Grandioser Tschechow

Wiener Festwochen zeigen "Die drei Schwestern" aus Nowosibirsk in Gebärdensprache

von "Die drei Schwestern" bei den Wiener Festwochen © Bild: Frol Podlesny

Als Timofej Kuljabins Inszenierung von Wagners "Tannhäuser" von der Zensur verboten wurde, hörten viele wahrscheinlich zum ersten Mal hierzulande diesen Namen. Dass es sich auszahlt, ihn zu kennen, zeigt er mit Tschechowschen "Drei Schwestern" bei den Wiener Festwochen.

"Die drei Schwestern" bei den Wiener Festwochen
© Frol Podlesny

Die Prosorows leben in ihrem eigenen Kosmos. Das zeigt bereits der erste Blick auf Oleg Golowkos Bühne in der Halle G des Wiener Museumsquartiers. Das fein aufeinander abgestimmte Mobiliar aus Holz ist in schlichtem Blaugrau gehalten und mutet wie ein Design eines populären schwedischen Einrichtungshauses an. Vom Plafond hängt ein Flachbildschirm. Tschechow ist also in der Gegenwart angekommen. Das Stück "Die drei Schwestern", das 1901 uraufgeführt wurde, spielt vor der russischen Revolution in einer Garnisonstadt. Timofej Kuljabin befreit das Werk von jeglichem historischen Kontext und zeigt, dass es auch in der Gegenwart seine Gültigkeit hat. Drei Schwestern, Olga (Irinia Kriwonow) Mascha (Dara Jemeljanowa)und Irina (Linda Achmetsjanowa)leben mit ihrem Bruder Andrej (Ilja Musyko) im Haus der verstorbenen Vaters, einem Brigardegeneral, seit elf Jahren in der Provinz und träumen nur von einem: der Rückkehr nach Moskau, wo sie ihre frühe Kindheit verbracht haben.

Perfekte Klang-Komposition

Der Realität gegenüber erweisen sich die Prosorows taub und stumm. Sie leben in ihrer eigenen Welt von Träumen, Sehnsüchten und Langeweile. Und wer sich auf ihre Welt einlässt, wie die Offiziere, die allabendlich zu Besuch kommen, ist einer von ihnen, ohne Stimme und ohne Gehör. Nur jene, die zu dieser Welt keinen Zugang haben, wie Ferapont, der Bote der Landverwaltung, oder die neugeborenen Kinder haben eine Stimme. Tschechows ausgedehnte Dialoge über Sehnsüchte, Langeweile oder gar den Sinn des Lebens reduziert Timofej Kuljabin auf zentrale Sätze, denn seine Darsteller kommunizieren ausschließlich in Gebärdensprache. Die deutsche Übersetzung wird auf Übertiteln übertragen. Das mutet bei einer Produktion, die auf mehr als vier Stunden angesetzt ist, wie eine neue Art der Verfremdung an, die das Publikum auf eine Geduldsprobe stellen will. Das Gegenteil ist jedoch der Fall. Spätestens nach den ersten 50 Minuten wird klar, welche Kraft von Kuljabins Inszenierung ausgeht. Wie eine Partitur ist jede Szene mit Klängen und Geräuschen komponiert. Man hört den Wind ums Haus pfeifen, Zugvögel kreischen, Truppen zu Marschmusik marschieren.

"Die drei Schwestern" bei den Wiener Festwochen
© Frol Podlesny

Kraft der Bilder

Jede dieser Figuren könnte eine von uns sein. Man kommuniziert per SMS, liest am iPad und spielt Musikvideos im Fernsehen. Jeder bleibt Gefangener seines Schicksals. Für die Prosorows bedeutet das den Verbleib in der Provinz. Olga wird Direktorin einer Schule, Mascha bleibt die Lehrergattin und Irina, die sich noch sehnlicher als alle anderen ein Leben in der Metropole wünscht, kommt der Bräutigam, ein Baron, bei einem Duell abhanden, er fällt. Irina wird Lehrerin an einer Provinzschule. Die Inszenierung lebt von starken Bildern, wie etwa dem Jaus, das sich nach dem Dorfbrand in ein Notlager wandelt. Der Strom fällt aus, die Darsteller leuchten mit ihren Handys, um einander die Gesten ihrer Gebärdensprache zu zeigen. Das starke Ensemble brilliert mit Darstellerpersönlichkeiten wie Pawel Poljakow als Werschinin. Auch die kleinsten Rollen sind stark besetzt.

Diese Theaterarbeit zeigt, weshalb Timofej Kuljabin zu den interessanten Erscheinungen unter den Regisseuren seiner Generation zählt.

Weitere Vorstellungen

28., 29., 30. Mai
www.festwochen.at

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