Yael Adler: "Krankschreibung ist ein heikles Thema"

Medizinerin berichtet: Was Ärzte an Patienten stört und warum manche Tabus gebrochen werden müssen

Das Verhältnis zwischen Patient und Arzt ist nicht immer einfach. Doch können dabei auch Patienten Fehler machen? Wie findet man überhaupt den besten Arzt und wie was halten echte Ärzte von "Dr. Google"? Medizinerin Yael Adler gibt preis, wie Ärzte denken und was den Patienten peinlich ist.

von Yael Adler © Bild: Droemer Verlag
Dr. med. Yael Adler ist Fachärztin für Haut- und Geschlechtskrankheiten, Venenheilkunde und Ernährungsmedizin (DGEM). Sie hat für die klinische Forschung gearbeitet und leitet seit 2007 eine eigene Praxis in Berlin. Sie vermittelt in Vorträgen und als Gesundheitsexpertin in Medien oft komplexe medizinische Sachverhalte anschaulich und unterhaltsam. Sie betreibt auch selbst Podcasts („Wir müssen reden, Frau Doktor!“ und „Ist das noch gesund?“). 2016 erschien ihr Buch „Haut nah“, der und 2018 „Darüber spricht man nicht“. „Wir müssen reden, Frau Doktor“ erschien im September 2020.

Sie schreiben in Ihrem Buch, die Beziehung zwischen Arzt und Patient steckt in der Krise: Wieso?
Die Beziehung zwischen Arzt und Patient ist vergleichbar mit einer Liebesbeziehung und die Vorwürfe, die Patienten ihren Ärzten machen, gleichen leider viel zu oft jenen, die sich Partner in einer Beziehungskrise machen. Sie lauten: Du verstehst mich nicht. Du fühlst nicht mit mir. Nie hast du Zeit für mich. Du nervst nur noch. Ich vertrau dir nicht mehr. Ich will die Trennung.

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Wie wirkt sich diese Krise aus?
Die Beziehung ist eine sehr intime Beziehung. Und wenn sie in der Krise steckt, macht das Stress, die Heilung gelingt schlechter und man ist als Patient nicht ausreichend motiviert, eine kompliziertere oder langwierigere Therapie durchzuziehen.

Welche großen Fehler machen Ärzte?
Ärzte machen mitunter den Fehler, zum Beispiel ihre Patienten nicht ausreden zu lassen. Sie unterbrechen sie, benutzen bedrohlich wirkend Worte, erklären nicht, dozieren statt kommunizieren, schauen in den PC, lassen sich ablenken, wirken hektisch, nehmen sich keine Zeit, fragen nicht nach, achten nicht auf ihre Körpersprache und Mimik, knallen dem Patienten Diagnosen an den Kopf, stellen sich über den Patienten, machen Kollegen schlecht, wahren den Datenschutz nicht oder sind womöglich durch wirtschaftliche Fehlanreize des Systems geleitet.

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Welche Fehler kann ein Patient machen? Kann ein Patient überhaupt Fehler machen?
Ich würde eher sagen, was können Patienten besonders richtig machen. Patienten sollen zum Beispiel selbstbewusst und partnerschaftlich in den Termin zu gehen und nicht untergeben und unterwürfig. Die Medikamentenliste und Vorbefunde mitbringen, sich über die Erkrankung informieren, Gesundheitskompetenz aufbauen, mündig werden und mitdenken ist auch gefragt. Gut wäre auch, sich vor dem Arztbesuch Stichworte zu machen, was man besprechen will und das zu Beginn mitteilen. Auch soll man den Arzt nicht rätseln lassen und klar sagen, wo es weh tut und auch nicht flunkern. Und nicht vom Arzt verlangen, dass er einen krankschreibt, obwohl man nicht krank war!
Ein Fehler, den Patienten in der Tat zeitweise machen ist, vom Arzt, Unmögliches, ja Göttliches zu erwarten. Garantierte Heilung, Wunder- Behandlungen, hellseherische Fähigkeiten.

Woran erkennt man, dass man vielleicht die falsche Hausärztin hat? Wann sollte man wechseln?
Der falsche Arzt ist ein Arzt bei dem man kein gutes Bauchgefühl hat. Wo man sich nicht aufgehoben, nicht gesehen fühlt und kein Vertrauen aufbauen kann.

»Es ist sehr schwer, als Patient die Qualität eines Arztes wirklich zu erkennen.«

Wie findet man die beste Ärztin, die zu einem passt?
Nicht über Ärzte-Tinder, sprich über das Internet! Die Bewertungen sind oft falsch. Ich als Ärztin bekomme zum Beispiel Emails, wie ich mir Bewertungen kaufen kann. Da spielt wirtschaftliches Interesse eine Rolle und nicht die Qualität.

Es ist sehr schwer, als Patient die Qualität eines Arztes wirklich zu erkennen. Man sieht, ob er gut geholfen hat, ob er nett war, ob das Personal nett war und ob er sich Zeit genommen hat. Aber ob der Arzt richtig gut und kompetent ist, Studien kennt, sich fortbildet, das kann der Patient schwer beurteilen. Ich rate immer dazu, sich schon in guten Zeiten einen Hausarzt zu suchen und ein Vertrauensverhältnis aufzubauen, der Hausarzt kann auch bei der Facharztsuche helfen. Es ist auch gut, Freunde oder Verwandte zu fragen oder man kann in Selbsthilfegruppen oder bei seiner Krankenhasse nachfragen.

»Ärzte findet man nicht über das Internet. Die Bewertungen sind oft falsch!«

Welche Typen Patienten gibt es?
Bei den Patienten gibt es zum Beispiel die Ängstlichen, die Angst haben vor Schmerzen, die haben einen hektischen Gesichtsausdruck, vielleicht rote Flecken und zucken zurück noch bevor es irgendwo gepikst hat. Dann gibt es noch die Ängstlichen, die Angst haben vor Ansteckung, die sieht man jetzt in Corona-Zeiten sehr oft. Die greifen mit dem Ellbogen zum Türgriff und nicht mit der Hand.
Die Hypochonder – die gibt es auch unter den Ärzten – werden oft viel zu viel diagnostiziert oder auch operiert. Die sind natürlich gute Stammkunden für die Ärzte und teure Stammkunden für die Kassen.
Dann gibt es noch die Schmerzfreien, die Symptome nicht wahrnehmen, Risiken negieren, keine Angst vor Krankheiten haben und gerne im Abwehrmodus sind. Sie missdeuten das als Zeichen von Stärke. Sie haben zwar Optimismus und Lebensfreude und ein stärkeres Immunsystem, aber manchmal wär es ganz gut, die Warnsignale nicht zu verdrängen.

Immer wieder Thema sind lange Wartezeiten in Praxen. Wie oft wird man als Ärztin dafür kritisiert?
Es gibt immer wieder Patienten, die sehr unzufrieden sind, wenn sie länger warten, was ich zum Teil berechtigt finde. Aber es ist eben kein mathematisches Arbeiten, Menschen sind biologische Wesen, es kommen überraschende Dinge, Notfälle hinzu. Es wäre vielleicht einfach besser, wenn man sich etwas zu arbeiten mitnimmt, die Zeitung liest oder noch schnell einkaufen geht, wenn es noch länger dauert.
Es wäre auch ein erster Schritt, wenn man nicht wegen jeder kleineren Sache zum Arzt geht, sondern die eigene Gesundheitskompetenz hat und den Schnupfen erst mal selbst behandelt.

Wie gern sehen Sie es, wenn man als Patient eine Begleitung mitnimmt? Oder die Kinder?
Eine Begleitperson ist sogar einer meiner wichtigen Ratschläge, gerade wenn es um schwierige Diagnosen geht, denn vier Ohren hören mehr als zwei. Belastend ist, wenn Eltern mit Jugendlichen kommen und ihre Kinder nicht antworten lassen.
Kleine Kinder mitnehmen ist erschwerend, weil die gern herumrennen, an Geräten rumreißen, laut sind und da kann man sich als Patient und Arzt schwieriger konzentrieren. Aber sowas lässt sich nicht immer vermeiden, Kinder gehören dazu.

Welche sind die häufigsten Ärzte-Klischees, die Ihnen begegnen? Und welches stört Sie am meisten?
Manche haben ihre Berechtigung, wie etwa dass Orthopäden gerne bunte Poloshirts tragen, die Bewegungsraum bieten, wenn sie Patienten einrenken - und zugleich den Zustand ihres wohlgeformten Oberkörpers präsentieren. Oder dass die Psychiater gerne Karo-Jackett und Cordhose tragen. Da gibt es eine Menge lustiger Klischees. Weniger lustig ist es, wenn man Ärzten unterstellt, sie würden den ganzen Tag auf dem Golfplatz rumhängen und viel zu viel Geld haben. Das ist zumindest heute nicht (mehr) so.

»Es ist ein Mythos, dass Ärzte das nicht mögen, wenn Patienten vorher googeln. «

Schadet es, wenn Patienten vor dem Arztbesuch Dr. Google befragen oder kann das auch tatsächlich hilfreich sein?
Es ist ein Mythos, dass Ärzte das nicht mögen, wenn Patienten vorher googeln. 80 Prozent der Ärzte finden es gut, wenn Patienten sich vorab informieren, auch wenn Dr. Google nicht immer die richtigen Antworten liefert. Man hat dadurch aber eine Gesprächsgrundlage und es zeigt, dass der Patient sich interessiert und Verantwortung mitübernehmen will. Dr. Google kann ganz hilfreich sein, ich gebe im Buch auch Tipps für gute Websites. Aber man muss sehr aufpassen, dass man reif googelt und sich nicht seine Daten irgendwo klauen lässt.

Was verstehen Sie unter „reif googeln“?
Zum Beispiel dass man darauf achtet, dass der Experte, der Tipps gibt, ein echter ist. Man sollte nachschauen, dass die Informationen nicht veraltet sind. Wenn man am Ende eines Beitrages etwas verkauft bekommt, ist das auch ein schlechtes Zeichen. Ich würde mir wünschen, dass sich Webseiten zertifizieren lassen könnten und dieser Inhalt auch jährlich überprüft und upgedatet würde, so dass der Verbraucher hier Sicherheit hätte.

Was sagt die Ordination über die Qualität eines Arztes aus?
Die Praxis sagt bedingt etwas über die Qualität aus. Klar erkennt man, ob das jemand ist, der sich auch um eine angenehme Atmosphäre, um Wohlbefinden sorgt. Aber es ist trotzdem immer das Menschliche, das zählt. Es gibt ja auch sehr „karge“ Praxen und trotzdem sind da gute Ärzte, die den Fokus eben auf andere Schwerpunkte legen.

Wie oft schwindeln Patienten – und warum?
Bis zu 80 Prozent geben an, beim Arzt schon geflunkert zu haben. Menschen machen das, weil sie denken, dass der Arzt eine moralische Instanz ist. Dabei übersehen sie, dass verschwiegene Tatsachen oft wichtige Indizien sind, um Lösungen zu finden. Am Ende schneidet man sich damit ins eigene Fleisch.

»Krankschreibung ist ein heikles Thema und wird es auch bleiben. «

Krankschreibung: Wie heikel ist das Thema?
Es gibt Patienten, die sich gerne mal krankschreiben lassen, obwohl sie nicht krank waren; Leute, die gerne mal ein längeres Wochenende verbringen wollen. Natürlich wird das missbraucht. Es ist wichtig, ein gutes Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient zu haben, um hier keine falschen Entscheidungen zu treffen. Man muss definitiv sagen, das ist ein heikles Thema und wird es auch bleiben.

Wie groß ist die Angst als Ärztin, sich mit Corona zu infizieren?
Es gibt ein Berufsrisiko, das ich als Ärztin tragen muss. Man hat es immer mit Infektionspatienten zu tun und steckt sich in der Regel nicht an, obwohl ich nah an meinen Patienten arbeite. Auch nicht der HNO-, der Lungen oder der Zahnarzt. Wir halten aber bewusst die Zeit ohne Mundschutz recht kurz und schauen, dass wir ohne Mundschutz nicht zu nah kommen, man sich nicht anhustet. Wir lüften und achten auf Hygiene. Man könnte nicht arbeiten, wenn man ständig Angst hätte.

»Viele schämen sich, wenn man an Kräften und Jugend verliert«

Welche Körpertabus quälen Patienten am meisten?
Fast alle fühlen sich durch Erkrankungen im Intimbereich und im Analbereich betroffen. Auch Hauterkrankungen, die man sieht, wie zum Beispiel Schuppenflechte oder Haarausfall sind den Menschen peinlich. Ein Bereich, wo sich auch viele schämen, ist, wenn man schwach wird, wenn man an Kräften und Jugend verliert, was zum Beispiel das Schnarchen betrifft oder man weniger sportlich, weniger dynamisch ist und Beschwerden hat, die mit dem Alter zusammenhängen. Ansonsten kann man vielleicht noch sagen, dass das Thema Körpergeruch vielen Menschen peinlich ist.

Ist es jedes Körpertabu wert, dass es gebrochen wird?
Tabus haben ihren Sinn, sie geben uns Orientierung. Es ist ein Regelwerk, an das wir uns halten und das verhindert, dass wir uns komplett gehen lassen. Aber Tabus rund um den Körper müssen in drei Situationen gebrochen werden:
1) Wenn Lebensqualität verloren geht und man still vor sich hin leidet. Wenn man nicht drüber redet, kann man auch keine Lösung finden.
2) Wenn Erkrankungen zu lange unbehandelt bleiben, können sie chronisch, nur zu Teilen oder sogar ganz unbehandelbar werden.
3) Der dritte Bereich ist, wenn es sich um ansteckende Krankheiten, wie sexuell übertragbare Krankheiten oder Fußpilz handelt. Wenn man Mitmenschen schützen muss.

Warum ist uns überhaupt etwas peinlich und warum ist es wichtig, über Tabus zu reden?
Das sind Prägungen durch Erziehung, durch Kultur, durch Gesellschaft, durch Religion. Und die stecken tief. Viele haben zu wenig Wissen über ihren Körper und zu wenig Körpergefühl. Sie wissen nicht, was richtig ist und fühlen sich nicht kompetent und unter Druck gesetzt. Wie etwa bei Pornos, wo Menschen oft glauben, dass das so normal ist, was sie da ansehen, auch wenn sie es selbst so gar nicht fühlen. Und nicht normal sein, nicht zur Gruppe zu gehören, ist ein Tabu, das man nicht nach außen tragen will.

Aus Scham verkneifen sich viele einen Arztbesuch. Was raten Sie denen?
Wer sich aus Scham den Arztbesuch verkneift, dem kann ich nur sagen, dass Ärzten nichts Menschliches fremd ist und dass Ärzte in der Regel alles schon gesehen haben, vielleicht sogar selbst erlebt haben und dass es sich lohnt, den Sprung ins kalte Wasser zu wagen, weil dann Heilung möglich ist.