Nach Kundgebung in Wien-Favoriten erneut Ausschreitungen

Am Tag nach Tumulten bei einer Kurden-Demo in Wien-Favoriten ist die Lage am Donnerstagabend nach einer linken Protestkundgebung im selben Grätzl erneut eskaliert.

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Wien-Favoriten - Nach Kundgebung in Wien-Favoriten erneut Ausschreitungen

Laut Polizeisprecher Paul Eidenberger war die Protestkundgebung zunächst weitgehend friedlich verlaufen, Angriffe auf die Kundgebung, die kurdische und linke Aktivisten veranstaltet hatte, wurden von der Polizei unterbunden.

EKH attackiert

Am späteren Abend twitterten linke und antifaschistische Aktivisten, dass mehrere hundert türkische Faschisten das Ernst-Kirchweger-Haus attackiert hätten, und schrieben diese Angriffe den türkischen ultranationalistischen und rechtsextremen "Grauen Wölfen" zu. Im EKH ist neben mehreren linken Kultur- und Politinitiativen auch der linke türkische Verein ATIGF untergebracht.

Der freie Journalist Michael Bonvalot berichtete, dass auch das Lokal eines weiteren linken türkisch-kurdischen Vereins in unmittelbarer Nähe des EKH angegriffen worden sei. Mitglieder des Vereins hätten sich mit Fahnenstangen gegen die Attacken verteidigt.

Zahlreiche Sachbeschädigungen

Eidenberger bestätigte, dass es im Umfeld des EKH zu zahlreichen Sachbeschädigungen gekommen ist. Die Wielandgasse und die Gudrunstraße waren in dem Bereich von Scherben übersät, was offenbar auf zahlreiche eingeschlagene Autofenster zurückzuführen war.

Urheber der Attacken dürfte demnach ein Mob männlicher türkischer und österreichischer Jugendlicher gewesen sein. Laut Eidenberger gab es sechs Festnahmen zumindest großteils wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt. Einige der Aggressoren zeigten laufend den Wolfsgruß, ein mittlerweile in Österreich verbotenes Erkennungszeichen der "Grauen Wölfe", und schossen auch - vermutlich mit einem pyrotechnischen Gegenstand - einen Balkon in Brand. Ein Polizist wurde durch einen Steinwurf verletzt, er hatte einen gebrochenen Finger.

Ludwig: "inakzeptable" Vorfälle

Im Wiener Rathaus sind die Zusammenstöße einhellig verurteilt worden. Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) sprach von "inakzeptablen" Vorfällen, die nicht toleriert würden. Vizebürgermeisterin Birgit Hebein betonte, dass es "keinen Platz für Faschismus" geben dürfe.

"Wir lassen uns von niemanden das friedliche Miteinander in unserer Stadt gefährden. Die Wienerinnen und Wiener zeichnen sich durch Zusammenhalt aus und dass sie aufeinander schauen. Gerade in Zeiten von Corona ist das wichtiger denn je. Gewalt lehnen wir zutiefst ab und hat in unserer Stadt nichts zu suchen", versicherte Bürgermeister Ludwig in einer der APA übermittelten Stellungnahme.

Hebein forderte via Twitter, dass auch ein "offensives Einschreiten der Polizei" nötig sei, wenn "Faschisten wie die Grauen Wölfe" gewalttätig gegen Kurdinnen und Kurden auftreten. Sie verwies auch darauf, dass Augenzeugen von verbotenen Wolfsgrüßen berichtet hätten.

NEOS-Wien Klubobmann Christoph Wiederkehr bekräftigte in einer Aussendung: "Gewalt ist in jeder Form zu verurteilen. Das Demonstrationsrecht ist ein Grundpfeiler der liberalen Demokratie und von uns allen zu verteidigen. Wien ist eine weltoffene, tolerante Stadt - das soll so bleiben." Genau deshalb dürfe es "null Toleranz" gegenüber extremistischen Ausschreitungen geben.

Nehammer: Keine Toleranz

Innenminister Karl Nehammer und Integrationsministerin Susanne Raab (beide ÖVP) haben am Freitag die Zusammenstöße zwischen kurdischen und türkischen Aktivisten in Wien verurteilt, ohne dabei Partei für eine Seite einzunehmen. Nehammer betonte in einer schriftlichen Stellungnahme, er habe "absolut keine Toleranz" dafür, wenn versucht werde, türkische Konflikte auf Österreichs Straßen auszutragen.

"Wir müssen uns als Gesellschaft und als Polizei entschlossen gegen diese radikalen Kräfte stellen. In einem Rechtsstaat wie Österreich haben wir keinen Platz für Extremismus und schreiten mit aller Konsequenz ein", so Nehammer weiter. Die gewaltbereiten Demonstranten hätten mit Flaschen und Steinen geworfen und dabei auch zwei im Einsatz befindliche Polizisten sowie einen Diensthund verletzt. Der Innenminister wertete dies als eine massive Grenzüberschreitung: "Die Angriffe auf Polizistinnen und Polizisten sind ein Angriff auf die Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in unserem Land."

Nehammer sprach dennoch von einem erfolgreichen Einsatz: "Die herausfordernde Situation konnte durch einsatztaktische Maßnahmen, wie der Festnahme des mutmaßlichen Rädelsführers, deeskaliert und schlussendlich aufgelöst werden." Insgesamt sei es nach derzeitigem Stand zu drei Festnahmen, zwölf strafrechtliche Anzeigen, 20 Verwaltungsanzeigen und 27 Identitätsfeststellungen gekommen.

Ähnlich wie der Innenminister reagierte auch Integrationsministerin Raab. "Ich will keine Auseinandersetzungen zwischen Migrantengruppen auf Wiens Straßen. Wir werden es nicht dulden, dass Konflikte aus dem Ausland zwischen Gewaltbereiten extremistischen Gruppen auf österreichischem Boden ausgetragen werden und unsere Werte mit Füßen getreten werden", betonte sie: "Wer in Österreich leben will, muss sich an unsere Gesetze und Werte halten."

Für Raab wurde durch den Vorfall "wieder einmal sichtbar, wie stark Parallelgesellschaften in Wien ausgeprägt sind". Man werde extremistische Ideologien, die hinter solchen Taten stünden und derartige Gewaltexzesse förderten, weiterhin auf allen Ebenen konsequent bekämpfen. "Zustände wie wir sie aus französischen Vorstädten kennen, dürfen in Österreich keinen Einzug halten", so Raab.

FPÖ-Chef Norbert Hofer ortete ein doppeltes Extremismus-Problem der Stadt Wien, und zwar mit Linksextremen und Kurden einerseits und türkischen Nationalisten, Grauen Wölfe und Erdogan-Treuen andererseits. "Die Integrationsmaßnahmen der rot-grünen Regierung in Wien sind gescheitert, daher darf es vorerst zu keiner weiteren Zuwanderung nach Österreich kommen", forderte er in einer Aussendung.

SPÖ verurteilt Angriff der "Grauen Wölfe"

Die SPÖ-Mandatarinnen Sabine Schatz und Nurten Yilmaz haben die Vorfälle in Wien-Favoriten am Freitag als Angriffe der rechtsextremen "Grauen Wölfe" scharf verurteilt. "Wir müssen Rechtsextremismus und faschistische Tendenzen in unserer Gesellschaft entschlossen bekämpfen", so Schatz in einer Aussendung.

Dass der Angriff vor allem auch gegen eine von Frauen organisierte Demonstration gerichtet gewesen sei, zeige einmal mehr, dass Frauenhass und Rechtsextremismus Hand in Hand gehen, so die beiden Abgeordneten. Es brauche eine rechtsstaatliche Antwort. Gefordert sei Innenminister Karl Nehammer (ÖVP).

Ähnlich positionierte sich das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands (DÖW). "Entgegen Schlagzeilen wie 'Randale bei Kurden-Demo' oder 'Zusammenstöße zwischen Türken und Kurden' gab es an beiden Tagen einen klaren Aggressor: türkische Nationalisten und Faschisten (männliche Form bewusst gewählt), die eine ihnen missliebige Kundgebung angriffen", betonte dieses auf Twitter.