Wer rettet das Volkstheater?

Wiens unentbehrliches, aber in einer existenzbedrohlichen Krise versunkenes Theater braucht eine neue Leitung. Der Politik bleibt wenig Zeit. Vielleicht sollte man neu zu denken beginnen.

von Heinz Sichrovsky © Bild: NEWS

Wie sich das anfühlt, wenn ein Theater nicht mehr ein und aus weiß: Das konnte man als gequälter Sympathisant am Beispiel der jüngsten Premiere des Wiener Volkstheaters studieren. "Endstation Sehnsucht" von Tennessee Williams war das, eines der sichersten Repertoirestücke. Weil das aber - begreiflich - einer avancierten Spielplandramaturgie Als Argument nicht ausreicht, hat man eine Berufsprovokateurin Geheuert, die beim deutschen Feuilleton angesagte Regisseurin Pınar Karabulut. Deren Kernkompetenz sind die kreischlustigen Gags. Also trampelt Blanche, das Opfer der Männerwelt, wie ein als Mutter Beimer aus der "Lindenstraße" verkleideter Berufssoldat auf die Szene; und Stanley, der Krawallmacho, ist ein Transgender mit Stöckelschuhen und Puderperücke. Auch wird die Bühne minutenlang geflutet. Damit sind die Inspirationsquellen allerdings bis auf den letzten Tropfen versiegt, und das Bühnenhandwerk müsste zu greifen beginnen. Und was das für grausame zwei Stunden der Wahrheit sind!

Dermaßen plump und konventionell gearbeitete Dialoge, ein derart geheimnisloses Textabliefern musste ich zuletzt in den Siebzigerjahren erdulden, wenn ich zum Sommereinsatz bei den niederösterreichischen Freiluftspielen verdonnert wurde. Klar, dass schon die ersten Reprisen den vorjährigen Negativrekord von 52 Prozent Gesamtauslastung egalisieren dürften. Umso verheerender die jüngste Entwicklung: Im September 2020 soll am Volkstheater eine neue Direktion antreten. Die Findungskommission hat den Vorgang abgebrochen: Kein seriöser Bewerber könne mit der derzeitigen Subvention auskommen, drei Millionen zusätzlich pro Jahr müssten aufgebracht werden. Wiens Kulturstadträtin hat zwei Millionen zugesagt, nun soll der Bund zur Ausschüttung des Restes bewogen werden. Nur: Kunstminister Blümel fühlt sich einem Erpressungsversuch ausgesetzt und verweigert. Und jetzt? Das Haus war einmal eine gut besuchte Bühne mit definiertem Publikum, das seine Schauspieler geliebt hat. Hier wurden einerseits Klassiker von Schiller bis Brecht in zeitlos moderner (heute schriebe man: niederschwelliger) Ästhetik gezeigt. Andererseits traten von hier aus Wolfgang Bauer, Peter Turrini, zuletzt Elfriede Jelinek ins Bühnenlicht. Die Uraufführungen teilen sich heute das Burgtheater und die Josefstadt. Letztgenannte erreicht aber nach wie vor in überwiegender Zahl ein Publikum gut gereifter Bildungsbürger. Wohin einer gehen soll, der sich dort nicht zu Hause fühlt, "Theater heute" nicht abonniert hat und trotzdem "Faust","Unverhofft" oder "Galilei" sehen will? Eventuell mit seinen Kindern? Oder mit Schulkollegen? Erraten. Das war einmal die Domäne des Volkstheaters.

Womit wir bei der obwaltenden Situation sind. Die fähige Direktorin Anna Badora war gewiss durch die schändliche Dotierung beeinträchtigt. Sie hat sich aber durch die Kündigung des beliebten Ensembles selbst entleibt. Auch tüchtige Schauspieler und renommierte Regisseure konnten den Identitätsverlust nicht aufhalten. Kulturstadträtin Kaup-Hasler verfolgt dem Vernehmen nach ehrgeizige internationale Pläne. Doch die ins Auge gefassten Personen zögern anhaltend -der Eindruck, dass sie nicht wirklich wollen, hat sich verstärkt. Viel Zeit zur Abwendung des Untergangs bleibt nicht mehr. Vielleicht sollte man doch auf die großartigen Ressourcen der Stadt zurückgreifen, auf leidenschaftliche, publikumsmagnetische, im kreativen Wahnsinn erprobte Bühnengenies. Maria Happel und Paulus Manker stünden, so hört man, zur Verfügung. Sie würden es wohl auch mit einer bescheideneren Erhöhung machen. Und wenn nicht, soll sich der ÖGB seiner Eigentümerpflichten entsinnen.

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