Die Stimmlosen

Am 11.10. wählt Wien - Mehr als ein Viertel der Wohnbevölkerung darf nicht mitstimmen

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Wien Wahl - Die Stimmlosen

 180.000 Wiener, welche die Staatsbürgerschaft eines anderen EU-Landes haben, können zumindest auf Bezirksebene wählen. 220.000 Wiener haben die Staatsbürgerschaft eines Nicht-EU-Staates und dürfen gar nicht wählen. Seit der Verfassungsgerichtshof 2002 das Wiener Ausländerwahlrecht auf Bezirksebene kippte, sind sie vom Wahlrecht ausgeschlossen. Die Rot-Grüne Stadtregierung ist zwar für eine Ausweitung des Wahlrechts, es handelt sich jedoch um eine Bundeskompetenz und bislang konnte sich die Stadtregierung mit dieser Forderung nicht durchsetzen.

In den meisten EU-Ländern ist das Wahlrecht inzwischen anders geregelt. Früher orientierte sich das Wahlrecht meist an der Staatsbürgerschaft, doch seit mehr und mehr EU-Staaten zu Einwanderungsländern geworden sind, wird immer häufiger versucht, auch Nicht-Staatsbürgern die Mitbestimmung zu ermöglichen. 21 von 28 EU-Staaten haben ein weniger restriktives Wahlrecht als Österreich. In Wien, einer der am schnellsten wachsenden Städte Europas, steigt die Anzahl der Nicht-Wahlberechtigten laufend an. Die Wohnbevölkerung wächst, doch immer mehr Wienern fehlt die Möglichkeit, demokratisch mitzuentscheiden. Alleine seit Ende des vergangenen Jahres ist der Anteil der Nicht-Wahlberechtigten von 24 auf aktuell 26,5 Prozent gestiegen. Seit 1945 konnte nie ein größerer Teil der Wiener ihr Wahlrecht nicht ausüben als gegenwärtig.

Das betrifft auch viele Menschen, die schon sehr lange im Land sind. Denn der Zugang zur Staatsbürgerschaft ist in Österreich sehr restriktiv. Einen voraussetzungslosen Rechtsanspruch auf die Staatsbürgerschaft gibt es nicht. Wenn Kriterien, wie ausreichende Deutschkenntnisse und ein Einkommen von mehr als 870 Euro nach Abzug aller Fixkosten erfüllt sind, muss nach spätestens 30 Jahren die Staatsbürgerschaft gewährt werden. Werden sie nicht erfüllt, besteht dieser Anspruch unter Umständen nie. Davon sind immer mehr auch im Land geborene Kinder von Zuwanderern betroffen. Denn während in Deutschland ein Kind von zwei Personen, die acht Jahre legal im Land leben, einen erleichterten Anspruch auf die Staatsbürgerschaft hat, geht der Ausschluss vom Wahlrecht in Österreich auf die nächste Generation über.

Einmal wählen ohne Pass

Die Menschenrechts-NGO SOS Mitmensch veranstaltete am Dienstag, den 6. Oktober, die "Pass Egal"-Wahl, um auf diesen Ausschluss vom Wahlrecht hinzuweisen. Es wurde symbolisch ein Wahllokal eröffnet und alle konnten unabhängig davon, ob sie einen österreichischen Pass besitzen, wählen gehen. Die abgegebenen Stimmen sind für die Gemeinderatswahl natürlich nicht gültig, sollen aber deutlich machen, wie viele Menschen ihr demokratisches Recht auf Mitbestimmung nicht ausüben können. Der Andrang war enorm und über Stunden standen Wiener im Schnitt mehr als 20 Minuten an, um ihre Stimme abzugeben. Zuletzt veranstaltete SOS Mitmensch die Aktion rund um die Nationalratswahl. Damals nahmen 600 Personen aus 66 Ländern teil. Diesmal war der Andrang noch weit größer.

Die Aktion macht deutlich, wie massiv sich der Ausschluss eines immer größeren Teils der Wohnbevölkerung vom Wahlrecht auf das Wahlergebnis auswirkt. SOS Mitmensch fordert, dass jeder, der seinen Lebensmittelpunkt drei Jahre in Österreich hat, das nationale und kommunale Wahlrecht erhalten soll. Mehr als 70 Prozent der Nicht-Wahlberechtigten wären davon erfasst. Aktuell leben diese Menschen in Wien, zahlen hier vielfach Steuern und sind von kommunalen Entscheidungen unmittelbar betroffen. Doch mitentscheiden können sie nicht.

"Der Ansturm war so groß, dass das Wahllokal erst mit mehr als einer halben Stunde Verspätung geschlossen werden konnte", heißt es auf "sosmitmensch.at". Insgesamt 1.223 Personen nahmen teil. Das Ergebnis unterscheidet sich deutlich jenem der Wien-Wahl, wie es laut Umfragen prognostiziert wird. Überraschend kamen die Grünen auf 50,86 Prozent. Während noch 28,95 Prozent für die SPÖ stimmten, gaben gerade mal 1,23 Prozent ihre Stimme für die ÖVP, 4,82 Prozent für die Neos und 7,77 Prozent für Andas ab. Der große Verlierer der Pass Egal Wahl ist die FPÖ. Bei den Wählern, die großteils nicht wahlberechtigt wären, kam sie nur auf 0,82 Prozent. Das mag auch daran liegen, dass sich die FPÖ sich besonders vehement gegen eine Ausweitung des Wahlrechts auf Nicht-Staatsbürger ausspricht.

25 Jahre in Österreich ohne Wahlrecht

Einer von ihnen ist der aus Brasilien stammende Künstler Paulo Bitencourt. Bei der "Pass Egal"-Wahl sorgte er für die musikalische Begleitung. Bei Wahlen ist er selbst stimmlos. Er lebt seit 25 Jahren in Österreich, doch wählen darf er hier nicht. Er spricht zwar seit Jahrzehnten perfekt Deutsch und hat einen Großteil seines Lebens hierzulande verbracht, doch sein Einkommen als Künstler reicht nicht aus, um die Anforderungen für die Staatsbürgerschaft zu erfüllen. Nach Abzug aller Fixkosten müssten ihm monatlich 870 Euro übrig bleiben, um die Staatsbürgerschaft zu erhalten. Das Einkommen des Künstlers schwankt jedoch monatlich und er erfüllt die Auflage nicht. So lange er dieses Einkommen nicht nachweisen kann, wird er nie in Österreich wählen dürfen. Zwar verdienen auch viele Österreicher weniger als die geforderte Summe, im Gegensatz zu Paulo Bitencourt dürfen sie jedoch wählen.

Der Brasilianer Paulo Bitencourt, eigentlich Paulo Roberto de Paula Bitencourt, ist 48 Jahre alt. Ursprünglich kam er für das Studium nach Wien. Hat am Konservatorium Operngesang studiert, war danach jahrelang im Burgtheater-Ensemble angestellt und arbeitet heute als selbständiger Künstler. News hat mit ihm über sein fehlendes Wahlrecht gesprochen.

PAss Egal Bitencourt
© Daniel Steinlechner Paulo Bitencourt begleitete die Pass Egal Wahlen musikalisch. Stimmberechtigt ist er nicht.

Herr Bitencourt, wie sind sie nach Österreich gekommen?

Paulo Bitencourt: Ich lebe seit 25 Jahren in Österreich. 1990 kam ich nach Wien, um Operngesang zu studieren und bin dann hier geblieben. Es war für mich selbstverständlich, sofort Deutsch zu lernen. Ich habe mich bereits am ersten Tag für einen Deutschkurs inskribiert und konnte bereits nach wenigen Monaten so gut Deutsch, dass ich Maturaprüfungen absolvieren konnte. Das war notwendig, weil meine Schulzeugnisse aus Brasilien nicht anerkannt wurden.

Wieso erhalten sie nach so langer Zeit keine Staatsbürgerschaft?

Das Staatsbürgerschaftsgesetz verunmöglicht mir das. Ich muss über die letzten drei Jahre ein gesichertes Nettoeinkommen von 1.000 Euro nachweisen. Gerade als Künstler verdient man aber unregelmäßig. Obwohl selbst viele Österreicher weniger als 1.000 Euro verdienen, verlangt man das von mir. Ich habe zwar immer sparsam gelebt und mehr angespart, als die drei Jahre an Einkommen ausmachen, aber selbst das hilft mir nichts.

Wie wirkt sich das auf Sie aus?

Ich bin mit einer Russin verheiratet und unser Sohn ist jetzt auch ein Ausländer. Das ist ja ein biblisches Prinzip, dass die Schuld vom Vater auf den Sohn übergeht. Ich habe ein Daueraufenthaltsrecht. Man erlaubt mir, hier für immer zu leben, zu arbeiten und Steuern zu zahlen. Aber man erlaubt mir nicht, zu wählen.

Was müsste sich ändern?

Es wird über unsere Köpfe entschieden und das ist nicht demokratisch. Ich bin der Überzeugung, dass das Wahlrecht nicht an einer Einkommenshürde hängen darf. Die muss man abschaffen und zumindest Menschen mit Daueraufenthaltsrecht ein Wahlrecht ermöglichen. Ein Problem ist sicher, dass viele Menschen nicht wissen, wie viele Leute hierzulande nicht wählen dürfen. Wenn sich das ändern soll, dann muss man das Problem bekannter machen.

Paulo Bitencourt PAss Egal.
© Daniel Steinlechner Paulo Bitencourt bei der Pass Egal Wahl

"Ich fange an zu bereuen, dass ich mich hier so eingebracht habe und das will ich nicht"

Hat das Ihren Blick auf Österreich verändert?

Ich bin Österreich sehr dankbar dafür, dass es mir ermöglicht hat, mich mental und kulturell zu entwickeln. Ich komme aus keiner wohlhabenden Familie und hier erschloss sich mir ein ganz neuer Horizont an Literatur und Kultur. Ich liebe dieses Land und habe es wirklich gut kennengelernt. Ich war in allen Bundesländern, habe Thomas Bernhard gelesen und ein gutes Gespür für Österreich entwickelt. Heute denke ich mir, dass das alles nichts wert ist. Es entsteht bei mir ein sehr negatives Gefühl, das ich nie hatte.. Ich fange an zu bereuen, dass ich mich hier so eingebracht habe und das will ich nicht.


Denken Sie, dass es andere Wahlergebnisse gäbe, wenn auch Nicht-Staatsbürger wählen dürften?

Ich kann nicht sagen, ob die Ausländer anders wählen würden als die bisher Wahlberechtigten. Aber ich weiß, dass es falsch ist, sie auszuschließen. Als ich am Burgtheater anfing, war Claus Peymann dort Direktor. Die FPÖ unter Jörg Haider führte damals gerade die Kampagne für das Ausländervolksbegehren. Wir hängten ein Plakat auf, dass das Burgtheater international ist. 50 Nationen waren vertreten. Brasilien nur wegen mir. Das machte mich sehr stolz.

Sie kennen Brasilien und Österreich sehr gut. Gibt es einen Unterschied im Umgang mit Ausländern?

In Brasilien stört sich niemand an Zuwanderern. Im Gegenteil, man findet es cool, wenn Menschen von anderswo kommen, um sich dort niederzulassen. Hier sieht man das sehr viel negativer. Ich denke, dass das mit der Geschichte dieses Landes zusammenhängt. Mit dem Bedeutungsverlust nach dem Ende der Monarchie, aber auch mit dem Nationalsozialismus.

PAss Egal Bitencourt
© Daniel Steinlechner Paulo Bitencourt

Kommentare

"Erdogan-Türken" dürfen in ihrer Heimat wählen. Nun sollen sie auch bei uns das Wahlrecht bekommen? Wir aber dürfen in der Türkei nicht mit wählen. Wenn sich jemand zu diesem Staat bekennt, bekommt er auch die Staatsbürgerschaft. Bei einem Länderspeil merkt man ja ohnehin zu welchem Staat sich die vielen "Wiener" bekennen. Nur bei Sozialleistungen oder Gemeindewohnung ist man Wiener.

christian95 melden

"Das Boot ist noch lange nicht voll"! Schon über 1/4 der Bevölkerung von Wien (und da sind die Kinder, weil sie nicht wahlberechtigt sind, gar nicht mitgezählt) sind keine "Wiener" mit Staatsbürgerschaft.
Vielleicht sollte man diesen Menschen bei ihrer illegalen Einreise gleich auch noch eine Wahlberechtigung in die Hand drücken???

christian95 melden

Die Wiener können in ein paar Tagen entscheiden ob sie jedem der in Wien vorbei kommt wählen lassen wollen und somit solche Parteien unterstützen.
Jemand der z.B. als Staatsbürger obdachlos ist hat es schwer zu wählen. Wenn man aber in Containern oder Zelte als Nichtstaatsbürger eine vom Steuerzahler finanzierte Unterkunft bekommt, soll man sofort wählen dürfen?

christian95 melden

Theoretisch hat dann jemand der Sozialhilfe bekommt dann kein Wahlrecht, weil er "Steuern kassiert" und nicht "Steuern bezahlt".

Denksport melden

Also ich bin auch dagegen, dass Nicht-Staatsbürger bei Landtagswahlen ihre Stimme abgeben, aber dass Staatsbürgerschaft nur bei einem bestimmten Einkommen verliehen wird, das ist schon diskriminierend. Zudem muss jeder in das Sozialwesen einzahlen, auch wenn er/sie 1 Euro im Monat verdient, nämlich einen Mindestsatz, und Lohnsteuer zahlt man erst ab 11.000 Euro/Jahr. Und ausserdem ist es ziemlich

Denksport melden

dreist zu behaupten, dass ein Viertel der Wiener Gesellschaft illegal zugezogen wäre. Denn innerhalb der EU gibt es diese Illegalität von der Sie sprechen nicht. Als Illegal kann nur die nicht registrierte und nicht genehmigte Einreise in die EU selbst bezeichnet werden, nicht aber der Reise- und Durchzugsverkehr, sowie die Sesshaftmachung innerhalb der EU.

Querdenker62 melden

Das Wahlrecht sollte nicht von der Staatsbürgerschaft, sondern vom Steueraufkommen abhängen. Da wo ich Steuern zahle darf ich auch mitreden und wer keine Steuern zahlt eben nicht.

christian95 melden

Das Wahlrecht ist das alleinige Recht eines Staatsbürgers. Wer kein Staatsbürger ist hat auch kein Wahlrecht!
Wer nur Steuern zahlt und kein Staatsbürger ist, ist ein "Gastarbeiter" und hat mit unserer politischen Vertretung nichts zu tun.
(Steuern zahlt ja auch ein Tourist wenn er nach Wien kommt)

Querdenker62 melden

Da geht es natürlich um die Einkommenssteuer. Wer in das System einzahlt, soll auch bestimmen was mit dem Geld gemacht wird. Wer nur nimmt (Sozialhilfe) soll auch nicht mitreden dürfen.

Tavington melden

nur einheimische steuerzahler sollen wählen. dann würde spö gerade mal 0,5% erreichen. wenn überhaupt.

christian95 melden

@Querdenker62
Warum so kleinlich? JEDER der sich am Wahltag im Land aufhält soll wählen dürfen. Warum statt der Staatsbürgerschaft nun mit der Einkommenssteuer neue Hürden aufbauen?
Somit brauchen wir keine Wählerlisten mehr. Im Computerzeitalter kann man beliebig an einem Wahllokal vorbei gehen und sofort wählen.....

dageier melden

haha. Kann doch nur ein Scherz sein ,oder? Auf so eine Idee kann man doch nur als Komiker kommen... Dauert nicht mehr lange und die kommen auf die Idee,das jeder Erdenbürger ohne Österreichischen Wohnsitz auch wählen darf... na da gäbe es ein paar Wahlkarten mehr.
Bitte einfach die Landesinterna hinnehmen und nicht dauernd fordern..

christian95 melden

Es wird immer blöder!
Ein NÖ z.B. darf in Wien nicht wählen. Wenn jemand aber aus Syrien, womöglich auch noch illegal einreist, soll er wählen dürfen????

Ja wenn Fremde in fremden Länder wählen dürften - das kann wohl nicht der Inhalt sein oder - Gehirne einschalten - Die österreichische Staatsbürgerschaft bekommt man e leicht und wenn man sie nicht will oder es Gründe gibt das man sie nicht bekommt darf man auch nicht wählen so einfach ist das. Punkt

gustigusti melden

Wie kommt man überhaupt auf eine solche Idee, diesen Irrsinn auch nur anfangsweise zu denken? Hiermit ist ein neuer Tiefstpunkt erreicht, liebe News. Selbstverständlich darf ein Nicht-Österreicher nicht wählen, wie kann das überhaupt zur Diskussion stehen? Das ist das letzte Recht, das die Österreicher noch halten. Ausländer können auf unseren Arbeitsmarkt, in unsere Gemeindewohnungen und in

gustigusti melden

unser Sozial- (oder sollte ich sagen Wohlfahrts-)System. Nein, nein und nochmals nein, nicht heute, nicht in Zukunft, niemals!

christian95 melden

100% richtig; so sehe ich das auch.
"Wir" haben demnächst die Wahl.

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