Wie Weißmann sich Freunde macht

Wenn Redakteurssprecher Bornemann aus dem Urlaub zurückkommt, beschließt der Stiftungsrat das neue Redaktionsstatut des ORF. Generaldirektor Weißmann setzt zum Start des neuen Newsrooms auf eine Allianz mit den Journalisten.

von Medien & Menschen - Wie Weißmann sich Freunde macht © Bild: Gleissfoto

Kein anderes Werk in der "Time"-Liste der 100 einflussreichsten Sachbücher hat annähernd so viele Lesernoten wie Dale Carnegies "How to Win Friends and Influence People". Mit 800.000 "Ratings" liegt der 86 Jahre alte Ratgeber zumindest bei der Masse von Publikumswertungen haushoch voran.

Es ist nicht bekannt, ob ORF-General Roland Weißmann in diesem Langzeit-Bestseller schmökerte, bevor er sich mit dem Redakteursrat auf ein neues Redaktionsstatut geeinigt hat. Doch die interne Wirkung des Papiers entspricht dem deutschen Titel des amerikanischen Bestsellers von 1936 "Wie man sich Freunde macht". Schon vor einer Basisbefragung der Journalisten des Hauses reden Kenner der Abmachung vom "besten Redaktionsstatut eines öffentlich-rechtlichen Senders in Europa". Die Vereinbarung sieht neben mehr Rechten bei der Bestellung von Führungskräften auch Initiativen und Mitsprache zu ihrer Ablöse vor. Dazu kommt noch ein erhöhter Schutz gegen sachlich nicht begründbare Eingriffe von oben. Viel mehr kann sich eine Redaktion für ihre Unabhängigkeit kaum wünschen. Die Zustimmung des Stiftungsrats in der nächsten Sitzung am 23. Juni gilt als Formsache.

Diese Einigung geschieht nicht zufällig parallel zur Inbetriebnahme des multimedialen Newsrooms: Die Radio-Information zieht diese Woche vom Funkhaus auf den Küniglberg. Bei den Hörfunkern gibt es viel Vorbehalt gegen ihre Integration mit TV und Online. Weißmann entzieht dem allfälligen Konflikt zumindest die prinzipielle Grundlage. Da der Generaldirektor dem Stiftungsrat unterliegt, betreffen ihn selbst die neuen Statuten-Beschränkungen für Vorgesetzte auch nicht direkt. Neben dieser Win-win-Situation ist die Signalwirkung wichtig: ein Chef an der Seite seiner Journalisten. Es ist die erste starke Duftnote des neuen ORF-Herrn von türkis-grünen Gnaden. Vorgänger Alexander Wrabetz konnte sich zu keiner solchen Änderung des fast 50 Jahre alten Statuts durchringen. Auf der anderen Seite kann sich vor allem Dieter Bornemann, Vorsitzender des Redakteursrates, diesen Erfolg auf die Fahne schreiben. Schon vor einer Dekade hatte er das mittlerweile legendäre Protestvideo der "ZIB"-Redaktion gegen politische Einflussnahme auf YouTube initiiert. Seitdem steht er an der Spitze des entsprechenden journalistischen Widerstands im Haus. Er ist dafür funktionaler Ping-Pong-Partner seines populäreren Kollegen und engen Freundes Armin Wolf. Dass Bornemann ausgerechnet dieser Tage nicht auf dem Küniglberg zu finden ist, hat private Ursachen. Er wird aber pünktlich zur Moderation von "Eco" am Abend nach dem Stiftungsrat aus dem Urlaub zurück sein.

Bornemann sollte in den nächsten Monaten auch abseits seiner Aufgaben als Wirtschaftsjournalist und Redakteurssprecher ein Ansprechpartner für die nominellen Entscheidungsträger sein: Wie Wolf, der stellvertretende Chefredakteur der TV-Information, hat er keine Funktion in der offi ziellen ersten Führungsriege (Sendungschef der "ZIB 2" ist Christoph Varga, Katinka Nowotny leitet "Eco"), aber wesentlich mehr informelle Macht als viele dieser Positionen. Und wie dieser holte er sich in Berlin akademischen Feinschliff: Er hat berufsbegleitend an der Deutschen Universität für Weiterbildung ein englischsprachiges Master-Programm absolviert. Titel der Abschlussarbeit von 2013: "The Future Implementation of a Multimedia Newsroom at the Austrian Broadcasting Corporation." Nun wird dieser Newsroom Realität, zu dem er einst 350 ORF-Journalisten befragt hat, von denen ihm 236 antworteten -eine außergewöhnlich hohe Rücklaufquote. Mehr als zwei Drittel fürchteten damals: "Die Meinungsvielfalt im ORF wird durch eine zentrale Nachrichtenredaktion bedroht."

Roland Weißmann hat vor der Einigung auf das neue Redaktionsstatut wohl eher Dieter Bornemanns kaum bekannte Master Thesis als Dale Carnegies 50 Millionen Mal verkauften Lebenshilfe-Evergreen gelesen. Dessen deutscher Untertitel steht aber Pate, um aus dem langen Schatten von 15 Jahren Alexander Wrabetz an der Spitze des ORF zu treten: "Die Kunst, beliebt und einflussreich zu werden."