Wiener AMS-Chefin: "Ein Jahr
Tagesfreizeit wäre zu viel"

Die Chefin des Wiener AMS, Petra Draxl, erklärt, was sie aus der Coronakrise gelernt hat, warum sie sich Sorgen um junge Menschen macht und wann der Arbeitsmarkt für alle wieder "normal" laufen sollte.

von
THEMEN:
Arbeitsmarkt - Wiener AMS-Chefin: "Ein Jahr
Tagesfreizeit wäre zu viel" © Bild: News/Herrgott

In Wien gab es im Jahr 2019 rund 865.000 unselbstständig Beschäftigte, rund 115.000 Menschen waren in diesem Jahr arbeitslos. Am Höhepunkt der Coronakrise waren rund 475.000 Wienerinnen und Wiener entweder in Kurzarbeit, in Schulungen oder arbeitslos. Wie ist es da bei Ihnen zugegangen?
Uns ging es zunächst nicht anders als den unmittelbar Betroffenen. Es war ein Schock, ein Hinstarren auf die Zahlen, ein Hinstarren auf Kurzarbeitsanträge, die minütlich hereingekommen sind. Einerseits waren wir froh, dass das Instrument angenommen wird, andererseits schaut man mit Verzweiflung darauf. In den letzten Jahren gab es in Wien nur sehr wenige Kurzarbeitsanträge. Nun haben wir fast 30.000 Projekte angelegt. Da ist eine Masse auf uns zugekommen. Gleichzeitig haben sich sehr viele Menschen arbeitslos gemeldet. Aber das ist unser Kerngeschäft, das können wir sehr gut. Wir haben es den Menschen erleichtert, ihren Antrag zu stellen, ohne physisch vor Ort zu sein. Wir haben alle Formen von Anträgen akzeptiert, sogar per Foto. Daneben gab es in den Beratungsstellen Hilfe für jene Menschen, die es sonst nicht geschafft hätten. Wobei man sagen muss, die Betroffen haben sich gut organisiert, es gab ein hohes Selbsthilfepotenzial.

Was macht es mit einer Gesellschaft, wenn Hunderttausende nicht oder zumindest nicht "normal" arbeiten können?
Es sind wahnsinnig viele Menschen betroffen. Wenn man es in Relation zu unseren Gesamtbeschäftigten betrachtet, sieht man, dass es für sechs, sieben Wochen einen Teilstillstand in der Arbeitsgesellschaft gegeben hat. Ein Teil musste sich auf Homeoffice umstellen, ein anderer Teil hat noch live vor Ort gearbeitet in versorgungskritischen Bereichen, ein dritter Teil war in Kurzarbeit oder arbeitslos. Es war unvorstellbar für alle Beteiligten, dass es so etwas überhaupt geben kann. Zuvor hat man aus der Ferne beobachtet, was sich mit Corona in anderen Ländern tut, aber nicht gedacht, dass uns das selbst so rasch trifft.

Die Strukturen in Österreich waren auf eine Krise in diesem Ausmaß nicht vorbereitet?
Wir haben erwartet, dass Maßnahmen getroffen werden müssen, und haben noch darüber diskutiert, dass die Arbeitslosigkeit ein bisschen steigen wird. Aber aus Arbeitsmarktsicht war es unvorstellbar, dass alles stillstehen wird. Das war eine Erfahrung für die gesamte Gesellschaft in Österreich.

»Wir waren anfangs auch nicht darauf eingestellt, dass so viele von uns von zuhause aus arbeiten«

Hat Ihnen das als Wiener- AMS-Chefin auch schlaflose Nächte bereitet?
Es hat mir zumindest Nächte beschert, in denen man immer wieder aufwacht, und dann steht man halt um vier Uhr auf und schreibt Mails. Wir waren extrem gefordert. Es ging ja auch um das Management der Gesundheit unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hier. Auch wir haben Covid-19-Fälle gehabt. Man hat gezittert, wann tritt der erste Fall auf. Der war noch dazu in der Abteilung, zu der die Kurzarbeit gehört, die war dann zur Gänze in Quarantäne. Und wenn die, die dieses Thema bearbeiten können, nicht da sind - wie stellen wir dann unsere "Kurzarbeitfabrik" so auf, dass das einigermaßen zu schaffen ist? Dagegen ist die Bearbeitung der Arbeitslosigkeit ja unser Kerngeschäft. Da hatte ich keinen Zweifel, dass wir es schaffen werden, das Geld an alle Betroffenen rechtzeitig auszuzahlen. Dann ist noch die EDV zeitweise stillgestanden, weil so viele zugegriffen haben. Wir waren anfangs auch nicht darauf eingestellt, dass so viele von uns von zuhause aus arbeiten. Aber, wir haben es gut geschafft und sind nun gerüstet für weitere Fälle.

Hat sich im AMS ein Kernteam selbst in Quarantäne begeben wie in anderen Schlüsselbetrieben, um die Versorgung zu garantieren?
Wir waren fast in Quarantäne. Wenn man sechs Tage in der Woche von morgens bis 21.30 Uhr arbeitet, trifft man ohnehin niemanden mehr, bei dem man sich anstecken hätte können. Sogar zuhause haben wir Abstand gehalten, damit ja nichts passiert.

© News/Herrgott

Mit Ende Juni laufen die ersten drei Monate Kurzarbeit aus. Welchen Trend sehen Sie bei den Unternehmen? Werden viele verlängern, oder besteht die Gefahr, dass viele Menschen aus der Kurzarbeit in die Arbeitslosigkeit rutschen?
Wir sehen in Wien eine Reihe von Betrieben, genau 48, die die Kurzarbeit mit Ende März beendet haben, aber noch keine Abrechnung gestellt haben. Es kann sein, dass diese mittlerweile insolvent sind oder dass sie die Kurzarbeitsförderung gar nicht gebraucht haben. Mit Ende April gibt es da sogar noch eine größere Anzahl: rund 1.200 Betriebe. Der Großteil der Kurzarbeitsfälle fällt in die Zeit Mitte März bis Mitte Juni, ein weiterer Teil von Anfang April bis Ende Juni. Wir sind jetzt in der Phase, in der die Verlängerungen beantragt werden. Unsere Schätzung ist, dass 30 bis 40 Prozent der Betriebe verlängern werden. Wir raten auch dazu, die Kurzarbeit lieber weiterlaufen zu lassen, als sie später neu zu beantragen, denn das wäre schwieriger. Genaue Zahlen werden wir erst im Juli haben.

Man kann also noch nicht sagen, wie sich die Arbeitslosigkeit anschließend entwickeln wird?
Derzeit kann man nur sagen, wir sehen positive Tendenzen und Unternehmen, die die Kurzarbeit vorzeitig beenden.

In welchen Branchen läuft es gut an?
Der Großteil der Anträge kam von Kleinbetrieben mit ein bis fünf Beschäftigten. Da ging es um Förderungssummen von 5.000 bis 10.000 Euro pro Monat. Nur etwa fünf Prozent der Anträge machen die großen Beträge aus. Bei den Verlängerungen sehen wir klar: Handwerksbetriebe wie Tischler oder Installateure, Ärzte in ihren Ordinationen, Rechtsanwälte in ihren Kanzleien haben alle wieder angefangen, zu arbeiten. Die brauchen sicher keine zweite Phase.

»Besonders kritisch bleibt die Situation für Hotels und die Gastronomie in Wien«

Wo herrscht weiter Krisenstimmung?
Besonders kritisch bleibt die Situation für Hotels und die Gastronomie in Wien. Alle Bereiche, die vom Tourismus abhängig sind, sind stark betroffen: vom Kaffeehaus bis zum Fünf-Sterne-Hotel. Die werden eine Finanzierung für ein Übergangsjahr brauchen. Bei vielen stellt sich auch die Frage, ob eine zweite Kurzarbeit Sinn macht. Wie viele Gäste kommen überhaupt? Zahlt sich das Aufsperren eigentlich auf? Da sehen wir in Wien einen Unterschied zu den Bundesländern. Der Städtetourismus leidet mehr als eine Fremdenverkehrsregion wie etwa die Kärntner Seen. 2019 war für Wien eine Spitzensaison, aber basierend auf z. B. chinesischen oder amerikanischen Gästen. Dieser Tourismus wurde völlig zum Erliegen gebracht.

Der Chef des AMS Österreich, Herbert Buchinger, hat zu Beginn der Coronakrise gesagt, der Höhepunkt der Arbeitslosigkeit komme womöglich erst Anfang 2021. Derzeit sinken die Zahlen deutlich. Stimmt diese Prognose noch?
Im Moment sehen wir einen positiven Trend, der uns alle freut. In Wien geht es wöchentlich um 2.000 hinunter. Was wir aber nicht wissen, und darauf hat Buchinger Bezug genommen, ist, wie sich die klassische Winterarbeitslosigkeit mit der Corona-Problematik oder womöglich einer zweiten Welle überschneiden wird. Falls das passiert, wird es noch einmal zu einem massiven Anstieg der Arbeitslosigkeit kommen. Jetzt aber sehen wir eine gute Entwicklung: Die Corona-Zahlen entwickeln sich gut, Geschäfte konnten aufsperren, und man hat Arbeitsplätze gesichert.

Wird durch diese Unwägbarkeiten auch der Mut der Unternehmer gedämpft, Arbeitskräfte einzustellen?
Nein, das glaube ich nicht. Arbeitskräfte werden schon wieder gesucht, wir sind endlich wieder bei unserem Kerngeschäft. Das freut einen auch. Es geht wieder um klassische Fragen der Qualifikation. Wenn Unternehmen jetzt jemanden einstellen, wollen sie, dass das wirklich passt. In der Krise sucht man viel spezifischer. Früher hat man gesagt: Ich nehme den einmal, und dann schau ich, ob es klappt.

Man sucht besser ausgebildete Menschen?
Sie müssen gar nicht besser ausgebildet sein. Aber rasch produktiv einsetzbar.

Wo wird gesucht?
Ganz klassisch: Im Handel wurden auch während der Krise Leute eingestellt, im Gesundheitsbereich starten wir auch wieder. Im Baukontext wird überall gesucht. Wir sehen auch, dass die Nachfrage nach der Rot-Weiß-Rot-Karte und die Ausländerbeschäftigung, die während der Krise extrem gefallen sind, wieder ansteigen.

© News/Herrgott

Dennoch stellt sich die Frage der Qualifizierung für die vielen Arbeitslosen. Seitens der Arbeiterkammer vermisst man hier Maßnahmen der Bundesregierung. Wie sehen Sie das?
Ich würde mir wünschen, dass man die Zeit der Arbeitslosigkeit für Qualifizierung nützt. Hier gibt es zwei Bereiche, die der Bundesregierung strategisch wichtig sind: alles rund um die Digitalisierung, denn die Corona-Krise hat hier einen Schub für unser Land gebracht. Doch dafür muss man die Menschen qualifizieren - von der banalen Nutzung bis zur High-Level-Ausbildung. Und es gibt einen hohen Bedarf an Transformationsjobs, wenn wir ökologischer werden wollen. Da wird es Zusatzqualifikationen brauchen. Dafür kann man Zeiten wie diese gut nutzen. Daher brauchen wir eine Qualifizierungsoffensive.

Und das Geld dafür kommt aus dem AMS-Budget?
Qualifizierung macht dann Sinn, wenn es auch Bedarf gibt. Daher brauchen wir eine offensive Wirtschaftsentwicklung, sonst qualifiziert man Leute, ohne dass sie nachher gefragt sind. Das macht wenig Sinn. Bedarf gibt es beispielsweise im Elektrotechnikbereich im Kontext mit Ökologisierung. Da lassen sich Branchen und Qualifizierung gut zusammenbringen. Da müssen wir in unserem Budget schauen, welche Schwerpunkte es geben soll, und entsprechend planen. Eine andere Frage ist, wo man wirklich mehr Mittel einsetzen muss - nämlich auf jeden Fall im Bereich der Jugendlichen und der Jugendarbeitslosigkeit. Wenn man sich hier die Zahlen anschaut: Für junge Leute ist es Moment extrem schwierig. Da müssen wir alle Ausbildungsmöglichkeiten nützen: die überbetrieblichen wie die betrieblichen. Damit das wieder ins Laufen kommt, braucht es mehr Budget. Schon jetzt bekommen Unternehmen Förderungen für einen Lehrling, aber wir brauchen in den nächsten zwei Jahren noch mehr Geld für eine überbetriebliche Lehrausbildung.

Jugendliche waren in den letzten drei Monaten besonders stark von Arbeitslosigkeit betroffen. Ist das ein reiner Corona-Effekt, oder zeigen sich da auch grundsätzliche Schwächen in der Ausbildung?
Wenn Sie sich die Zahlen bei den Lehrstellen ansehen, da gibt es einen eindeutigen Corona-Effekt. Die Zahl der offenen Lehrstellen ist im Vergleich zum Jänner rapide gefallen. Unternehmen sagen, in der jetzigen Situation nehme ich keinen Lehrling auf. Wir haben die Betriebe durchtelefoniert und sind glücklich, dass es jetzt wieder leicht steigt. Der Tiefstand der neu gemeldeten Lehrstellen war bei 56 im April, im Mai waren es schon wieder 221. Im Jänner waren es allerdings 737.

»Es braucht eine gemeinsame Anstrengung, um junge Menschen nicht für zwei, drei Jahre zu verlieren«

Besteht die Gefahr einer "verlorenen Generation"?
Ja. Es braucht eine gemeinsame Anstrengung, um junge Menschen nicht für zwei, drei Jahre zu verlieren. Das ist für junge Menschen eine wahnsinnig lange Zeit. Wie zehn Jahre für einen Erwachsenen. Zwei Jahre Warten zu überbrücken, ist nicht einfach. Da müssen alle Maßnahmen dagegen gesetzt werden. Wir wissen, dass die Stadt Wien massiv investiert und die Anzahl ihrer Lehrstellen verdoppelt. Sie hat uns auch schon einiges übermittelt, welche Aktivitäten geplant sind, um jungen Wienerinnen und Wienern eine Chance zu geben. Wir sind dankbar, wenn die Ausbildungsstellen bei den Betrieben wieder steigen. Man muss schauen, dass am Ende niemand übrig bleibt.

Was würden Sie Eltern raten, deren Kinder gerade in dieser Übergangsphase sind: weiter in die Schule gehen, wenn es das Zeugnis erlaubt, oder eine Lehre machen?
Auf jeden Fall die Schule, wenn es das Zeugnis hergibt. Es wird derzeit auch bei den Wiener Schulen erhoben, welche Plätze es noch gibt. Das Ziel unserer Anstrengungen muss sein, jede Lehrstelle in Wien mit einem Wiener Jugendlichen zu besetzen. Das zweite Ziel ist, zu sagen, die Kinder sollen länger in die Schule gehen.

Gibt es die dafür nötigen Schulplätze überhaupt?
Da bekommen wir jetzt die Auswertungen. Aber das große Thema ist vielmehr: Schaffen die Jugendlichen das überhaupt? Die Rückmeldungen sind eher so: Es scheitert nicht an den Plätzen, es scheitert an den Noten im Zeugnis. Die Frage ist, wie kann man einen Übergang organisieren, wo man sagt, es ist besser, diese Jugendlichen gehen für ein Jahr in die Schule und holen eine Basisbildung nach, bevor sie strukturlos in den Tag leben. Aber ich hoffe, dass das neben den Lehrstellen und der überbetrieblichen Ausbildung nur eine kleine Zahl betreffen wird.

Es geht also bei den Schulplätzen vor allem darum, zu viel "Tagesfreizeit" zu verhindern?
Ja, richtig. Ein Jahr Tagesfreizeit wäre zu viel. Unsere Kollegen, die die Jugendlichen betreuen, sagen derzeit: "Wir erreichen sie ja ganz gut am Telefon, aber halt nicht zu früh." Wenn sie nicht einer Ausbildung, sondern daheim sind - so groß ist die Motivation dann auch nicht, um acht Uhr aufzustehen. Da verschieben sich die Strukturen rasch. Es wäre wichtig, dass die Jugendlichen in einem Tagesablauf bleiben. Interessant ist, wie wichtig bei ihnen der persönliche Kontakt ist. Wir hören, dass jene, die nun wieder in die Beratungsstellen gehen, extrem dankbar sind, dass sie wieder kommen können.

Wie ändert sich die Einstellung zur Arbeit generell nach Wochen des Homeoffices, der Kurzarbeit und der Sorge um den Arbeitsplatz?
Insgesamt ist die Wertschätzung für die Arbeit natürlich gestiegen. Man ist schon froh, wenn man einen Job hat. Bei jenen, die gut qualifiziert und technisch ausgestattet sind, waren viele begeistert im Homeoffice. Aber man sieht verstärkt: Das sind zwei Welten - jene, die alles zuhause haben, und jene, die gar nichts haben. Viele Jugendliche haben keinen Laptop. Denen wurden von der überbetrieblichen Ausbildung die Perücken zum Üben nachhause gebracht oder die Aufgaben mit der Post geschickt. Wir hören von Mädchen, denen daheim das Handy weggenommen wurde, damit sie nicht eine Dreiviertelstunde mit der Ausbildung telefonieren. Und von Familien, bei denen um den alten PC gestritten wurde, der den Jugendlichen zum Lernen mitgegeben wurde. Diese beiden Welten sind noch einmal auseinandergedriftet. Auch da muss man Geld in die Hand nehmen, um Jugendliche mit Infrastruktur zu unterstützen. Das ist unser Lernen aus dieser Krise.

»Einmalzahlung ist eine rasche Hilfestellung in einer Krise und insofern positiv«

Ums Geld geht es derzeit auch bei den Arbeitslosen: Die Regierung hat eine Einmalzahlung von 450 Euro beschlossen. Gewerkschaften und SPÖ sagen, das ist zu wenig. Die Nettoersatzrate müsse von 55 auf 70 Prozent erhöht werden.
Aus meiner Perspektive sage ich, die Einmalzahlung ist eine rasche Hilfestellung in einer Krise und insofern positiv. Wir wissen außerdem, in der Arbeitslosigkeit geht das Geld direkt in den Konsum und ist daher marktstimulierend. Die Erhöhung des Arbeitslosengeldes ist hingegen für mich nur bedingt ein Corona-Thema. Hier muss sich die Politik einigen, welches System man in Österreich haben will. Die Diskussion ist ja nicht neu, es hat schon Wifo-Studien dazu gegeben, was es bewirkt, wenn man Arbeitslosen am Anfang mehr auszahlt. Die letzte Diskussion darüber ist beendet worden, weil klar war, dass man die Notstandshilfe aufrechterhalten will. Da war klar, wenn ich insgesamt im System nicht viel mehr ausgeben will, kann ich am Anfang das Arbeitslosengeld auch nicht erhöhen. In anderen Ländern sichert man die erste "Sucharbeitslosigkeit" finanziell besser ab, dafür fällt man dann tiefer, und es gibt auch keine Notstandshilfe.

Der Bundeskanzler lehnt eine Erhöhung mit dem Argument ab, es fehle dann der Anreiz, überhaupt eine Arbeit zu suchen. Stimmt das aus Sicht der Jobvermittlerin?
In einem funktionierenden Arbeitsmarkt gibt es natürlich einen Effekt: Die Höhe des Arbeitslosengeldes hat einen Einfluss darauf, wie schnell man eine neue Arbeit sucht. Dazu kommt, dass Sie sich in einem bestimmten Alter selbst vom Arbeitsmarkt ausschließen, wenn Sie die Sucharbeitslosigkeit zu lange werden lassen. In meinem Alter ist es schlecht, wenn man länger sucht, denn dann wird man einfach nichts mehr finden. Da nimmt man am besten den Job, den man kriegt, und denkt, hoffentlich schaffe ich es von dort.

Wie lautet Ihre Prognose: Ab wann werden wir denn wieder von einem normalen, funktionierenden Arbeitsmarkt sprechen können?
Wenn die Corona-Entwicklung positiv bleibt, werden sich viele Bereiche schnell normalisieren. Aber in den Bereichen Tourismus und Großveranstaltungen wird es wohl noch länger dauern. Insgesamt wird es erst eine Erholung geben, wenn die Covid-Behandlung und die Medikamente besser werden, dann muss man sich nicht mehr so fürchten. Aber da reden wir wohl von einem Jahr. Auch, weil es ja weltweit immer noch Schwankungen gibt und man das Virus womöglich wieder importiert.

Petra Draxl (59) stammt aus Judenburg in der Steiermark. Ihre Tätigkeit als selbstständige Projektleiterin und Beraterin führte sie in die Schweiz, nach Ungarn, Polen, Tschechien, Kroatien, Bulgarien und Serbien. Vor ihrer Tätigkeit im AMS Wien war sie Abteilungsleiterin für den Europäischen Sozialfonds (ESF) im Sozialministerium. 2012 wurde sie zur Landesgeschäftsführerin des Arbeitsmarktservice Wien bestellt.

Das interview ist ursprünglich in der Printausgabe von News (26/2020) erschienen!