Kunstschnee: Winter
um jeden Preis

Bei spätsommerlichen Temperaturen haben die ersten Skigebiete in Tirol bereits eröffnet. Was Bergbahnbetreiber und Touristiker freut, ist Umweltschützern ein Dorn im Auge. Wie der Schnee gemacht wird und wie er – zwischen Nationalsport und Klimawandel – ein Land spaltet

von Wintermacher - Kunstschnee: Winter
um jeden Preis © Bild: Ricardo Herrgott

Wäre der Schnee ein Politiker, hätte ihm Kitzbühel wahrscheinlich längst ein Denkmal gebaut. Wohlstand, Weltruhm und VIPs hat er in den kleinen Ort gebracht. Er sichert Tausende Arbeitsplätze, sorgt für konstante Touristenströme und großzügige Investitionen. Milch, Benzin und Pelzmäntel lassen sich hier so teuer verkaufen wie in der Schweiz. Die Immobilienpreise können mit jenen von der Côte d’Azur mithalten.

Glaubt man dem Prospekt des Kitzbüheler Tourismusvereins, wurde der alpine Skisport vor 125 Jahren hier geboren. Alljährlich findet er mit dem weltberühmten Hahnenkammrennen seinen Höhepunkt, lockt Zehntausende Zuseher nach Kitz­bühel und knapp zwei Millionen vor den Fernseher. Das alles hat Kitzbühel dem Schnee zu verdanken. Das Schlimmste, was der Gamsstadt also passieren könnte, wäre, wenn der Schnee ausbliebe.

Frau Holle war einmal

Damit genau das trotz Klimawandel nicht passiert, werden Kitzbühels Skipisten – genauso wie 80 Prozent aller anderen in Tirol und rund 70 Prozent in ganz Österreich – technisch beschneit. 1.116 Schneeerzeuger, die aus insgesamt zehn Speicherseen gefüttert werden, benötigt man für die 230 Kilometer Abfahrten. Das dafür gebrauchte Wasser, das von den Tälern in die Seen hinaufgepumpt wird, muss mit UV-Strahlung gereinigt werden, bevor es in die Schneemaschinen geleitet wird, um die erforderliche Trinkwasserqualität zu erreichen. Manchmal muss es vor dem Einsatz in den Maschinen noch zusätzlich gekühlt werden, weil es durch die Reibung beim Pumpen erhitzt wird.

Bei einer Pumpstation auf der Resterhöhe unweit von Kitzbühel wird dieser immense Aufwand, der zur Schneeerzeugung nötig ist, sichtbar: fünf Pumpen mit einer Leistung von 4.000 PS, ein riesiger Kompressor, der Luft unter den gewünschten Druck setzt, bevor sie in die Schneemaschinen geleitet wird, und jede Menge Rohre, Schläuche, Knöpfe und Computer.

Dazwischen: Andreas, Günther und Jürgen – die Männer, die dafür Sorge tragen, dass es auch dann schneit, wenn es nicht schneit. „Ich erinnere mich, als ich als kleiner Bub zu Weihnachten ein neues Paar Ski bekommen habe“, sagt Jürgen, „die durfte ich nie vor Ende Jänner hernehmen, weil zu wenig Schnee gelegen ist.“ Heute könne er den Schnee selbst machen.

Doch so einfach wie im Märchen bei Frau Holle ist das nicht: „Wir müssen uns den Ressourceneinsatz gut einteilen, damit wir in wärmeren Monaten mit dem Schnee aus den kälteren auskommen“, sagt Andreas, der für das Schneemanagement auf der Resterhöhe verantwortlich ist.

© Ricardo Herrgott Über den Sommer wird der Schnee vom vergangenen Winter mit Isoliermaterial zugedeckt und gelagert

Effizienz aus dem Labor

Als gelernter Schmied, Elektriker und Bauarbeiter müssen die Männer hart anpacken, um sich gegen den Klimawandel zu stemmen. Klimamodelle zeigen, dass die Schneehöhen und die Dauer der Schneebedeckung in den meisten Regionen Österreichs seit den 1950er-Jahren abgenommen haben. Die Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik hat errechnet, dass dieser Trend zwar von starken Schwankungen geprägt ist, es zwischendurch auch immer wieder sehr schneereiche Winter geben wird, der langfristige Trend sich aber weiter zu einem immer wärmeren und damit schneeärmeren Klima entwickeln wird.

Andreas, Günther und Jürgen müssen sich derweil daran gewöhnen, ihre Nächte in der Pumpstation zu verbringen, damit am nächsten Tag die Pisten gut beschneit sind und die neuen Skier nicht zerkratzen. „Die Beschneiung funktioniert in der Nacht besser, obwohl dieselben Temperaturen herrschen, weil es keine Infrarotstrahlung gibt“, sagt Michael Rothleitner vom Schneezentrum Tirol. Als Leiter des Schneelabors im Kühtai beschäftigt sich Rothleitner hauptsächlich mit der Frage nach der Effizienz der Schneeproduktion: „Das geht Hand in Hand mit dem wirtschaftlichen Interesse: je ökologischer, desto ökonomischer die Schneeproduktion.“ In einem mobilen Freiluftlabor werden Umweltbedingungen getestet, die eine möglichst hohe Ausbeute bei möglichst geringem Ressourceneinsatz liefern.

Oft vermuteten chemischen Zusatz­stoffen, die die Schneeproduktion auch bei Temperaturen über drei Grad Celsius ermöglichen würden, schwört man hierzulande per Gesetz ab. „Das wird auch eingehalten“, bestätigt Rothleitner. Dennoch habe der technische Schnee andere Eigenschaften als der natürliche: „Er unterscheidet sich im Wesentlichen durch die Kristallform. Anders als Naturschnee besteht er nicht aus sechseckigen Kristallen, wie wir sie aus kitschigen Weihnachtsschaufenstern kennen, sondern aus winzigen Eiskörnern.“ Der technische Schnee ist ­dadurch viel kompakter und liegt damit schwerer und härter auf dem Boden auf – nur einer von vielen Kritikpunkten, die Umweltschützer neben dem Ressourcenaufwand seit Jahren äußern.

© Ricardo Herrgott Andreas, Jürgen und Günther (v. li.) machen den Schnee hinter den Kulissen des Kitzbüheler Skizirkus

Quantensprung Hoffnung

Dem komplexen Aufbau der Anlage in der Pumpstation auf der Resterhöhe ist es ­anzusehen, dass die Schneeproduktion eine Wissenschaft für sich ist. Eine, die mit viel Aufwand und auch viel Geld verbunden ist (siehe Kasten S. 20). Für Josef ­Burger, Vorstand der Bergbahn AG Kitz­bühel, zahlt es sich aber aus. Burgers gläsernes Büro an der Talstation der Hahnenkammbahn bietet einen wunderbaren ­Panoramablick über Kitzbühel. Umgeben von grün-braunen Hängen käme einem das Skifahren nicht in den Sinn. Doch blickt man auf den Parkplatz vor der Gondelbahn, sind tatsächlich einige dabei, sich in die engen Skischuhe zu zwängen.

„Im Geschäftsjahr 2017/2018 werden wir das beste Ergebnis seit Bestehen des Unternehmens erwirtschaften“, sagt Burger und legt jede Menge Diagramme und Grafiken auf den Tisch. „Zehn Grad weniger wären mir auch lieber gewesen, aber es ist ein sehr fixkostenintensives Geschäft, in dem wir sind, und es hängen eine Menge anderer Branchen daran.“ Im Skibusiness habe sich sehr viel getan hat, weiß Burger: „Da sind Quantensprünge passiert. Und ich bin mir sicher, dass wir den Skisport hier in den nächsten 30 Jahren noch erhalten können.“ Was alles möglich ist, zeigten die Bergbahnen Kitzbühel einmal mehr zum heurigen Saisonstart: Früher als je ­zuvor, am 13. Oktober, eröffneten die ersten zwei Pisten. Bei Temperaturen von knapp 20 Grad machte das aber nicht die technische Beschneiung möglich, sondern sogenanntes „Snowfarming“.

© Ricardo Herrgott Die Schneekanonen müssen mit dem Helikopter zu Saisonbeginn in die richtige Position gebracht werden

Schnee von gestern

Dafür wird übrig gebliebener Schnee aus der vergangenen Saison im Frühjahr zu trapezförmigen Schneedepots zusammengeschoben, mit Isolierplatten aus Hartschaum und Plastik zugedeckt und über den Sommer auf den Hängen gelagert. Sobald die Saison beginnen soll, werden die Schneemassen mit schwerem Gerät auf den grünen Wiesen zu sogenannten Schneezungen verteilt.

„Bei uns soll man 200 Tage im Jahr Ski fahren können“, sagt Burger. Vor allem ­Saisonkartenbesitzer (rund 13.000) sollen seiner Meinung nach ein solches Angebot nutzen können. „Es ist konservierte Energie und konserviertes Wasser aus dem Vorjahr“, sagt er, „das heißt, wir lagern und verwerten den Schnee vom letzten Jahr wieder.“ Dadurch spare man sich – ganz im Interesse des Geschäftsmannes – nicht nur Ressourcen, sondern auch hohe Kosten: „Einen Kubikmeter Schnee zu produzieren, kostet uns rund drei Euro. In einem Schneedepot können wir abzüglich der Abschmelzungsverluste 28.000 Kubikmeter, also rund 48.000 Euro lagern.“ Es sei sowohl ein kostenvalides als auch ein ökologisches Modell. „Was kann denn schlecht daran sein, wenn ich mit einem ökologisch sauberen Fußabdruck eine Sportmöglichkeit anbiete?“, fragt Burger. Von einer ­ökologischen Schneekonservierung könne beim Schneedepot keine Rede sein, meint Helmut ­Deutinger, Bezirkssprecher der Grünen, Kitzbühel. „Es ist allein schon sehenden ­Auges eine irre Energieverschwendung, die in der heutigen Zeit total unverständlich ist.“ Die Schneedepots bestünden erstens aus 80 Prozent technisch hergestelltem Schnee, „der auch einmal produziert werden musste“, hinzu kämen die Isolationsmaterialien aus Kunststoff, deren Fertigung nicht umweltfreundlich sei, und klarerweise das Ausbringen des Altschnees mittels Lkw, Baggern und Pistenmaschinen. „Der Mensch kann sehr viel machen, aber das kann ja nicht das Kriterium sein, das gibt ihm noch lange nicht das Recht, alles zu tun. Und deshalb ist es einfach ein unnötiger Frevel, vor allem in Tirol.“ Wer unbedingt Ski fahren möchte, könne das ja auch am Gletscher tun, da gäbe es genug Möglichkeiten, sagt Deutinger. „Man treibt es damit wirklich auf die Spitze. Es ist ein Zeichen der Zeit, dass man auf die Natur überhaupt keine Rücksicht mehr nimmt.“

„Natur ist kein Disneyland“

Die weißen Streifen in der Landschaft stören derzeit auch einen Kitzbüheler Skilehrer, der anonym bleiben möchte, „weil ich kein Nestbeschmutzer sein will“, wie er sagt. „Wir leben hier in Kitzbühel ja alle davon.“ Trotzdem ist er der Meinung, dass man sowohl der Natur als auch den Leuten, die in der Wintersaison arbeiten, eine Pause gönnen müsse, die länger als fünf Monate dauert. „Die Natur ist kein Disneyland, das 365 Tage im Jahr geöffnet ist.“ Außerdem könnten alle auch dann gut damit leben, wenn der Skibetrieb erst Ende November losginge.

Genügend Nachfrage

Auf der Resterhöhe, deren Skilifte bereits am zweiten und dritten Oktoberwochenende rund 3.000 Gäste beförderten, trifft News ein paar Touristen aus Deutschland. Großvater ­Erwin Weberitsch aus München kommt mit seinem Enkel Elias heuer zum ersten Mal auf die Piste aus Schnee vom letzten Jahr. „Der Kleine hat Herbstferien, und ich habe gehört, dass wir hier schon fahren könnten, da wollten wir es ausprobieren. Wir sind begeistert. Das glaubt uns ja keiner, dass wir um die Jahreszeit schon fahren“, sagt er und erkennt doch: „Für die Umwelt wird es wohl nicht der Hit sein.“ Ein schlechtes Gewissen habe er dennoch nicht, schließlich sei er mit dem Enkerl draußen an der frischen Luft, das sei ihm wichtig. Zwei weitere Männer aus Deutschland, Markus und Matthias, sehen das ähnlich. Sie sind mit ihren Kindern nach Tirol gekommen, um die ersten Schwünge zu üben. Ob es ihnen gefalle, auf dem weißen Streifen in der braunen Landschaft Ski zu fahren? „Es ist einfach ein super Programm für die Kinder“, sagt Markus.

Durch die frühe ­Pisteneröffnung kommen aber nicht nur Freizeitsportler, sondern hauptsächlich angehende Profis zum Trainieren ins Skigebiet, weil sich die Bedingungen besser eignen als jene auf den nahe liegenden Gletschern. Seit sechs Jahren koordiniert Günther Frankhauser die Trainingseinheiten von Profis und jenen, die es werden wollen, auf der Resterhöhe. „Es kommen österreichische, aber auch deutsche, ­amerikanische, finnische, japanische und norwegische Skiclubs, wenn es so früh ­losgeht“, sagt er, „bei der derzeitigen Nachfrage bräuchte ich eigentlich die doppelte Anzahl an Pisten.“ Ob es für den normalen Skifahrer viel Sinn mache, auf den zwei kleinen Streifen bereits im Oktober zu ­fahren, sei eine andere Frage. „Aber für die Rennläufer ist es großartig.“

Alles Natur

Eine Autostunde von Wien fehlt sowohl von Rennläufern als auch von Schneezungen jede Spur. Die gelb-orangen Blätter der Birken flattern im Sonnenlicht über die Hügel. An eine Saisoneröffnung ist hier noch lange nicht zu denken. „Kunstschnee kommt für uns nicht infrage“, sagt Erich Panzenböck. Mit seinem Bruder und einem Freund betreibt er das Skigebiet Unterberg, das mit dem Slogan „Bei uns fällt der Schnee noch vom Himmel“ wirbt. Es ist ein reines Naturschneegebiet – ein Risiko, das Panzenböck eingeht, weil er überzeugt davon ist: „Wir ­sagen nicht, dass Maschinenschnee per se schlecht ist, überhaupt nicht. Aber wir sind für unser Skigebiet und für unsere Lage nur authentisch, wenn wir sagen: Wir haben offen, wenn Schnee liegt.“ Viele ­Besucher wüssten genau das zu schätzen. Vielleicht, weil sie umweltbewusst denken und trotzdem nicht auf das Skifahren verzichten wollen. Vielleicht aber auch, meint Panzenböck, weil es nichts Schöneres gibt, als eine natürlich Schneelandschaft.

Dieser Artikel erschien ursprünglich in der Printausgabe 45 2018

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