Wiener Verhältnisse

Österreich ist ein multikulturelles Einwanderungsland. Und das ist gut so. Wer traut sich, diese Wahrheit endlich auszusprechen?

von Anna Gasteiger © Bild: News/Ricardo Herrgott

Sachlich ist die vieldiskutierte Aussage des niederösterreichischen FPÖ-Landesrats Gottfried Waldhäusl, ohne Zuwanderung "wäre Wien noch Wien", leicht zu widerlegen. Nichts wäre Wien ohne seine zugezogenen Einwohnerinnen und Einwohner. Gar nichts. Eine schrumpfende, langweilige, überalterte Stadt. Ein Drittel aller Beschäftigten in Wien hat eine ausländische Staatsangehörigkeit. In vielen Branchen, Bau und Gastro zum Beispiel, stünde ohne sie alles still. Fast die Hälfte der in Wien lebenden Menschen haben Migrationshintergrund. Es ist für einen Waldviertler mit rechter Weltanschauung offenbar schwer zu verstehen, aber das ist eine gute Sache. Das multikulturelle Wien funktioniert die meiste Zeit ohne Probleme. (Man kann übrigens auch in unmittelbarer Praterstern-Nähe eine glückliche Kindheit verbringen; und nachts auf die Straße gehen, das kann man in Wien auch. Beides für Sie getestet.)

Die Frage ist eher: Warum wird diese offensichtlich falsche und dumme Aussage so heftig diskutiert, als wäre etwas Wahres dran? Weil ÖVP und SPÖ jahrzehntelang den Eindruck erweckt haben, es sei etwas Wahres dran. Die einen aus einer tiefsitzenden politischen "Mir san mir"-Mentalität heraus, die anderen wegen Vorbehalten gegenüber ausländischen Arbeitskräften und alle zusammen aus Angst, Wählerstimmen zu verlieren. Oder der Hoffnung, welche zu gewinnen. Dabei nützt diese Stimmung des Misstrauens und des Hasses am Ende des Tages nur den Hetzern von der Freiheitlichen Partei. Ohne Zuwanderung, hat die Statistik Austria errechnet, würde Österreichs Bevölkerung bis 2080 auf 6,7 Millionen Einwohner schrumpfen. Mit unabsehbaren Folgen für Sozial-, Gesundheits- und Pensionssystem. Österreich braucht Zuwanderung. Politische Verantwortungsträger wissen das. Jetzt müssten sie es endlich auch deutlich aussprechen. Wir sind stolz auf unsere gut integrierten Zuwanderer! Wir wissen, dass ohne sie nichts funktionieren würde! Wir bemühen uns, weitere Personen ins Land zu holen, die daran mitarbeiten, unsere Gesellschaft weiterzuentwickeln! Aber lieber schüren sie selbst Ängste und Vorurteile.

»Österreich braucht einen Paradigmen-Wechsel in Sachen Ausländerpolitik«

Und tun entsetzt, wenn einmal einer das laut ausspricht, von dem ohnehin jeder weiß, dass sie es denken, die Freunde von der FPÖ, die dann doch immer wieder als Koalitionspartner in Frage kommen.

Diese unentschlossene Einstellung ist auch eine Gemeinheit gegenüber allen gut integrierten Zuwanderern in diesem Land. Eine permanente Zurückweisung und ständige Erinnerung daran, dass sie als nicht gut genug angesehen werden, egal, wie sehr sie sich bemühen. Auch angesichts des eklatanten Facharbeitermangels: Wer sollte freiwillig in ein Land kommen, in dem Rassismus noch immer tief verwurzelt ist? In dem man damit rechnen muss, alle paar Jahre auf Wahlplakaten beschimpft zu werden? In dem ein Herbert Kickl droht, "das Kommando" zu übernehmen, und in dem es nicht einmal die angeblich seriösen und staatstragenden Parteien schaffen, sich klar von Stimmungsmache gegen Ausländer abzugrenzen? Österreich braucht einen Paradigmen-Wechsel in Sachen Ausländerpolitik. Vorbild: Wiener Verhältnisse. Die neuen, nicht die alten, denen ein Gottfried Waldhäusl larmoyant und ahnungslos nachweint.

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