Wie blind sind wir eigentlich?

von Terror in London - Wie blind sind wir eigentlich? © Bild: Ian Ehm

Ich habe es so satt, schrieb ich vor über einem Jahr an dieser Stelle. Terror, Alltag, Terror. Damals war es gerade Brüssel, davor Paris. Es galt, die immer gleichen Gesten zu beobachten, dieselben müder machenden Muster. Politiker bekundeten Solidarität und versprachen mehr Sicherheit. Ein härteres Vorgehen, eine lückenlose Kontrolle. Nach zwei Wochen war alles vergessen. Bis zum nächsten Anschlag. Jetzt also London. Schreckliche, hilflose Szenen. Menschen, die flüchten, sich verstecken, um ihr Leben fürchten und sterben. Übrig bleibt eine entlarvende Erkenntnis, die wenig wundert.

Zwei der drei späteren Attentäter von London waren keine Unbekannten. Keine Phantome, die plötzlich auftauchen, "Allahu Akbar" schreien und mit dem Morden beginnen. Nein, es sind Männer mit einer Vorgeschichte. Bei einem von ihnen entdeckte die italienische Polizei schon 2016 IS-Material auf dem Handy. Sie warnte europaweit vor diesem Mann, speiste seinen Namen in eine Datenbank. Beim zweiten geriet der Weckruf geradezu grotesk. Denn er tauchte offen in einer TV-Doku des britischen Senders Channel 4 auf, die Einblick ins Innere der Islamistenszene lieferte. Zu sehen sind Männer, die in Parks für die Scharia kämpfen, vor Moscheen Hass predigen, auf der Straße für ihre fehlgeleitete Islam-Interpretation werben und in der Garage die IS-Fahne zeigen. "Mein Ziel ist es, Leute zu radikalisieren", sagt einer von ihnen in die Kamera. Staat und Polizei ringen ihm dabei nur ein hämisches Lachen ab, da er die Grenzen zum Strafbaren genau kennt. Und trotzdem nahm keiner diese Männer fest? Wo doch die britischen Geheimdienste zu den besten zählen, Milliardenbudgets haben und London als meistüberwachte Stadt der Welt gilt? Jeder Politiker, der nun in seiner Hilflosigkeit erneut die Beruhigungspille des härteren Handelns verteilt, sollte verpflichtet werden, zuvor diese TV-Doku zu sehen. Ihr Titel: "Der Dschihadist von nebenan".


Und sich dann fragen, wie blind wir eigentlich sind. Oder wie sehr wir uns selbst belügen und belügen lassen. Seit Jahren wächst die Agenda des politischen Islams prächtig und ungehindert. Noch vor Kurzem erlaubten auch wir, dass Islamisten bei uns Stände aufstellen und Korane verteilen. Hassprediger lassen wir weiter walten, obskurste Vereine gewähren. Ja, wir fördern manche von ihnen noch mit Steuergeld und freuen uns, wenn sie sich in der Flüchtlingsbetreuung engagieren. Nur um uns später, nach Jahren des Wegschauens, des Ignorierens und des Beschwichtigens zu wundern, wenn auf dem Feld, das sie aufbereiten, nicht Verständnis und Toleranz gedeihen, sondern Hass und Terror. All das ist offensichtlich. Braucht es erst noch eine TV-Doku oder weit, weit Schlimmeres, bevor wir erwachen?