Wolf-Alarm für den Stiftungsrat

Die parteiliche Vereinnahmung der ORF-Aufsicht ist seit jeher ein demokratiepolitisches Ärgernis. Doch nun gibt es einen Turbo für diese Kritik. Armin Wolf entdeckt, dass die aktuelle Zusammensetzung des Stiftungsrats verfassungswidrig ist.

von Medien & Menschen - Wolf-Alarm für den Stiftungsrat © Bild: Gleissfoto

Trotz aller aktuell gebotener Zurückhaltung mit kriegerischen Vergleichen:

Der prominenteste Journalist des Hauses hat einen Blindgänger von enormer Sprengkraft gefunden. Denn Armin Wolf bezieht sich auf einen Aufsatz von Christoph Grabenwarter. Der Präsident des Verfassungsgerichtshofs ist auch Experte für Rundfunkrecht. Er schreibt: "Herrscht in den Organen eine zu große Mehrheit von Vertretern der Regierungspartei(en), wird Art. 10 EMRK verletzt." EMRK steht für Europäische Menschenrechtskonvention. Sie ist Teil der österreichischen Verfassung. Wolf aber zeigt auf, dass der Modus zur Besetzung des ORF-Stiftungsrats der Regierung die Mehrheit in diesem Gremium sichert.

Auch der Zeitpunkt der Veröffentlichung ist brisant. Am 17. März, dem digitalen Erscheinungstag dieser Kolumne, ist die letzte Sitzung des jeweils vier Jahre amtierenden Kollegiums. Es wird bis Mai neu gewählt. Das ließe dem Parlament ausreichend Zeit, um die Bombe am Küniglberg zu entschärfen. Ihr Zünder ist ein ORF-Gesetz, laut dem neun Stiftungsräte durch die Regierung und drei von den Koalitionsparteien bestimmt werden. Dazu kommen noch sechs per Mehrheit im Publikumsrat, die allerdings durch den Kanzler entschieden wird, der 17 von dessen 31 Mitgliedern ernennt. Wolf rechnet penibel vor, dass die Regierungsparteien somit 18 der 35 Stiftungsräte stellen -noch ohne die Gesandten der Bundesländer, die dann der ÖVP auch allein die absolute Mehrheit sichern.

So gesehen ist die Funktion des Vorsitzenden ziemlich unerheblich. Noch ist das der ehemalige FPÖ-Vizekanzler Norbert Steger. Als Favorit für seine Nachfolge gilt der einstige Wahlkampfleiter von Bundespräsident Alexander Van der Bellen, Lothar Lockl von den Grünen. Er reagiert auf Wolfs Vorstoß mit einem Lob der Kompetenz des ehrenamtlichen Gremiums, räumt aber enormen Reformbedarf beim ORF-Gesetz von 2001 ein. Deutlicher wird der Redakteursrat. Er beruft sich überdies auf Rundfunkjurist Hans Peter Lehofer und Verfassungsexperte Heinz Mayer, fordert Experten statt Parteigängern, transparente Bestellung, Möglichkeit zur Bewerbung und öffentliche Anhörung.

Der besondere Charme an dieser Debatte liegt in der Absichtslosigkeit ihrer Grundlage. Grabenwarter hat seinen Text zur Rundfunkfreiheit in der EMRK für einen Kommentar zum deutschen Grundgesetz geschrieben. Das ist hiesiger Intrigen ungefähr so unverdächtig wie die aktuelle Wahl von Leonhard Dobusch in den ZDF-Verwaltungsrat. Der Professor für Organisationslehre an der Uni Innsbruck war davor sechs Jahre im ZDF-Fernsehrat. Diesen Gremien und denen der ARD wurde vom deutschen Höchstgericht 2014 jene "Staatsferne" verordnet, zu der Grabenwarter seine Analyse verfasst hat.

In Österreich hingegen blieb es bei der kosmetischen Korrektur des früheren ORF-Kuratoriums zum Stiftungsrat. Das verhindert bloß Konstellationen wie vor 25 Jahren, als dem Gremium neben Finanzminister Rudolf Edlinger auch Abgeordnete wie Helmut Kukacka, Friedhelm Frischenschlager und Walter Meischberger angehörten, während Christian Kern die Bundesregierung vertrat. Aktiven Bundes-und Landespolitikern ist seit 2001 die Teilnahme an der ORF-Aufsicht verwehrt. Zyniker könnten dazu aber anmerken, dass davor transparenter war, wer warum welche Interessen vertritt. Heute sind die Stiftungsräte zwar per Gesetz "an keine Weisungen und Aufträge gebunden", doch sie organisieren sich unverfroren in so genannten Freundeskreisen zur Fortsetzung von Parteipolitik.

Aus dieser Perspektive überrascht es wenig, wer zu Grabenwarters Expertise und Wolfs Vorstoß am längsten und lautesten schweigt: ORF-General Roland Weißmann und sein Direktorium. Denn dieser Stiftungsrat hat sie gewählt. Wenn Medienministerin Susanne Raab und ihr Über-Ich, Bundeskanzler Karl Nehammer, die aktuelle Gelegenheit zur Neukonstruktion des Gremiums nicht nutzen, sind ihre Absichtserklärungen für eine neue Medienpolitik das Papier nicht wert, auf dem sie gedruckt wurden.