Wolfgang Thiems
Abrechnung

Aufschlag Wolfgang Thiem: Der Vater des Tennisstars über die neue Unsicherheit im Leben seines Sohnes, die Ignoranz der Politik – und seine schwierige Rolle als Vater neben dem autoritären Ex-Coach Günter Bresnik.

von Sport - Wolfgang Thiems
Abrechnung © Bild: Ricardo Herrgott

Anmerkung: Dieses Interview erschien ursprünglich in der News-Ausgabe Nr. 16/20. Das Training für Profisportler wurde per Verordnung wieder erlaubt.

Herr Thiem, Ihr Sohn hat zum ersten Mal seit gut einem Jahrzehnt sein System völlig runtergefahren – wie kann man sich das vorstellen?
Als die Tour unterbrochen wurde, war der Dominic gar nicht so unglücklich darüber, weil die Saison ohnehin unglaublich komprimiert ist: erst London, dann Australien, dann Südamerika, dann die USA. Nach dem Stopp ist von ihm etwas abgefallen, da hat er dann täglich bis ein Uhr früh Playstation gespielt, das war für ihn megacool. Er musste auf einmal auch nicht so streng auf sein Essen schauen, hat ab und zu auch Schokolade gegessen – ein paar kleine Fauxpatscherln halt, die sonst eine Todsünde wären.

Beim Tennis gibt es bis aufs Handshake nach dem Matchball keinen Körperkontakt. Warum durfte der drittbeste Tennisspieler der Welt bisher nicht trainieren?
In Österreich fehlt dem Tennissport die Lobby, der Verband ist nicht stark genug, um entsprechenden Druck auszuüben. Da geht es jetzt nicht nur um den Dominic: Vor ein paar Wochen noch fand etwa in Graz der Davis Cup gegen Uruguay statt, der Dennis Novak, der Sebastian Ofner, der Jurij Rodionov haben Österreich zum Sieg verholfen und dafür gesorgt, dass wir beim Final- Turnier in Madrid dabei sind. Auch die hätten sich eine Information verdient, wann sie wieder trainieren dürfen. Die sind ja auch Nationalspieler – aber eben keine Fußballer.

Und die Politik?
Von der gab es trotz Nachfragen wochenlang keinerlei Signale. Aber ich finde, dass man die Nummer drei der Welt in einer Weltsportart zumindest informieren sollte, wie es mit seiner Arbeit weitergeht. Denn eigentlich war das nichts anderes als ein Berufsverbot. Wenn ein Sportler gewinnt, lässt sich die Politik in seiner Sonne bräunen, wenn der Sportler was braucht, herrscht plötzlich Funkstille. Das Kuriose daran: Wir hätten innerhalb der Familie trainieren dürfen, wenn wir einen eigenen Platz gehabt hätten – dann hätte der Dominic mit dem Moritz spielen können, und alles hätte gepasst.

Kann man sich denn als Spitzensportler mit der Politik anlegen?
Im Grunde genommen bist du in einer ganz schwierigen Position: Wenn du dich jetzt aufregst oder deine Schlüsse daraus ziehst und sagst "Das nächste Mal spiele ich keinen Davis Cup oder lasse Wien aus", dann bist du ja auch der Depperte. Wenn du sagst "Ihr habt mir nicht geholfen, jetzt helfe ich auch nicht!", dann kannst du auswandern. Ärgern mit angezogener Handbremse geht, mehr nicht. Und womöglich sind die Politiker auch intelligent genug, das zu wissen.

© Philip Platzer/Red Bull Content Pool

Fehlt Österreich, und somit auch dessen Politik, das Verständnis für die Bedürfnisse von Spitzensportlern?
Auf der einen Seite sperrst du die Leute ein, sodass sie sich nicht bewegen können, auf der anderen Seite fressen sie, wie Ostern zeigte, mehr denn je irgendein ungesundes Fleisch aus der Massentierhaltung - das verstehe ich nicht. Hätte man einen teilweisen Shutdown zum Wohle des Planeten vollzogen, so hätte ich es eher verstanden. Das Grundbedürfnis eines Spitzensportlers ist, zu trainieren. Sogar in Italien durften die Tennisspieler trainieren, selbst wenn sie nur rund um die Nummer 600 der Weltrangliste rangieren. Dort werden Sportler -trotz der schlimmen Rahmenbedingungen -noch wertgeschätzt, in Österreich wirst du als Nummer 200 gefragt, was du eigentlich beruflich machst.

Das Team Thiem ist ja auch ein sehr profitables Kleinunternehmen, dem momentan jegliche Einnahmen fehlen: Beantragen Sie vom Staat, wie fast alle anderen, Ausgleichszahlungen?
Nein. Die Sponsoren und Partner sind nach wie vor dabei, aber er verdient kein Preisgeld. Eigentlich ist er jetzt arbeitslos -aber Gott sei Dank hat er, wenn er keinen Riesenblödsinn macht, ausgesorgt. Aber nehmen wir einen Dennis Novak, der heuer erstmals unter die Top 100 gekommen ist: Der hat jetzt erstmals ganz vernünftig verdient -und plötzlich ist es aus, die haben viel, viel größere finanzielle Probleme, weil sie erst am Beginn ihrer Verdienstphase stehen.

Wie geht der Wanderzirkus Thiem mit den Unmengen an Zeit um, die jetzt plötzlich zur Verfügung stehen?
Eigene Homepage, seine Social-Media-Kanäle, wir belasten Dominic jetzt mit Fragen und Problemen, die wir in den Turnierphasen von ihm fernhalten, um seinen Fokus am Sport zu halten. Seine Firma selbst in die Hand zu nehmen, das ist, was ihn momentan interessiert.

Jetzt haben wir gerade einmal einen Monat Stillstand hinter uns - wie geht es einem Spitzensportler ohne konkrete Perspektiven?
Tennis -das ist Dominics Leben. Wenn wir mit ihm darüber reden, dass heuer vielleicht gar nichts mehr geht, dann merkt man schon, wie ihm die Lade runterfällt. April -das war ja noch jedem egal. Dann hieß es, die ersten Sandplatzturniere sind gestrichen, aber Paris findet sicher statt. Der erste echte Schock war, dass Paris verschoben wurde. Und der zweite, als Wimbledon verschoben wurde. Es stimmt schon: Jetzt sind der Tennissport und auch die Tennisspieler jedem wurscht, und das macht einen natürlich nachdenklich. Aber sie sind dann auch genauso schnell wieder da, wenn's wieder losgeht.

Aber wie? Spitzentennis ist doch ein komplett globalisiertes Business
Vielleicht veranstaltet man am Anfang den einen oder anderen nationalen Event, lässt erst die besten Spieler Österreichs ein inoffizielles Turnier spielen, dann womöglich gemeinsam mit den besten Spielern Deutschlands - Turniere, die man anfangs nur streamt.

Und das soll die Leute interessieren?
Glaube ich schon. Ich denke, dass viele Zuschauer - wenn man sich die Gesichter wegdenkt -den qualitativen Unterschied zwischen einem Federer oder einem Nadal und der Nummer 300 nur sehr eingeschränkt erkennen.

Aber wie befriedigend ist es für einen Sportler, dessen Anspruch der Sieg bei Grand-Slam-Turnieren ist, wenn er dann daheim um die goldene Ananas spielt?
Das ist sicherlich ein Problem. Wie geil ist der Sport, wenn die ganz große Herausforderung fehlt? Diese Frage wird sich wohl stellen. In den letzten Jahren gab es schon diese Tendenz, dass nur die Grand Slams und die Tausender-Turniere zählen und alles darunter ohnedies nichts -so war das auch im Kopf vom Dominic verankert. Aber vielleicht wird auch er sich die Fragen der Herausforderung irgendwann neu stellen müssen, um sich mit der Situation anzufreunden.

© Ricardo Herrgott

Was ist in solchen Phasen der Job des Sportlervaters, der Sportlermutter?
Wir haben die Möglichkeit, viel mehr als sonst in Ruhe miteinander zu sprechen. Denn gute Gespräche funktionieren ja nicht auf Knopfdruck, jetzt haben wir für so etwas Zeit. Sonst steht der Dominic, wie er selber sagt, ja ständig unter Strom.

Ist das nun auch die Zeit, wo Sie über Ihre Rolle als Vater reflektieren?
Klar, in Zeiten, wo man sich nicht bewegen kann, wird man zwar nicht depressiv -aber man hinterfragt schon auch sein eigenes Dasein.

Nun haben Sie den Rosenkrieg nach der Trennung von Günter Bresnik weitgehend zu vermeiden versucht, ganz geklappt hat es nicht. Er meinte, Sie wären ohne ihn ein Clubtrainer in Seebenstein geworden und Ihr Sohn ein Future-Spieler. Denken Sie heute darüber nach: "Was hätte ich als Vater anders machen können?"
Ich glaube, wir als Familie haben das relativ gut aufgearbeitet und sind letztendlich zum Ergebnis gekommen: Natürlich sind Fehler passiert, aber aus Enthusiasmus heraus - deswegen ist das jetzt alles Jammern auf hohem Niveau. Aber eines ist klar: Wenn der Dominic heute elf oder zwölf Jahre alt wäre und ich hätte bereits mein heutiges Wissen, dann würde ich gewisse Entscheidungen nicht mehr mittragen, die ich damals sehr wohl mittrug.

Aber ist es im Grunde genommen nicht so, dass Ihr Sohn von klein auf zwei Vaterfiguren hatte: die eine, die ihn als Basis für die späteren Erfolge über den Platz quälte, und die andere, der wahrhaftige Vater?
Ich weiß heute nicht, ob es schlecht war, aber ich weiß: Ich würde nie mehr jemanden so nahe an meinen Sohn, meine Familie, heranlassen. Da sind Grenzen überschritten worden, deren Überschreitung ich heute nicht mehr zulassen würde. Aber nur zur Klarstellung: Ich war nie ein eifersüchtiger oder neidiger Mensch und habe mich über den Erfolg, den der Günter mit dem Dominic hatte, wahnsinnig gefreut. Es war kein Problem für mich, mich in die zweite Reihe zu stellen. Aber erst als ich aufhörte, bei Günter in der Südstadt zu arbeiten, habe ich wirklich begonnen, die Dinge aus einer gewissen Distanz zu sehen.

Nennen Sie dafür doch bitte ein Beispiel.
Da ist eine Episode, die mir immer in Erinnerung bleibt: Der Dominic spielte ein Turnier in der Nähe von Mailand, und es war gegen fünf Uhr abends, als er fertig war. Meine Frau war mit ihm dort, sie wollten noch übernachten -aber der Günter sagte, sie müssen gleich nach Hause kommen. Also setzten sie sich ins Auto und fuhren, und ich habe die ganze Nacht vor Sorge kein Auge zu bekommen, bis sie irgendwann in der Früh daheim waren. Wenn ich an so was denke, kriege ich im Nachhinein einen Zorn, aber damals habe ich es mitgetragen. Heute würde ich sagen: "Sicher nicht!"

Aber brauchte es vielleicht eine zweite Person, die für die Härte zuständig ist? Sie wirken, und das meine ich nicht negativ, irgendwie ziemlich easy going?
Wenn mir etwas wirklich wichtig ist, bin ich schon sehr konsequent. Und damals passierten einfach zu viele Einmischungen in die Familie: Wenn mir der Tennislehrer erklärt, wie mein Kind essen soll, dann geht das eigentlich nicht. Aber ich habe es des Projektes Willen mitgetragen, weil ich das Beste für mein Kind wollte. Heute würde ich da sicher ernsthaft zu diskutieren beginnen.

Worüber etwa?
Der Dominic war so um die zwölf, und wir saßen gemeinsam am Tisch. Als der Dominic sagte, dass er Hunger hat, wollte ich aufstehen, zum Kühlschrank gehen und ihm etwas holen. Da sagte der Günter, er solle sich doch selber was holen -und das in meinem Haus.

Und?
Ich bin sitzengeblieben, und der Dominic hat sich selbst etwas geholt. Das würde ich heute nie mehr machen. Ich würde mit Bestimmtheit sagen: "Das ist mein Kind, das ist mein Haus, ich bestimme, was passiert, und du bist der Tennislehrer." Was das Ganze aber ein wenig komplizierter macht und worüber ich immer wieder nachdenke: Ob das alles nicht doch ein großer Baustein von Dominics Erfolg war -ich weiß es schlicht und einfach nicht. Auf jeden Fall würde ich mich heute nicht mehr so zurücknehmen.

Das heißt, diese Aussage, dass Sie heute ein Clubtrainer wären und Ihr Sohn ein Future-Spieler -die ist womöglich ein wenig zugespitzt, aber nicht grundsätzlich falsch?
Ja, sie ist zugespitzt und ja, sie ist falsch. Ob der Dominic mit einem anderen Tennislehrer heute auch so weit vorne wäre -darüber zu diskutieren, ist müßig. Aber seit einem Jahr bin ich, gemeinsam mit dem Nicolás Massú, extrem viel mit dem Dominic auf dem Platz, und was mir auffällt, ist: sein unglaublicher Eigenantrieb. Er betritt den Platz und marschiert. Die Frage ist: Wurde ihm das antrainiert, oder hat er das einfach? Oder schlummerte es in ihm, und es wurde entsprechend forciert, sodass er es dann immer machte? Der Job, den du heute mit einem Spieler wie dem Dominic hast, ist natürlich einfacher als früher. Doch die Frage, ob es mit einer anderen Herangehensweise nicht noch besser funktioniert hätte oder vielleicht schlechter -das sind die Themen, die ich mit meiner Frau stundenlang diskutiere. Sie ist sich sicher, dass es der Dominic mit jedem geschafft hätte, ich sage: Ich weiß es ganz einfach nicht.

Aber das Match, das jetzt abgeht, ist doch irgendwie ein Match der Eitelkeiten um die Kernfrage: Wer hat letztendlich Thiem gemacht?
Jeder will einen Teil des Sonnenstrahles abbekommen. Und dass der Günter ein Riesenteil des Erfolges war, werde ich niemals verleugnen. Aber ich glaube, es ist gut, die Dinge für sich aufzuarbeiten und sich mit ihnen zu beschäftigen. Gerade lese ich Nadals Buch "Rafa - mein Weg an die Spitze". Darin geht es unter anderem darum, dass ihm die Familie immer die Richtung vorgegeben hat. Das war bei uns jahrelang nicht so. Heute weiß ich für mich: Die Familie steht über allem.

Auch über dem Erfolg?
Ja.

ZUR PERSON: Wolfgang Thiem Der 46-jährige Vater von Dominic Thiem, aktuell die Nummer drei der Weltrangliste, ist untrennbar mit der Karriere seines Sohnes verbunden. Wolfgang Thiem, der in Weiden und Lichtenwörth lebt, ist selbst Tennistrainer und coacht die ATP-Spieler Dennis Novak und Sebastian Ofner. Gemeinsam mit Nicolás Massú trainiert er nach der spektakulären Trennung von Langzeitcoach Günter Bresnik auch seinen Sohn Dominic und dessen jüngeren Bruder Moritz.

Das Interview ist ursprünglich in der Printausgabe von News (16/2020) erschienen.