"Das Virus ist als
Biowaffe zu gut"

Um die Herkunft von Sars-CoV-2 wuchern die Gerüchte. Gunnar Jeremias, Leiter der Forschungsstelle Biowaffen an der Uni Hamburg, über biologische Kampfstoffe und Viren aus dem Labor

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Biowaffe zu gut"

Es gibt mittlerweile eine Vielzahl an krausen Theorien und Verschwörungsgeschwurbel über den Ursprung von Sars-CoV-2. Befeuert werden sie bevorzugt von Politikern. Hier wiederum idealtypisch von Donald Trump, der in Bedrängnis die Welt wissen ließ: Seine Regierung arbeite an der Aufklärung, ob das Virus nicht dem Hochsicherheitslabor in Wuhan entkommen sei. Australien, Deutschland und Frankreich schlossen sich dieser Forderung an.

Der Laborleiter des Instituts in Wuhan widersprach umgehend: Keiner seiner Mitarbeiter sei am Coronavirus erkrankt, verkündete Yuan Zhiming. Der Ursprung des Verhängnisses sei fraglos der örtliche Tiermarkt. Darüber hinaus gibt es immer wieder Spekulationen, das Virus könnte als Biowaffe konzipiert worden sein und sei unabsichtlich ausgekommen. Was stimmt nun und was käme Trump bloß zupass, um von seinen katastrophalen Fehlern abzulenken? Top-Experte Jeremias gibt Auskunft.

News: Es gibt sehr viele Spekulationen um Sars-CoV-2. Eine davon ist, dass dieses Virus als Biowaffe entwickelt worden sei. Wäre es in dieser Funktion überhaupt brauchbar?
Gunnar Jeremias:
Das Virus an sich ist zu gut, um als Biowaffe einsetzbar zu sein. Zu gut in dem Sinne, dass es nirgendwo auf der Welt Immunität gibt. Setzt jemand eine Biowaffe ein, dann mit dem Ziel, den Gegner zu schädigen, nicht aber sich selbst. Das ist bei diesem Virus nicht gegeben. Es diskriminiert nicht, sondern befällt jeden. Es gibt im Moment auch keinen Impfstoff, was ebenfalls gegen eine Biowaffe spricht. Die USA hatten schon sehr früh gesagt, sie sähen die Einsatzmöglichkeiten eines pandemiefähigen Virus als Biowaffe nicht. Denn diese Waffe wäre nur äußerst schwer kontrollierbar. Allerdings muss sehr genau beobachtet werden, was mit neuen Technologien möglicherweise bald einfacher herzustellen wäre. Aber das ist eine Diskussion, die es auch schon vor dem neuen Coronavirus gegeben hat.

Das heißt aber, wäre das Virus in irgendeiner Form kontrollierbar, wäre es schon ganz gut als Waffe?
Es gibt den Spruch: Die Natur ist der beste Bioterrorist. Ich halte ihn zwar nicht für sehr gut, aber es ist im Prinzip schon so, dass fast alle Krankheiten, mit denen wir zu tun haben - von der Grippe bis zur Pest -irgendwann von einem tierischen Reservoir auf den Menschen übergesprungen sind. Das funktioniert sehr effektiv und ist nicht einfach nachzubauen. Wir verstehen viele Mechanismen noch gar nicht und wissen damit nicht, wie so eine besondere Pathogenität zustande kommt. Zudem war das Auftreten eines Erregers, der eine Pandemie auslöst, nicht überraschend. Zwar konnte niemand erahnen, dass es jetzt genau dieses Virus ist, aber die WHO hat schon seit Jahren die Disease X als Platzhalter auf der Liste der zehn gefährlichsten Krankheiten. Mittlerweile ist die Disease X da, aber das heißt noch lange nicht, dass es die letzte Pandemie war.

Es könnte rein theoretisch im schlimmsten Fall sein, dass in zwei Jahren wieder eine neue Pandemie kommt?
Ja. Das kann nächstes Jahr sein oder in hundert Jahren.

»Es ist relativ klar, dass es aus der Fledermaus kommt«

Derzeit wird weltweit ein Schuldiger gesucht und dabei immer wieder das Labor in Wuhan genannt. Wie wahrscheinlich ist es, dass dieser Erreger unabsichtlich dem Labor ausgekommen ist?
Das ist sehr schwer zu sagen und äußerst spekulativ. Es wird überall auf der Welt daran geforscht, wie Zoonosen auf Menschen überspringen. Das wird natürlich in Hochsicher-heitslaboren gemacht. Schon allein deswegen, damit sich die Forscher nicht anstecken, und um die Erreger von der Umwelt fernzuhalten. Das Labor in Wuhan steht in einem Gebiet, in dem dieses Coronavirus ohnehin in freier Wildbahn auftritt. Es ist also fast unmöglich, herauszufinden, ob vielleicht irgendwann ein Forscher eine Fledermaus gefangen, sie im Labor untersucht hat und diese Fledermaus anschließend wieder weggeflattert ist oder ihn im Labor angesteckt hat. Wäre es etwa in Berlin passiert, dann wäre der Fall klar. Denn in Deutschland kommt so ein Virus in einem tierischen Reservoir nicht vor.

Das heißt, man wird es nie feststellen können?
Es ist relativ klar, dass es aus der Fledermaus kommt und eventuell über einen Zwischenwirt auf den Menschen übergesprungen ist. Also künstlich im Labor hergestellt wurde das Virus nicht. Das haben Studien des schwedischen Mikrobiologieprofessors Kristian Andersen und seines Teams ganz klar gezeigt. Die Wissenschaftler haben molekulargenetisch nachgewiesen, dass es sich nicht um ein Laborkonstrukt handelt. Dass das Virus hingegen von einer Fledermaus, die in dem Labor war, kommt, ist nicht völlig auszuschließen.

Hat es schon einmal einen Einsatz von Biowaffen gegeben?
Bisher war das sehr selten der Fall. Der letzte größere Einsatz war im Zweiten Weltkrieg. Da gab es ein Biowaffenprogramm der Japaner im besetzten China in der Mandschurei. Es ist unter Historikern umstritten, ob beim Abzug der Japaner die Agentien absichtlich eingesetzt wurden oder man das Programm sich selbst überlassen hat und die Ratten und Rattenflöhe entkamen. Aber die Pestepidemie dort ist jedenfalls von diesem japanischen Biowaffenprogramm ausgegangen. Sonst versuchten Terroristen auf kleinerer Ebene, Biowaffen, etwa Rizin, einzusetzen. Sie sind aber immer gescheitert.

Warum sind sie gescheitert?
Die Terroristen müssten - abgesehen von der Herstellung von Rizin, von dem man kleinere Mengen leicht herstellen kann - über Hochsicherheitslabore verfügen. Diese müssten über Jahre störungsfrei und mit ausreichend Personal und Material betrieben werden. Ein pandemiefähiges Virus herzustellen, das ist Spitzenforschung. Das kann man nicht in der Garage machen. Es wird zwar einfacher, aber es ist immer noch sehr, sehr komplex.

Wie real schätzen Sie die Bedrohung durch biologische Waffen generell ein?
Ich glaube, dass biologische Waffen im Sinne eines pandemiefähigen Erregers oder eines Erregers, der wirklich sehr großen Schaden anrichten kann, äußerst gering ist. Es gibt dazu im Moment auch keine offiziellen staatlichen Programme, und -soweit wir wissen - sind andere Akteure nicht in der Lage, so etwas herzustellen.

Um das neue Coronavirus gibt es mittlerweile eine Vielzahl an Verschwörungstheorien. Wie gehen Sie als Wissenschaftler damit prinzipiell um?
Wirklich festsitzenden Verschwörungstheorien ist schwer zu begegnen, weil sie auf einem Mix aus echten Fakten und Fake News aufbauen. Dazu werden Interessen konstruiert, die einer in der Verschwörungstheorie beteiligten Akteure hat oder haben soll. Daraus wird dann eine zunächst einmal in sich stimmige Geschichte konstruiert. Mit rationalen Argumenten kann man schwer gegen diese Geschichten vorgehen. Genau das macht eine erfolgreiche Verschwörungstheorie aus. Trotzdem versuche ich natürlich, in solchen Fällen mit Fakten zu argumentieren und eben z. B. darauf hinzuweisen, dass es Untersuchungen gibt, die zeigen, dass das Virus kein Laborkonstrukt ist.

ZUR PERSON

© privat

Gunnar Jeremias. Der Politikwissenschaftler leitet am Carl-Friedrich-von- Weizsäcker-Zentrum für Naturwissenschaft und Friedensforschung an der Universität Hamburg eine interdisziplinäre Nachwuchsgruppe zur Analyse biologischer Risiken und die Forschungsstelle biologische Waffen und Rüstungskontrolle.

Dieser Artikel erschien ursprünglich in der News Ausgabe Nr. 17/20

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