Wien-Wahl: "Der Kurz-
Bonus ist im Schwinden"

Schenkt man den letzten Umfragen Glauben, wird sich die ÖVP über die meisten Zugewinne bei der Wien-Wahl im Oktober freuen können. Politexperte Peter Plaikner warnt vor voreiligen Schlüssen und erklärt die größten Baustellen des Wiener Wahlkampfs.

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Innenpolitik - Wien-Wahl: "Der Kurz-
Bonus ist im Schwinden"

Wenn man die letzten fünf Jahre Wien Revue passieren lässt: Funktioniert Rot-Grün noch? Die Koalition ist ja schon 2015 ein wenig angeschlagen ins Rennen gegangen.
Aus meiner Sicht funktioniert es überraschend gut. Mit dem Wechsel zu Birgit Hebein war der Optimismus von allen, die diese rot-grüne Koalition mögen, nicht ganz so groß. Man hat viele Stimmen gehört, die gesagt haben, Hebein sei deutlich fundamentalistischer als Vassilakou, das könne mit der SPÖ nicht funktionieren. Aber auch diese Kombination hat sich dann als relativ harmonisch entpuppt.

Hebein hatte am Anfang auch mit Vorurteilen zu kämpfen, dass sie möglicherweise zu wenig Akzente setzen könne im Vergleich zu ihrer Vorgängerin.
Außenwirksame Projekte wie beispielsweise die Begegnungszone auf der Mariahilfer Straße hat es natürlich nicht gegeben. Ich denke allerdings, dass das bei der Wahl im Herbst ohnehin nicht relevant sein wird. Selbst wenn es nämlich unter Hebein solche Projekte gegeben hätte, wären sie von der Coronakrise überstrahlt worden.

Die Wien-Wahl wird indirekt wohl ein Stellvertreterkonflikt um die Bewältigung der Coronakrise - auch wenn alle sagen werden, dass es sich um eine Landtagswahl handle und sie nichts mit Bundesereignissen zu tun habe. Allein die Zuspitzung auf Bundes-ÖVP gegen die Wiener Sozialdemokratie wird dann automatisch auch eine Zuspitzung darauf, wer bei der Bewältigung der Coronakrise besser agiert hat.

Im April war zu vernehmen, dass die SPÖ Rot-Grün gerne fortsetzen würde, aber „lieber ohne Hebein". Ist das realistisch?
Eine Partei kann sich nicht die Chefin oder den Chef des Koalitionspartners aussuchen. Vor allem, weil absehbar ist, dass die Auswahl für die SPÖ beschränkt ist. Wenn wir alle bisherigen Umfragen ernst nehmen, dann bleibt ja eigentlich nur die Wahl zwischen ÖVP und den Grünen. Im Gegenzug heißt das: So wie die Sozialdemokratie auf Bundesebene gegen den Spitzenkandidaten der ÖVP agiert, müssten sie an dieser Stelle auch sagen, dass sie nur ohne Blümel bereit wären mit Türkis zu koalieren. Auf diese Art werden sie aber sehr schnell alleine dastehen.

»Die Grünen stehen vor einem ganz schwierigen Spagat«

Aber mit der Ansage „lieber ohne Hebein“ kommen ja gewisse Differenzen zutage. Wie könnte Rot-Grün erneut funktionieren?
Die Ansage halte ich in erster Linie für Wahlkampftheater. Für die SPÖ geht es letztendlich darum, den erfolgreichen Wiener Weg und Attribute wie die „lebenswerteste Stadt der Welt“ fortzusetzen.

Die Grünen hingegen stehen vor einem ganz schwierigen Spagat. Letztlich koalieren sie ja nur in der Wien mit der SPÖ. In allen anderen Ländern und natürlich auch im Bund ist das anders und Wien dürfte somit eine ziemliche Zerreißprobe werden.

Lässt sich das für die Grünen verhindern?
Es ist schon festzustellen, dass die Grünen auf Bundesebene immer mehr Distanz zum Koalitionspartner suchen. Man versucht damit den Unterschied doch klarer zu machen als es in den vergangenen Monaten der Fall war. Das gilt insbesondere für Vizekanzler Kogler, der das teilweise besonders offensiv macht, aber auch für Anschober in seinen Reaktionen.

Glauben Sie, dass die Wienerinnen und Wiener überhaupt für ein Da Capo zu haben wären? Wie hoch schätzen Sie die Chance ein, dass wir nach dem 11. Oktober wieder ein rot-grünes Wien haben?
Aus meiner Sicht ist die Chance relativ groß, denn was sind die Alternativen: Rot-Türkis? Dann würde Wien auf das Kärntner Modell umschwenken, aber ob das für die Sozialdemokratie insgesamt taktisch klug wäre, ist stark zu hinterfragen. Ich glaube schon, dass es um dieses andere Modell geht und denke, dass Rot-Grün innerhalb der Sozialdemokratie auch leichter durchsetzbar ist als ein Rot-Türkis.

»Eine Dirndl-Koalition muss sich in Wien erst einmal ausgehen«

Wie sieht es mit einer Dirndl-Koalition aus?
Dieses Modell gibt es zwar in Salzburg, aber das muss sich in Wien erst einmal ausgehen. Wenn man die letzten Umfragen hernimmt, dann ginge sich das knapp nicht aus. Aus meiner Sicht ist es ungeachtet der aktuellen Umfragen auch noch nicht klar, ob die Volkspartei tatsächlich deutlich vor den Grünen landen wird.

Und die Neos waren auch schon einmal lauter…
Sie wären eigentlich die klassische urbane Partei. In allen Umfragen stagnieren sie allerdings, das könnte mit der mangelnden Strahlkraft des Spitzenkandidaten Christoph Wiederkehr zu tun haben. Auf Bundesebene, also im Nationalrat haben die Neos ja ein überraschend breit aufgestelltes Team für so eine kleine Partei. Nur für Wien haben sie offenbar niemanden. Die Dirndl-Koalition könnte unter Umständen auch genau an diesem Schwächeln der Neos scheitern. Das ist schade für sie, weil sie auf Bundesebene einige Gesichter zur Verfügung hätten, die sich bereits profiliert haben.

An der SPÖ führt Ihrer Ansicht nach also kein Weg vorbei?
Wenn sich in den nächsten Monaten nicht gravierend etwas ändern wird, dann nicht. Dazu wirkt die Zufriedenheit der Wienerinnen und Wiener mit der Stadt und ihrer Position auch insgesamt zu groß. Die SPÖ hat schon lange nicht so eine gute Ausgangsposition vor einer Wahl gehabt wie in diesem Fall. Das hat man sehr deutlich gemerkt an den Auseinandersetzungen und Scharmützeln um Corona, insbesondere mit Hacker als Speerspitze in der SPÖ.

»Die strategische Position der ÖVP finde ich enorm schwierig«

Auf den die ÖVP Nehammer losgelassen hat und nicht Blümel…
Die ÖVP tat wie die SPÖ gut daran, ihren Spitzenkandidaten vorerst noch im Hintergrund zu halten. Die strategische Position der ÖVP finde ich auch enorm schwierig. Deutlich schwieriger als für die SPÖ. Was wird Blümel machen? Es ist davon auszugehen, dass ihn alle anderen Parteien extrem drängen werden, sich klar zwischen Bundesregierung und Wien zu entscheiden.

Es macht auf den ersten Blick auch wenig Sinn, einen Finanzminister als Spitzenkandidaten für eine Landtagswahl aufzustellen.
Auch aus seiner persönlichen Perspektive nicht. Denn die wahrscheinlichste Option, die er danach hätte, wäre es, nicht amtsführender Stadtrat zu sein. Und das nach dem Posten des Finanzministers. Das klingt alles andere als verlockend.

Wie lässt sich das erklären? Hat die ÖVP sonst niemanden in Wien?
Genau, sie haben niemanden. Ansonsten hätte es ja auch nicht geschehen können, dass die Partei bei der letzten Wahl auf unter 10 Prozent gesunken ist. Einerseits ist das eine schöne Perspektive für die ÖVP, weil sie die nächste Wahl aus dieser Perspektive gar nicht verlieren kann. Selbst wenn die ÖVP nicht das Ergebnis erreichen sollte, das ihr Umfragen derzeit bescheinigen, wird sie die Partei sein, die die meisten Zugewinne verzeichnet. Das bedeutet, dass sich der Wiener Bundeskanzler Kurz problemlos in den Wahlkampf einbringen kann, ohne sich selbst zu beschädigen. Die große Frage bleibt wirklich nur die nach dem Spitzenkandidaten. Er wird sich entscheiden müssen.

Wir haben ja auch ein Beispiel aus früheren Wahlen, dass ein solcher Entscheidungsdruck zu groß werden kann – vor allem in Richtung Glaubwürdigkeit. Das war bei Alexander Van der Bellen der Fall mit seiner Kandidatur 2010 – dem 2012 dann doch der Wechsel vom Nationalrat in den Wiener Gemeinderat gefolgt ist.

Was also sind die Optionen, wie es mit Blümel weitergeht?
Die Frage ist dabei, wie strategisch es die Volkspartei angehen wird. Wenn sie es langfristig anlegt, dann müsste sie zunächst versuchen, Blümel vor der Wahl möglichst lange als Finanzminister in der Regierung zu halten, weil er damit die bundesweit größere Auftrittsfläche hat. Die Gegner werden aber versuchen, ihn zu einer klaren Aussage zu drängen, in die Stadtpolitik zu wechseln. Derzeit wirkt es eher so, als wäre Wien nur ein Spielbein von Blümel – wie auch von Nehammer. Das wird kaum reichen, um langfristig als Partei in der Stadt erfolgreich zu sein. Denn auch der Kurz-Effekt wird einmal vorbei sein.

»Der Kurz-Bonus ist im Schwinden«

Von den zuletzt bundesweit erhobenen 44% wird die Wiener ÖVP nur träumen können. Was wird der Kurz-Bonus bringen?
Der Kurz-Bonus ist im Schwinden. Dieser Bonus ist zum Großteil auch dadurch entstanden, dass sich in Krisenzeiten alles auf die Regierung fokussiert. Wir merken, dass diese Zustimmung zusehends bröckelt, was nicht unbedingt direkt mit der Person Kurz zu tun hat und auch nicht mit den Regierungspannen, die man derzeit nahezu im Tagesrhythmus miterlebt.

Das wirklich Gefährliche für Kurz ist die ständig wachsende Unzufriedenheit bei den Unternehmerinnen und Unternehmern. Besonders die vielen kleinen Selbständigen, die wirklich ein Problem haben mit den Hilfspaketen, die über die Wirtschaftskammer abgewickelt werden. Im Herbst wird man dann schon wesentlich bedrohlichere Wirtschaftsszenarien erkennen können.

Unterm Strich werden Blümel und die Wiener ÖVP natürlich von der Bundes-ÖVP profitieren können, ob die Werte allerdings so hoch sein werden, wie im April prognostiziert, das ist mit einem ganz großen Fragezeichen zu versehen.

Was leiten Sie daraus ab, dass die FPÖ neulich eine Verschiebung der Wien-Wahl gefordert hat? Schwimmen ihr endgültig die Felle davon?
Das wäre noch eine schöne Untertreibung, die Felle sind nicht mehr sichtbar und sie werden für Dominik Nepp auch nicht mehr sichtbar werden. Dass Strache kandidiert, kommt auch noch dazu. Von dem Ergebnis, das die FPÖ hatte, mit fast einem Drittel der Stimmen, wird insgesamt vergleichsweise wenig Potenzial übrigbleiben – und das müssen sich die Freiheitlichen auch noch mit ihrem ehemaligen Parteichef teilen.

Widersprechen die Argumente zur Verschiebung nicht der Tatsache, dass die FPÖ neuere Kanäle nicht ohnehin stärker bedient als die Mitbewerber?
Das schon, aber sie hat vor allem eine Person beworben und das ist jetzt der Gegner. Strache nutzt das nach wie vor, auch wenn er nicht mehr die ganz große Orgel hat, seine ursprüngliche Fan-Seite wurde ja stillgelegt. Aber er ist wieder auf Social Media aktiv und hat dort weiterhin beachtlichen Zuspruch .

»H.C. Strache wird ziemlich sicher in den Gemeinderat einziehen«

Welche Chancen räumen Sie H.C. Strache ein? Wer soll ihn noch wählen?
Es gibt eine Ursache dafür, dass er ziemlich sicher in den Gemeinderat einziehen wird. Einiges seiner Wirkung beruht auf Social-Media-Kanälen. Man muss nicht gleich von Fake News reden, aber es sind zumindest parallele Wirklichkeiten, die Strache bedient. Der harte Kern an Protestwählern, die aus Prinzip Angebote wie Team Strache wählen würden, in Kombination mit der Opferdarstellung von Strache und nicht zuletzt auch die Medieninkompetenz der Zielgruppe, führt zu einer Verhärtung des 5-Prozent-Potenzials, das er durchaus hat.

Welche Themen werden Ihrer Ansicht nach im Wahlkampf dominieren?
Es macht sich bemerkbar, dass die SPÖ jetzt schon ganz stark auf leistbares Leben und vor allem Wohnen setzt. Der soziale Wohnbau ist natürlich auch ihre große Stärke in Wien, das forciert die Partei auch schon ganz klar über Social Media. Auch die Grünen werden sich auf ihre Kernthemen aus der Stadtregierung heraus konzentrieren. Die anderen Parteien werden sich dementsprechend auf das Thema „Rot-Grüner Machtmissbrauch“ konzentrieren.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. News.at macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Zur Person: Peter Plaikner, geboren 1960, ist Medienberater, Politikanalytiker und war von 2006 bis 2018 auch Lehrgangsmanager für politische Kommunikation an der Donau-Uni Krems.