Wie ist es, Weihnachten zu schwänzen?

Alle Jahre wieder. Kommt der Weihnachtsstress. Erwiesenermaßen kracht es gerade zu den Feiertagen in Familien, wenn sich ein zu hoher Erwartungsdruck einstellt. Aber wie dagegen ankämpfen? Im Folgenden ein paar kritische Gedanken und praktikable Tipps.

von Liebes Leben - Wie ist es, Weihnachten zu schwänzen? © Bild: Nathan Murrell

Was für manche den Duft nach Vanillekipferln heraufbeschwört, lässt bei anderen das Nackenhaar kraus werden. In meiner Praxis stelle ich fest, dass sich die Studien über den zunehmenden Feiertagsstress, die Erschöpfungs-, aber auch Entlastungsdepressionen gerade dann, wenn man das Zusammensein mit der Familie genießen könnte, immer wieder bestätigen. Daher kommt eben alle Jahre wieder nicht nur das Christkind, sondern auch der zeitlich immer früher angesetzte Weihnachtsstress.

Die Scheidungsrate schießt ebenso nach den Feiertagen hoch, wie sich familiäre Gewalt häuft. In vielen Haushalten dreht sich fiebernd alles darum, auf Knopfdruck Harmonie herzustellen. Richtig gehört, Harmonie sollte wohl auch am besten produziert und übers Internet frei Haus geliefert werden. So viel zur allgemeinen Anspruchslage, die durch die neuen Medien noch geschürt wird, wenn jeder sein alljährlich optimiertes Weihnachten, seine immer noch glücklichere Familie, seine immer noch glanzvolleren Geschenkideen und sein feierlichstes Fest posten möchte. Gruppenzwang statt Christbaumkugel. Eskalation und Handgemenge statt Raclette und „Stiller Nacht“.

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Daher mein Tipp: Bewerten Sie Festtage wie Weihnachten nicht über! Schon mal darüber nachgedacht, den Feiertagsstress zu entschärfen? Familienfest gut und schön, aber ist es nicht ebenso wichtig, an all den anderen Tagen im Jahr um friedvollen Umgang und Harmonie bestrebt zu sein? Achtsam miteinander umzugehen, sich zu beschenken und, wohlgemerkt, nicht nur materiell, sondern mit Zeit, Aufmerksamkeit und Wertschätzung? Also trauen Sie sich, Weihnachten diesmal so zu gestalten, dass es sich für Sie – und für sonst keinen – richtig anfühlt! Kein Aufruf zu rücksichtslosem, ignorantem Verhalten steckt hinter diesem Appell. Sondern meine Empfehlung, sich immerhin in der Fantasie zu gestatten, Weihnachten einmal anders durchzuspielen. Im radikalsten Fall sogar zu schwänzen. Und an einem anderen Tag oder eben gar nicht zu feiern. Sie protestieren und sagen, das sei doch nicht möglich. Und wissen Sie was? Ihre Gedanken sind frei, und vielleicht stellt sich gerade jetzt, wenn Sie sich den 24. Dezember ohne den gewohnten Ablauf ausmalten, ein Gefühl ein, das den Heiligen Abend tatsächlich wieder heiliger werden lässt: Nostalgie oder auch nur der Wunsch, wieder wie mit leuchtenden Kinderaugen den Zauber dieses Festes zu erfahren.

Jetzt kommt noch ein Tipp für die Feiertage. Und einer für den Notfall. Lassen Sie die Feiertage buchstäblich gut sein, indem Sie sich auch da Rückzugszeiten erlauben, anstatt zwanghaft aufeinanderzukleben und jede erfolgte oder nicht erfolgte Gemütsregung von Partner, Eltern, Kindern auf sich zu beziehen. Jetzt ein praktikabler Notfalltipp: Bevor Sie ein unbedachtes Wort aus der Hüfte schießen, schieben Sie sich doch lieber ein Vanillekipferl mehr in den Mund. Oder Sie atmen tief durch, verlassen den Raum ohne Begründung und Rechtfertigung nur unter dem Hinweis, sich kurz einmal die Beine zu vertreten. Und atmen draußen nochmals tief durch, wie ich immer empfehle, mit Bauchatmung: Durch die Nase tief einatmen, als würde Sie an duftendem Tannenreisig riechen, ein paar Sekunden innehalten, als stünden Sie als Kind unterm strahlenden Lichterbaum, und durch den Mund lang, lang ausatmen, als sängen Sie „Stille Nacht“. Dann kehrt der Weihnachtszauber ganz unaufgeregt zurück, als würde es mit einem Mal draußen schneien. Und dann brauchen Sie Weihnachten vielleicht auch gar nicht mehr zu schwänzen.

Prof. Mag. Dr. Monika D. Wogrolly, Philosophin und Psychotherapeutin
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