Baustelle Kindergarten

Warum so viele Kindergärten in die Pleite rutschen

Mit der Einführung des Gratiskindergartens hat die Stadt Wien einen tollen Coup gelandet. Dabei wurde aber übersehen, dass dafür auch entsprechende Kontrollmechanismen geschaffen werden müssen. Das Ergebnis ist eine Struktur voller Verunsicherung für alle: Kindergartenbetreiber, Eltern und auch Kinder

von Wien - Baustelle Kindergarten © Bild: shutterstock

Es kam völlig unerwartet. Gerade noch hatte Denitsa den anderen Müttern vom tollen privaten Kindergartenplatz ihrer Tochter Sarah (Name geändert) vorgeschwärmt: Englischunterricht, ein großer Garten, warmherziges Personal. Doch dann findet sie im Sommer 2016 einen Brief in ihrer Post. In diesem wurde der damals 33-Jährigen kurz und knapp mitgeteilt, dass der Kindergarten ihrer Vierjährigen mit dem darauffolgenden Tag geschlossen wird. Ein Schock für die Wienerin, die sich bis dahin schon eher mit der Suche nach der geeigneten Volksschule für ihre Tochter als mit der Suche nach einem neuen Kindergartenplatz beschäftigt hatte.

Mit ihr zitterten auch die Eltern von 2.275 weiteren Kindern, die ebenfalls Betreuungsverträge mit dem Betreiber der "Alt-Wien"-Kindergärten abgeschlossen hatten. Die wochenlangen Verhandlungen zwischen der Stadt Wien und dem Obmann des Vereins Muku, Richard Wenzel, waren jedoch zum Scheitern verurteilt: Der Verein und seine 33 Kindergartenstandorte wurden laut Auskunft des Alpenländischen Kreditorenverbandes (AKV) in Insolvenz geschickt, gegen Wenzel selbst wird wegen angeblich widmungsfremder Verwendung von Fördergeldern ermittelt. "Die Vorerhebungen sind nicht abgeschlossen", sagt Wenzels Anwalt Herbert Eichenseder dazu.

Rückkehr der Kinder

Denitsa harrte aus, schickte ihre Tochter weiterhin jeden Werktag in den Kindergarten - der allen Vorankündigungen zum Trotz geöffnet blieb - und demonstrierte mit einer Vielzahl anderer Eltern auf dem Wiener Rathausplatz für den Erhalt der Kindergartenplätze: "Dabei wurde uns immer wieder suggeriert: Nehmt die Kinder raus, dann können wir in Ruhe zusperren." Zumindest diese Strategie ging nicht auf, noch im Herbst desselben Jahres übernahm der neu gegründete Kindergartenverein "Oase des Kindes" acht ehemalige "Alt-Wien"-Kindergärten, darunter auch den Standort von Sarah. Und es kehrte wieder Ruhe ein. "Innerhalb eines Monats sind alle Kinder an den Standort zurückgekehrt, sogar die, für die ihre Eltern bereits neue Plätze gefunden hatten", sagt Denitsa. Auch das zur Hälfte bereits abgewanderte Personal wurde wieder aufgestockt, zudem vom Betreiber ein neuer Englischlehrer engagiert.

»Am Ende des Monats kam ein Brief des Magistrats, dass der Kindergarten meiner Tochter nicht länger existiert«

Die Idylle währte allerdings nur wenige Monate. "Es war die absolut gleiche Geschichte", sagt die leidgeprüfte Mutter. "Am Ende des Monats kam ein Brief des Magistrats, dass der Kindergarten meiner Tochter nicht länger existiert."Diesmal wurde dem Kindergartenbetreiber laut AKV vorgeworfen, "die Stadt Wien nicht über den Financier des Ankaufs der acht Standorte aufgeklärt zu haben". Gegen diesen Geldgeber werde wegen Untreue, Förderungsmissbrauchs und betrügerischer Krida ermittelt. "Wir hatten keine Ahnung von seinen Geschäften", sagt der ehemalige Geschäftsführer der "Oase des Kindes", Johann Höfler: "Mit dem Entzug der Fördervereinbarung durch die Stadt Wien war unser Kindergarten aber sofort tot, da bleibt nichts anderes übrig als der Gang in die Insolvenz."

31-facher Förderstopp

Gerade in der Bundeshauptstadt sind Pleiten von Kindergartenbetreibern keine Seltenheit. Während in allen anderen Bundesländern heuer und im vergangenen Jahr keinerlei Insolvenzen bekannt wurden (Ausnahme: Niederösterreich mit einer Pleite), ist Wien hier leider Vorreiter im negativen Sinn. "In diesem Zeitraum wurden 31 Einrichtungen die Bewilligungen für den Betrieb eines Kindergartens entzogen oder die Fördervereinbarung beendet", sagt die Sprecherin des Wiener Bildungsstadtrates, Michaela Zlamal. Einige dieser Pleiten wie die von "Alt-Wien" und "Oase des Kindes" stießen dabei auch auf reges öffentliches Interesse (siehe dazu Kasten rechts).

Tatsächlich scheinen in Wien nur die größeren Anbieter von Kindergarten-und Krippenplätzen derzeit vor diesem oder einem ähnlichen Schicksal sicher zu sein: Organisationen wie die Kinderfreunde, Kinder in Wien, die St. Nikolaus Stiftung, die Kindercompany und natürlich die Stadt Wien selbst. "Die wenigsten der kleinen Kindergartenbetreiber haben wirtschaftlich Ahnung", sagt die Vorstandsvorsitzende der Kindercompany, Virginia Franz. "Bis vor zwei Jahren mussten die Kindergärten nicht einmal eine Bilanz vorlegen, einen bloße Einnahmen-Ausgaben-Rechnung reichte vollkommen aus."

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Möglich ist das alles durch die Einführung des beitragsfreien Kindergartens im Herbst 2009. Glaubt man einem Insider, war der Gratiskindergarten ein Schnellschuss der Wiener SPÖ-Spitze im Vorfeld der Gemeinderatswahl 2010: "Weder die beiden Magistratsabteilungen noch andere Verantwortliche waren vorab informiert." Dennoch oblag es den Beamten, ein vollkommen neues System innerhalb von nur zwei Monaten hochzuziehen. Dazu benötigte man die Unterstützung der großen Kindergartenbetreiber und vieler kleiner: "Im Rathaus haben damals regelrechte Anwerbungsveranstaltungen stattgefunden", so ein hochrangiger Politiker. Das Konzept ist nicht ganz aufgegangen: Die Wiener SPÖ verlor bei dieser Wahl ihre absolute Mehrheit.

Dennoch ist das Ergebnis einmalig in Österreich: Es sind aktuell 480 private Kindergartenbetreiber in Wien, die monatliche Förderungen von 233 bis 391 Euro pro Kind (abhängig von Alter und Betreuungsdauer) plus maximal 1.676 Euro Verwaltungszuschuss (abhängig von der Größe des Betreibers) erhalten. Das sind im Jahr 341,6 Millionen Euro Steuergeld, um zu gewährleisten, dass Wiener Eltern für den Krippen-oder Kindergartenplatz außer dem Essensbeitrag nichts bezahlen.

Doppelte Gehälter

Ein solches System führt jedoch fast zwangsläufig zu Unregelmäßigkeiten. So hat der Stadtrechnungshof Wien bereits bei einer Prüfung 2015 festgestellt, dass bei manchen privaten Betreibern Missstände herrschen. Die dokumentierten Fälle handeln von doppelt gemeldeten Kindern, aber auch von Vorstandsmitgliedern, die sich in ihrer Doppelfunktion als Pädagoginnen hohe Zulagen oder fürstliche Gehälter ausbezahlt hatten. Oder gleich bei mehreren Vereinen angestellt waren. Eine Vorgehensweise, die laut Stadtrechnungshof allein "aufgrund der damit verbundenen zeitlichen Belastung weitere Zweifel an der Angemessenheit des von der geprüften Trägerorganisation ausbezahlten Gehalts aufkommen ließ".

Auch wurden Umbauarbeiten in Rechnung gestellt, die nicht nur den Kindergarten, sondern zusätzlich die Wohnung einer Verwandten der Vereinsobfrau im selben Haus betroffen hatten. Weiters "zeigte sich", so die Prüfer, "dass nahezu alle in die Stichprobe einbezogenen Trägerorganisationen Kraftfahrzeuge betrieben". Die Anschaffung eines Firmenautos mache zwar für Organisationen mit mehreren Standorten Sinn, bei nur einem einzigen komme jedoch die Verrechnung von Kilometergeld weit günstiger. Noch dazu, wenn es sich um keine dienstlichen, sondern private Fahrten wie zwischen Wohn-und Arbeitsort handle.

Diese Vorkommnisse haben vornehmlich kleine Trägerorganisationen betroffen. "Vielfalt ist per se immer begrüßenswert, ein einheitliches Qualitätsverständnis ist aber auch notwendig", sagt dazu Thomas- Peter Siegl, Geschäftsführer von Kinder in Wien, einem der größten Betreiber der Bundeshauptstadt.

»Eine einzige Stelle -die Stadt Wien -ist also Geldgeber und Kontrollor zugleich«

Doch auch die Stadt Wien muss sich den Vorwurf gefallen lassen, das System des beitragsfreien Kindergartens selbst in seinem achten Bestehensjahr noch immer nicht im Griff zu haben. Da wäre zum Beispiel die Konzentration der drei Organe Fördergewährer, Abwicklungsstelle und Kontrollorgan auf nur zwei Magistratsabteilungen. "Eine einzige Stelle -die Stadt Wien -ist also Geldgeber und Kontrollor zugleich", sagt ein Branchenkenner. Dazu kommt die Struktur der Kontrollen. So empfiehlt der Stadtrechnungshof Wien der zuständigen Magistratsabteilung 10 "aus generalpräventiven Überlegungen", die Kindergartenbetreiber "ehestmöglich stichprobenartig einer umfassenden Überprüfung zu unterziehen".

Eine Vorgehensweise, die zum derzeitigen Zeitpunkt bei 480 privaten Trägerorganisationen und 365 städtischen Kindergärten in einem größeren Ausmaß nicht machbar zu sein scheint: "Die Stadt Wien hat kein Personal für die Überprüfungen der Kindergärten - weder in der Anzahl noch in der Ausbildung", so ein Politiker. Ein leitender Beamter konkretisiert: "Die Inspektorinnen wechseln wie die Unterhosen." Diesen Eindruck bestätigt auch der frühere "Oase des Kindes"-Chef Höfler: "Ich kann bestätigen, dass die Stadt Wien überfordert ist. Ich kenne Kindergärten, die jahrelang nicht überprüft wurden." Das sei auch kein Wunder, so Höfler: "13 Kontrollore reichen nicht aus, da sollten sie wirklich mehr anstellen."

Sieben neue Kontrollore

Genau das hat die Stadt Wien jetzt auch vor: "Für eine effizientere Kontrolle aller bestehenden Kindergärten werden ab Herbst die Kontrolleinheiten der Magistratsabteilungen (MA) 10 und 11 verstärkt zusammenarbeiten", sagt Stadtrat-Sprecherin Michaela Zlamal. Zu den 13 Inspektorinnen der MA 11 würden sieben weitere hinzukommen, unterstützt von 19 Beamtinnen der MA 10: "Im Bedarfsfall werden außerdem Experten aus dem Integrationsbereich sowie vier Personen aus dem administrativen Bereich hinzugezogen."

Neben dieser kleinen personellen Aufstockung will der Wiener Bildungsstadtrat Jürgen Czernohorszky schon im kommenden Monat vermehrt die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Trägerorganisationen überprüfen. Konkret verlangt die Stadt Wien ab diesem Zeitpunkt von künftigen Kindergartenbetreibern vorab Business-Pläne, die auch über mögliche frühere Insolvenzen Auskunft geben sollen. "Eine solche Insolvenz ist allerdings ein Ausschließungsgrund für den Betrieb eines Kindergartens", sagt Czernohorszky. Außerdem wird in Zukunft von den Bewerbern eine umfangreiche Marktanalyse mit Auslastungsprognosen verlangt.

Darüber hinaus will die Wiener Stadtpolitik künftig auch die Qualität der Kindergärten genauer unter die Lupe nehmen. Czernohorszky: "Neu ist, dass das pädagogische Konzept nicht nur gegenüber der Behörde, sondern auch gegenüber den Eltern transparent gemacht werden muss." Außerdem sollen die Standortleiterinnen zu 100 zusätzlichen Stunden Ausbildung in Konfliktund Personalmanagement verpflichtet werden. Bis Ende 2017 will Czernohorszky zudem ein neues Förderkonzept auf die Beine stellen.

Breitere Treppenstufen

Für die jetzigen Betreiber kommen viele dieser Maßnahmen allerdings deutlich zu spät. Manche von ihnen sind mit vollkommen falschen Vorstellungen in den Kindergarten-Markt gegangen und kämpfen trotz österreichweit einzigartiger Fördergelder Tag für Tag ums Überleben.

Da hilft auch die durch regelmäßige Pleiten von Mitbewerbern stattfindende Marktbereinigung recht wenig. Denn nur anerkannte Trägerorganisationen können eins zu eins in die Altverträge einsteigen. Alle anderen müssen -etwa hinsichtlich des Bau-und Gewerberechts -neu hinzugekommene Auflagen erfüllen. "Da kann es passieren, dass Treppenstufen breiter gebaut, Böden begradigt oder Hintertüren geschaffen werden müssen", plaudert eine Betreiberin aus dem Nähkästchen. Vorgaben, die angesichts eines Kindergartenbetriebs - der in dieser Zeit normal weiterlaufen sollte -nahezu nicht zu erfüllen sind. Und angesichts des großen Angebots neigen auch die Eltern immer mehr dazu, für ihre Kinder bei den ersten Anzeichen von Schwierigkeiten eine neue Betreuungseinrichtung zu suchen.

86.200 Krippen-und Kindergartenplätze nicht genug

Und doch sind auch die derzeit verfügbaren 86.200 Krippen-und Kindergartenplätze in Wien bei Weitem noch nicht genug. Besonders die Eltern von unter Dreijährigen verzweifeln regelrecht auf der Suche nach einer Einrichtung, die ihr Kleinkind den ganzen Tag betreut.

Maria (Name geändert) hat erst drei Monate nach der Geburt begonnen, einen Krippenplatz für ihre kleine Tochter zu suchen -und wäre dabei fast an den starren Anmeldefristen gescheitert. Und als Teilzeitkraft hat sie wenig Chancen auf einen Platz in einem städtischen Kindergarten. Und viele private Betreiber nehmen Kinder erst mit eineinhalb Jahren auf - viel zu spät, will eine Mutter bei Bezug des einkommensabhängigen Kindergelds nach einem Jahr Karenz wieder in ihren Job zurückkehren.

Der konkrete Fall ist dennoch gut ausgegangen: Maria hat -über Beziehungen - schnell einen Platz bei einem privaten Betreiber gefunden und weiß ihre Tochter nun wohlversorgt.

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Besseres Essen

Auch Denitsa kann diesen Sommer wieder entspannt am Spielplatz sitzen. Der Schock, dass innerhalb weniger Monate gleich zwei Betreiber des Kindergartens ihrer Tochter Insolvenz anmelden mussten, ist vorerst überwunden. Und Sarah ist immer noch im selben Kindergarten mit denselben Kindern: "Diesmal hat niemand sein Kind abgemeldet, jeder hat gehofft, dass sich eine Lösung findet." Und bei voller Belegung hat sich auch innerhalb kürzester Zeit eine neue Trägerorganisation gefunden, die ins Kindergarten-Geschäft eingestiegen ist.

»Mit jedem Wechsel ist es etwas besser geworden, jeder Träger hat sich etwas mehr bemüht.«

Diesmal ist es ein kleinerer Betreiber, der sich an das Abenteuer Kindergarten in Wien wagt. Denitsa ist zufrieden: "Mit jedem Wechsel ist es etwas besser geworden, jeder Träger hat sich etwas mehr bemüht." So gebe es nun neben dem warmherzigen Personal, dem großen Garten und der noch ein bisschen engagierteren Englischlehrerin auch besseres Essen. "Die Preise sind auch etwas gestiegen, aber das ist vertretbar", so die Mutter.

Denitsa möchte sich in nächster Zeit endlich nur mehr mit der schulischen Zukunft ihres Kindes beschäftigen müssen und möglichst keinen Gedanken mehr an die finanziellen Probleme von Kindergartenbetreibern verschwenden. Und doch bleibt eine Angst bestehen: "Wenn ich zu Monatsende in den Briefkasten schaue, fürchte ich mich schon immer noch davor, einen Brief vom Magistrat darin zu finden, in dem mir wieder mitgeteilt wird, dass der Kindergarten morgen zusperrt."