftig sollen noch mehr Organisationen und Interessierte für "StoP" erreicht und gewonnen werden, wünschen sich die Initiatorinnen. Gerne würde man etwa die Feuerwehr und auch Kirchen einbinden. Insbesondere wolle man verstärkt die männliche Zielgruppe ansprechen - da sei noch viel zu tun, so Rösslhumer. "Die 'Männertische' sollen auch dazu dienen, dass sich Männer mit ihren Problemen auseinandersetzen", sagte Gerd Sandrieser vom Krankenanstaltenverbund (KAV), einer der Koordinatoren der Treffen. Diese seien ein wichtiger Schritt, um ein modernes Männerbild zu vermitteln - viele Männer seien es nicht gewöhnt, Emotionen zu zeigen.

"Frauen schweigen lange"

"Frauen, die von ihrem Partner misshandelt werden, tun sich oft sehr schwer, Hilfe zu suchen und zu holen. Sie schweigen lange", sagte Maria Rösslhumer, Geschäftsführerin des Vereins Autonome Österreichische Frauenhäuser (AÖF) und "StoP"-Gesamtkoordinatorin. Erfahrungen würden zeigen, dass Nachbarn und Nachbarinnen gerne etwas tun wollen, aber oft nicht wissen, was das Richtige ist. Ängste, sich "einzumischen" und Befürchtungen, etwa wenn bereits negative Erfahrungen gemacht wurden, seien verständlich und legitim, meinte Rösslhumer.

Nachbarn können Anzeichen früh erkennen

Aber: Je mehr Wissen Nachbarn über Methoden der Zivilcourage haben bzw. sich aneignen, desto besser können sie sich selbst, betroffenen Frauen und Kindern helfen. Nachbarn sind häufig in der Lage, frühzeitig Anzeichen und Hinweise auf Gewalt zu erkennen und zu handeln, bevor noch schwerere Gewalt passiert. Gewalt sei auch, wenn jemand frauenverachtende Witze erzählt, Gewalt verharmlost oder mit seiner Wut andere in Angst versetzt, führte Rösslhumer aus.

"Paradoxe Intervention"

So können Nachbarn mögliche Gewaltsituationen durch "paradoxe Intervention" unterbrechen, indem sie an der Tür läuten und nach etwas fragen. Das könne auch einfach die Uhrzeit sein, oder ob man sich Zucker ausleihen kann, erklärte Rösslhumer. Es gehe darum, den Täter merken zu lassen, dass seine Gewalt nicht in Ordnung ist. Sinnvoll sei es zudem, Unterstützung und bei den richtigen Stellen Informationen einzuholen, wenn man unsicher ist - z.B. bei der Frauenhelpline gegen Gewalt (Tel. 0800 222 555) oder bei der Servicenummer der Polizei unter 059 -133.

"Das Allerwichtigste ist Hinschauen"

"Fragen, ob man helfen kann, ist auch Zivilcourage", meinte Kabarettist "Fifi" Pissecker zu seinem Engagement für das Projekt. Diese müsse nicht nur gelehrt, sondern auch vorgelebt werden. "Das Allerwichtigste ist Hinschauen."

Weitere Informationen:
www.stop-partnergewalt.at
www.aoef.at