Warum immer die Türken?

Seit 1683 - wenn nicht noch länger - erinnern wir uns immer wieder. Oder werden wir erinnert? Kein Feindbild ist bei uns so dauerhaft wie das der Türken. Zwei Historiker der Österreichischen Akademie der Wissenschaften über ein schwieriges Verhältnis

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Zeitgeschichte - Warum immer die Türken?

Jahrhundertelang führten Habsburger und Osmanen einen Krieg. Im Lager vor Wien 1683 wurde selten türkisch gesprochen, unter den Truppen der Osmanen waren Teile aus Aleppo und Damaskus, Siebenbürgen, Moldau, der Walachei und vom Balkan. Viele Christen waren unter ihnen. Mit dem Sieg über Kara Mustafas Heer spielte die Vielfalt in Sprache, Herkunft und Religion aber plötzlich keine Rolle mehr. Bedrohung und Sieg, noch dazu durch und über den Islam, wurden propagandistisch genutzt. Schlagworte wie Christus oder Mohammed, Kreuz oder Halbmond und christliches Abendland tauchten bald in Predigten, in Politikerreden und Geschichtsbüchern auf. Religion wurde ein deutliches Zeichen des Unterschieds. So konnten den Menschen neue Bedrohungen vor Augen geführt und Siege in Aussicht gestellt werden, um Einigkeit und ein gemeinsames Vorgehen im Sinn der jeweiligen Machthaber zu erwirken. Die Türken waren bald keine Gefahr mehr, sie wurden jedoch Stellvertreter für neue, aktuelle Feinde.

Die Juden als neue Türken

Im Jahr 1883, zweihundert Jahre nach der Türkenbelagerung Wiens, initiierte der bekannte Antisemit und Pfarrer Josef Deckert den Bau einer neuen Kirche in Wien-Weinhaus. Zur Finanzierung der St.-Josefs-Votivkirche unternahm er großangelegte Spendenaktionen, die er mit antisemitischen Reden vorantrieb. Die Gefahr durch die Juden verdeutlichte er mit der Bedrohung durch die Türken von 1683. "Ist also", so fragt sich Deckert, "die Gefahr, in der wir uns befinden, nicht eben so groß, ja, noch größer als die Gefahr der Wiener vor 200 Jahren? Damals drohten erst die Sklavenketten; jetzt tragen wir sie schon." Die Sklavenketten hatten den Wienern in Deckerts Vorstellung die Juden angelegt, aber der Pfarrer glaubte, dass die Wiener Antisemiten die "angemaßte Fremdherrschaft" der Juden an dem Tag beendigen könnten, an dem die Juden wieder ihre Rechte verlieren würden. Dieser Tag "wird ein Tag des Sieges des Christenthums sein, ebenso glorreich, wie einst der 12. Sept. 1683."

Die Nazis als Türken

1883 beschlossen die Wiener Bürger zu Ehren des Bürgermeisters des Jahres 1683, Johann Andreas von Liebenberg, ein Denkmal an der Ringstraße gegenüber der Universität Wien zu errichten, das 1890 enthüllt wurde. In den Kommentaren zu dieser Feier nahm die damalige liberale Presse Stellung zu aktuellen Feinden, die sie mit den Türken in Verbindung brachte. Im Artikel "Unsere Türken von heute" wird Liebenberg mit der Leistung des liberalen Wien gleichgesetzt: Habe er einst Wien als "Bollwerk der christlichen Kultur" verteidigt, so verteidigten die liberalen Stadträte Wien als "Bollwerk der modernen Kultur" gegen "die Türken von heute": die Christlich-Konservativen, die an der Verhinderung der zweiten Stadterweiterung so gescheitert waren wie die Türken bei der zweiten Belagerung Wiens 1683.1933, zur 250-Jahr-Feier des Siegs über die Türken, setzte Bundespräsident Miklas die Türken mit den Nazis gleich.

Bei der Einweihung des Aviano-Denkmals an der Kapuzinerkirche in Wien führte er aus: "Nun erhebt sich in unserem 20. Jahrhundert eine heidnische Bewegung von Norden her, die uns das Kreuz [...] verächtlich machen will. Nie und nimmer! [...] Wir lassen nicht vom Kreuze Christi! [...] Auch du, Österreich, in diesem Zeichen, und nur in diesem, wirst du siegen."

Die Türken von heute

Hoffnungen auf weitere Siege verschwanden ebenso wenig wie neue Bedrohungen, sei es durch Kommunisten, Muslime oder Migranten. Halten wir fest: Um die Türken über längere Zeit propagandistisch als Feindbild einsatzfähig zu machen, musste vereinfacht und pauschaliert werden. Je verständlicher - und zugleich je weiter von der Geschichte entfernt - ein Feind ist, desto besser, universeller und länger bleibt er verwendbar.

Im Moment vertreten die Türken keinen anderen Feind. Mit seinen diktatorischen Aktionen sind der derzeitige Machthaber der Türkei und seine Anhänger selbst zu Feinden geworden. Das jahrhundertelang gepflegte Türkenfeindbild könnte zur Folge haben, dass auch demokratisch gesinnte Gegner der aktuellen Politik mit den Feinden der Demokratie in einen Topf geworfen werden. Das sollte nicht geschehen.

Die Autoren: Johann Heiss, Institut für Sozialanthropologie ISA Johannes Feichtinger, Institut für Kulturwissenschaften