Die tödliche Blume

Heinz Sichrovsky über Salvatore Sciarrinos "Gesualdo"-Oper im Museumsquartier

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Wiener Festwochen - Die tödliche Blume © Bild: Monika Rittershaus

Der hier seit dem Vorjahr gesetzte Standard gibt Hoffnung für die Zukunft des Musiktheaters im allgemeinen: Die Kompetenz des ausübenden Musikers ermächtigt den Intendanten, klare ästhetische Zielvorstellungen in Zeiten der Ratlosigkeit zu formulieren. Die Überschätzung des Szenischen bei gleichzeitigem Mangel nachdrängender Regisseure mit musikalischer Grundausbildung hat das Genre in die Krise geführt. Hinterhäuser besinnt sich gern der Altmeister, die ein schwachsinniger Feuilletonkonsens aus dem Blickwinkel gerückt hat, und bringt sie in ideale Konstellationen. Marthaler und Peter Stein sind auf diese Weise schon mit Glanz zurückgekehrt. Und nun zeigt der 81-jährige Achim Freyer, welch kreatives Potenzial er nach wie vor zu mobilisieren vermag, ohne sich Trends anzupassen. Der italienische Renaissancekomponist Carlo Gesualdo (1566 bis 1613) ging als Kapitalverbrecher in die Kulturgeschichte ein: Der nachmals regierende Fürst von Venosa ermordete aus Eifersucht seine Ehefrau und deren Geliebten. Ehrenmorde in Aristokratenkreisen wurden damals allerdings nicht strafrechtlich verfolgt, und so ist die Wahrnehmung Gesualdos als tragische Gestalt doch eine arg männlich-selektive. Seinem Schicksal jedenfalls widmete schon der Komponist Alfred Schnittke eine maßgebliche Oper der Moderne. Das Werk des heute 68-jährigen Italieners Sciarrino steht dem Schnittkes an Bedeutung nicht nach.

© Monika Rittershaus

Sciarrinos Partituren, in denen flirrende, bohrende, seufzende Obertöne dominieren, sind das, was man heute als puren „suspense“ bezeichnet: Angst, Bedrohung, sich aufbauendes Unheil werden unmittelbar in klangliche Emotion umgesetzt. So ist das Werk, dessen Titel einem Gedicht der Renaissance entnommen wurde, ein „Othello“ unserer Tage. Freyer, wie immer sein eigener Ausstatter, stellt den Ereignissen einen stummen Prolog in surrealistischen Bildern voran. Freyer und sein Pantominensenmble stimmen das Publikum damit suggestiv auf den Raum und die handelnden Personen ein. Dieser Prolog mit dem Titel „Tag aus Nacht ein“ könnte Kürzung vertragen, und mehr Einschränkendes ist zur Produktion nicht zu bemerken. Freyer verwandelt Sciarrinos Werk in ein Oratorium, das, bis in die mimischen Reflexe durchgearbeitet, doch von atemberaubende Emotionalität ist. Die Gestalten hängen wie Marionetten im Raum fest, die Gefühle sind der Musik, dem Ausdruck der formidablen Singschauspieler und dem Raum zugeordnet. Der so entstehende Eindruck der Ausweglosigkeit, des Gefesseltseins in den eigenen Obsessionen und im Vorbestimmten, ist ein überwältigender.

© Monika Rittershaus

Zumal musikalisch das Bestverfügbare aufgeboten wurde: Das Klangforum Wien präsentiert sich unter dem renommierten Argentinier Emilio Pomarico als Maßstäbe setzendes Spezialistenensemble von Weltformat. Die Solisten Anna Radziejewska, Otto Katzameier, Kai Wessel und Simon Jaunin leisten Phantastisches an Konzentration und Intensität.

So könnte es gern noch lang weitergehen.

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