Wir bitten um Entschuldigung

Die fehlende Rede einer Politikerin/eines Politikers

von Politiker © Bild: iStockphoto.com/Image_Source_

Vor mehr als zwei Jahren bekamen wir von der WHO (Weltgesundheitsorganisation) und Regierungen befreundeter Länder Informationen über ein neues Virus, das sich rasant verbreitete und zu einer tödliche Bedrohung werden könnte. In manchen Ländern reagierten die Verantwortlichen sehr schnell und reduzierten das gesellschaftliche und berufliche Leben auf ein Minimum, um der Ansteckungsgefahr entgegenzuwirken. Andere Länder zogen vor, abzuwarten und die Entwicklung zu beobachten. Eine einheitliche, vergleichbare Strategie war nicht zu erkennen.

Was sollten wir tun? Niemand hatte uns Politikerinnen, Politiker und Mitglieder des Beraterstabes auf solch eine Situation vorbereitet. Für die meisten von uns beschränken sich die Erfahrungen auf den Werdegang innerhalb einer Partei vom Jugendfunktionär oder Studentenvertreter zum Büro eines Politikers, später Assistent, eventuell Gemeinderat, Landespolitik, Nationalrat, alle paar Jahre eine Sprosse weiter bis zur Regierungsverantwortung. Man wurde sozusagen am Gürtel oder an den Hosenträgern langsam hochgezogen, und wenn man nicht zu sehr strampelte oder grobe Fehler machte, glitt man hoch wie auf einer gut geschmierten schiefen Ebene.

Eine Bedrohung durch ein Virus? Die Gefahr einer Pandemie? Die gesammelten Kenntnisse beim Durchmarsch durch die Institutionen halfen bei Angriffen der Opposition, bei Verleumdungen und Attacken eigener Parteifreunde, der Vorbereitung von Diskussionen und Interviews, rhetorischer Kleinkunst bei inszenierten Angriffen und natürlich der Regierungs-und Verwaltungsarbeit -obwohl diese weitgehend durch Beamten erledigt wurde.

Gefahr

Am Abend nach den ersten Nachrichten über die Infektionsgefahr während der Sitzung der Regierungsmitglieder und Berater redeten alle wild durch einander und versuchten, sich mit Vorschlägen durchzusetzen, wie wir auf die Gefahr reagieren sollten. Der eine sprach vom Ignorieren, das sei reine Propaganda, eine andere meinte, man sollte sofort alles zusperren, während ein Dritter vermutete, es sei wahrscheinlich nicht schlimmer als eine Grippe. Bis eine junge Pressereferentin eine einzige Frage in den Raum warf, die alle verstummen ließ: "Kann mir jemand erklären, was ein Virus wirklich ist, und warum es so gefährlich ist?"

Nun schwiegen sie alle, aus Angst, sich lächerlich zu machen und ihre Unwissenheit und Hilflosigkeit zu zeigen. Nach einer Weile des Schweigens sagte die Verantwortliche für Justiz, es sei so etwas wie ein Bakterium, nur kleiner. Dem widersprach der Kulturminister und meinte, ein Bakterium sei ein Tier, und die Viren seien keine. Wenn sie keine Tiere wären, wieso könnten sie sich dann vermehren, meldete sich der Finanzminister zu Wort, und die Verantwortliche für Verkehr warf ein, es sei beides, Tier und Nicht-Tier, worauf alle zu lachen begannen. "Wir haben doch einen Gesundheitsminister, der soll es erklären", mischte sich der Außenminister ein. Doch der Minister für Gesundheit wehrte sich, er sei über die Partei nominiert worden wie alle anderen, habe noch nie im Gesundheitsbereich gearbeitet und kenne sich bei Viren-Infektionen nicht aus. Dann schwiegen wieder alle, bis die Pressereferentin aus ihrem Laptop die Definition von Viren vorlas. Was sollten wir tun, fragte irgend jemand, keiner kenne sich aus, und die Bevölkerung erwarte eine Entscheidung.

Fachleute

So hatte es begonnen. Ein völlig inkompetente Gruppe musste Entscheidungen treffen und diese überzeugend gegenüber der Bevölkerung kommunizieren. Also wandten wir uns an Fachleute, Mediziner, Virologen, Seuchenexperten, um Rat zu holen. Wir baten sie, die Gefahr zu erklären, und fragten sie nach Ratschlägen. Sie widersprachen einander, nicht nur in der Einschätzung der Bedrohung, auch bei den notwendigen Reaktionen. Wir verstanden weder die medizinischen Erklärungen noch die Gründe der angeblich zwingenden, jedoch unterschiedlichen Maßnahmen und saßen vor ihnen wie Volksschüler, denen ein Computer erklärt wird.

Das waren die Voraussetzungen für Beschlüsse, Entscheidungen und Maßnahmen, die jeden betrafen, den Alltag von allen veränderte. Kinder gingen nicht mehr zur Schule, Großeltern saßen isoliert in ihren Wohnungen oder Altersheimen, Frauen und Männer versuchten, von zuhause aus zu arbeiten oder verloren ihre Anstellung. Monatelang gab es kein Kino, kein Restaurant, keinen Besuch bei Freunden, keinen Urlaub, und das Vergnügen reduzierte sich auf den Weg zum nächsten Lebensmittelgeschäft. All das aufgrund von Verordnungen, die von einer Gruppe von Laiendarstellern beschlossen wurden, veröffentlicht mit ernsten Gesichtern und warnenden Worten, zweifelsfrei von sich selbst überzeugt wie Feldherrn, die in den Krieg ziehen und das Volk gegen einen unberechenbaren Gegner um sich scharen.

Maßnahmen

Was hätten wir tun sollen? Der Bevölkerung eingestehen, dass wir keine Ahnung hatten? Unsere Unwissenheit bekanntgeben, eventuell erklären, dass wir Lösungen versuchen und diese, falls sie sich als falsch herausstellen, sofort ändern? Wäre diese Wahrheit zumutbar gewesen? Doch es kam anders.

Landeshauptleute und Bürgermeister konkurrierten mit der Regierung mit Auf- und Zusperr-Hysterie und machten sich abwechselnd lächerlich als "Retter" des Volkes. Ihren Unverstand überspielten sie mit Zahlen, an die sie sich klammerten. Anzahl der Infizierten, Anzahl der Toten, tatsächlich oder möglich, mit der sie entweder prahlten im Vergleich zu anderen oder die Bevölkerung verängstigten. Ausgehend von der qualitativen Hilflosigkeit quantifizierten sie die Gefahr und begründeten damit Entscheidungen.

Irgendwann ging es dann nur mehr um Zahlen, um der Stellungnahme zu medizinischen und gesellschaftlichen Konsequenzen auszuweichen. Sie betonten über die Medien, wie "lebensrettend" ihre Entscheidungen seien, ohne auch nur den geringsten Schimmer von Effektivität und Notwendigkeit zu haben - weil ihnen sowohl Erfahrung als auch theoretisches Wissen fehlte. Willkürlich missbrauchten sie Öffnung und Einschränkung für oft einfältige Polit-Shows in der Hoffnung, als gewissenhaft und pflichtbewusst gefeiert oder zumindest respektiert zu werden.

Mit dem abgesicherten Berufsweg des "Ewig durch Steuergeld Finanzierten" ohne Existenz- und Arbeitsplatzängste übertrugen Politiker diese Sicherheit auf ihre Entscheidungen, fühlten sich berufen als Beschützer, dann als Befreier, mit dem Endziel der Erlöser. Selten in der Geschichte musste die Bevölkerung einen derart krassen Widerspruch zwischen Selbstüberschätzung und Unwissenheit auf der politischen Ebene erleben.

Krisenmanagement

Wir - Politiker und Politikerinnen - wurden in eine Situation gezwungen, an der sich unsere Grenzen zeigten. Zwei Generationen nach Kriegsende mit prall gefüllten Reserven durch den weltweit höchsten Steuersatz konnten den Betroffenen großzügig falsche Entscheidungen finanziell abgegolten werden.

Als Politikergeneration ohne ernsthafte ökonomische und sicherheitspolitische Probleme reagierten wir erfahrungslos und panisch auf die erste Krise nach 1945 und zeigten eine erschreckende Unfähigkeit gegenüber einem effektvollen Krisenmanagement. Es fehlten die intelligenten Köpfe, die keine Lust mehr hatten, in die Politik zu gehen, es fehlte die Managerqualität, die man nur in der Privatindustrie erlernt, und es fehlte den Parteisoldaten das kreative Element, wie man mit unerwarteten, überraschenden Problemen umgeht.

Angeblich wird in diesem Jahr die Pandemie zu Ende gehen und ein normales Leben zurückkehren. Vielleicht der richtige Zeitpunkt, die letzten zwei Jahre aus einer kritischen Distanz zu bewerten. Wir wussten nicht, was wir tun sollten, waren jedoch nicht bereit, dies einzugestehen. Getrieben von Eitelkeit und tagespolitischen Manövern konkurrierten wir untereinander mit einem Machtanspruch, der unsere Ohnmacht überdecken sollte. Es bleibt eigentlich nur, im Namen aller Verantwortlichen um Entschuldigung zu bitten.