Wer hat Angst vorm blauen Mann?

In Salzburg wird gerade die dritte ÖVP-FPÖ-Koalition auf Landesebene verhandelt - nach Oberösterreich und Niederösterreich. Viele sehen darin Vorzeichen für eine neuerliche schwarz-blaue Zusammenarbeit im Bund.

von Nehammer und Kickl © Bild: IMAGO images/SEPA.Media

In einer Hinsicht hat sich Wilfried Haslauer jetzt schon durchgesetzt. Die Koalitionsverhandlungen mit der FPÖ laufen so, wie er es gerne hat: diskret, ruhig und hinter verschlossenen Türen. Dennoch zweifelt kaum jemand daran, dass bald ein gemeinsames Koalitionsprogramm präsentiert wird. Die ÖVP hat keine anderen Optionen, die FPÖ will unbedingt in die Regierung - und der große Tabubruch passierte bereits im März, als die Zusammenarbeit von Niederösterreichs ÖVP-Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner mit der notorisch rechten niederösterreichischen FPÖ beschlossen wurde. In Oberösterreich sind die Freiheitlichen bereits seit 2015 in der Regierung. Bald zieht sich also eine dicke konservativ bis rechts regierte Achse quer durchs Land.

Auch wenn die Vorzeichen in allen drei Ländern ein wenig unterschiedlich sind, viele meinen, aus den neuen schwarz-blauen Koalitionen in den Ländern Vorzeichen für den Bund ablesen zu können.

Und tatsächlich: Die Parteispitzen der ÖVP, allen voran Parteichef Karl Nehammer und Klubobmann August Wöginger, schließen eine neuerliche Regierungszusammenarbeit mit der FPÖ schon seit einer Weile nicht mehr aus. Trotz der Ibiza-Affäre, trotz einer deutlichen Radikalisierung der Partei unter Herbert Kickl - dessen Beharren auf seinen Posten als Innenminister die ÖVP 2017 zum eigentlichen Anlass machte, die Koalition mit der FPÖ zu beenden.

Salzburgs Landeshauptmann Wilfried Haslauer und die niederösterreichische Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner äußerten im Wahlkampf noch Kritik an Kickl. Haslauer hatte sich angesichts der Kickl'schen Wortmeldungen an die 1920er-Jahre erinnert gefühlt und gewarnt, wer für Svazek stimme, wähle Kickl, Udo Landbauer und Gottfried Waldhäusl mit. Doch nach den deutlichen Erfolgen der FPÖ bei den Landtagswahlen im Jänner bzw. April zögerten weder Mikl-Leitner noch Haslauer lange, Koalitionsverhandlungen mit den Blauen aufzunehmen.

Koalition in Oberösterreich

Was Schwarz-Blau in der Praxis bedeutet, das kann man seit 2015 in Oberösterreich beobachten. Damals rasselte die ÖVP unter Landeshauptmann Josef Pühringer von 47 auf 37 Prozent. Die FPÖ konnte im Unterschied dazu von der Flüchtlingskrise profitieren und schoss von 15 auf 30 Prozent. Die Folge: die erste schwarz-blaue Koalition in Oberösterreich, die nach der Landtagswahl 2021 fortgesetzt wurde. Bei den Verhandlungen für diese Neuauflage war die ÖVP in einer etwas besseren Position als bei der Premiere. Die Blauen hatten gegenüber 2015 10,6 Prozentpunkte verloren. Die Coronamaßnahmengegner, die heute von der FPÖ bedient werden, wählten damals die mittlerweile bedeutungslose MFG. Auch eine Neuauflage der Koalition mit den Grünen, die es schon zwischen 2003 und 2015 gegeben hatte, wäre sich wieder ausgegangen.

Im Gegensatz zu Niederösterreich findet sich im oberösterreichischen Koalitionsprogramm von 2021 ein eindeutiges Bekenntnis zur Coronaimpfung. "Durchführung einer Bewusstseins-,Informations-und Imagekampagne, um den Oberösterreicherinnen und Oberösterreichern die Impfung als wirksamen Schutz gegen schwere Krankheitsverläufe zu vermitteln und damit die Durchimpfungsrate auf freiwilliger Basis zu erhöhen", heißt es im Kapitel Corona. Der oberösterreichische FPÖ-Chef Manfred Haimbuchner, der selbst schwer an Corona erkrankt war, trete aber mittlerweile im Landtag lautstark gegen die - ohnehin längst beendeten - Maßnahmen auf, berichten Beobachter.

"Viel altes Denken"

Der grüne Landesrat Stefan Kaineder - in Oberösterreich sind durch den Proporz auch SPÖ und Grüne in der Landesregierung vertreten - beobachtet an der schwarz-blauen Koalition "sehr viel altes Denken". In der schwarz-grünen Koalition, die bis 2015 im Amt war, war die "Energiewende" ein sogenanntes Leuchtturmprojekt. Dass Oberösterreich hier Vorreiter war, gestehen auch Experten zu. "Schwarz-Blau hat das gekübelt", sagt Kaineder, "sogar der Rechnungshof kritisiert, dass Oberösterreich seine Klimaziele abgeschwächt hat." Im Regierungsprogramm 2021, also vor Beginn des Ukraine-Kriegs, sei für Windkraft nur eine Aufrüstung bestehender Standorte vorgesehen gewesen, neue Projekte werden nicht zugelassen. "Vier Monate später hat der Krieg begonnen, doch Schwarz-Blau beharrt weiter auf diesem Kurs. Das ist ein riesiger Schaden für ein Industrieland wie Oberösterreich, denn wir brauchen sehr viel erneuerbare Energie", sagt Kaineder. Und: "Die regieren an der Wirklichkeit vorbei." Haimbuchner führe weiterhin eine Art persönlichen Kampf gegen jedes Windrad.

Ähnliches gelte beim Thema Fachkräftemangel. "Die Landeskoalition erzeugt eine Stimmung, wo sich jeder, der nicht deutscher Muttersprache ist, hier falsch fühlt. Dabei braucht Oberösterreich Zehntausende Arbeitskräfte." Stefan Kaineders Fazit: "Schwarz-Blau verwaltet das Land, aber sie adressieren keine der großen Zukunftsfragen." Politikberater Thomas Hofer sieht in der oberösterreichischen FPÖ durchaus graduelle Unterschiede zur Kickl-nahen FPÖ Niederösterreich und zur Bundespartei. "Sie ist deutlich wirtschaftsfreundlicher und industrieorientierter als die Bundespartei. Ein Öxit, also ein EU-Austritt Österreichs, mit dem manche in der FPÖ liebäugeln, ist in Oberösterreich kein Thema", sagt er. Allerdings hat sich Manfred Haimbuchner, der anfangs nicht im Lager Herbert Kickls stand, mit dem Parteichef arrangiert. Dessen Erfolg lässt parteiinterne Kritiker schweigen. Und, so Hofer: "Dass es in Niederösterreich und wohl bald auch in Salzburg Bündnisse mit der ÖVP gibt, entkräftet das Argument, dass niemand mit der radikalen Kickl-FPÖ in eine Regierung gehen würde."

Allerdings, meint Stefan Kaineder, passt sich Haimbuchner immer mehr dem Parteichef an: "Er hat es bisher geschafft, sich als die zahme Version von Herbert Kickl zu präsentieren. Aber wer das glaubt, der höre sich an, wie Haimbuchner am 1. Mai geredet hat." Kaineder hat zudem beobachtet, dass Haimbuchner im Gefolge des Aufstiegs der FPÖ in den Bundesumfragen auch seinen Ton innerhalb der Koalition verschärft hat.

"Die FPÖ schafft an" scheint auch für das schwarz-blaue Bündnis in Niederösterreich zu gelten. Die Bilder von der Bekanntgabe des Regierungsübereinkommens sind schon fast ikonisch: versteinerte Mienen, angespannte Stimmung. Kein Wunder. Gleich das erste von 22 Kapiteln in dem knapp 40-seitigen Arbeitsübereinkommen ist dem Thema Corona gewidmet. Und es ist eine Machtdemonstration der wiedererstarkten FPÖ: Das Land will einen Fonds in der Höhe von 30 Millionen Euro einrichten, aus dem vermeintliche Opfer der Coronamaßnahmen entschädigt werden sollen. Auch zu Unrecht gezahlte Coronastrafen sollen zurückgezahlt werden. Die Coronaimpfung wird in Niederösterreich nicht mehr beworben. Dazu kommen die - verfassungsrechtliche problematische - Forderung nach einer Deutschpflicht in Schulhöfen und ein " Bekenntnis zum Individualverkehr, der auch den Willen einschließt, diesen vor mutwilligen Störungen zu schützen".

"Riesenschritt zurück"

Die ÖVP habe sich von der FPÖ vorführen lassen, urteilt Indra Collini, Landessprecherin der Neos in Niederösterreich. Das Regierungsprogramm bedeute "einen Riesenschritt zurück. Von einem modernen Frauenbild, einem modernen Familienbild oder wichtigen Schritten im Bildungsbereich oder bei der Kinderbetreuung ist keine Rede. Es ist eine sehr konservative Regierung, die wir jetzt haben, mit einem sehr rückwärtsgewandten Mindset. Auch in der Klimapolitik wird in den nächsten fünf Jahren nicht viel weitergehen." Viel sei über die konkrete Arbeit der Mikl-Leitner-Landbauer Koalition, die im März angelobt wurde, bisher nicht bekannt. "Sie lassen sich noch nicht sehr in die Karten schauen", sagt Collini. "Wir haben aber mitbekommen, dass der Start sehr holprig war. Man muss offenbar darum ringen, was für Themen man überhaupt auf die Tagesordnung bringt. Bei der letzten Sitzung wurden wieder Heiz- und Stromkostenzuschüsse mit der Gießkanne verteilt. Ich habe das Gefühl, man versucht, sich Goodwill mit Geldgeschenken zu erkaufen. Denn viele Bürgerinnen und Bürger in Niederösterreich sind entsetzt über die Koalition, gerade auch die christlich-soziale Stammwählerschaft der ÖVP."

Collinis Fazit: Die ÖVP habe sich aus Gründen des Machterhalts "sehr schmerzbefreit mit der FPÖ ins Bett gelegt, wohl wissend, wer die Protagonisten sind. Und auch wohl wissend, wohin das alles führt. Es ist Kickls Rutsche ins Bundeskanzleramt. Weil die Koalitionen mit der Kickl-FPÖ gerade salonfähig gemacht werden."

Rechtliche Probleme

Die niederösterreichischen Blauen, sagt Politikberater Thomas Hofer, seien "vom Auftreten und von der Aggressivität her im Konzert der Landesparteien noch einmal deutlich heftiger". Die ÖVP habe bei ihrem Pakt mit Udo Landbauer und Konsorten einen deutlichen "inhaltlichen Kotau" gemacht, was Corona und gesellschaftspolitische Themen betrifft. "Umgekehrt gibt es in diesem Regierungsprogramm aber nichts, wo sich die FPÖ hat verbiegen müssen." Auch dass die FPÖ nun zumindest für einige Europaagenden zuständig ist, sei ein blauer Erfolg.

Die realen Konsequenzen der FPÖ-Regierungsbeteiligung in Niederösterreich werden sich dennoch in Grenzen halten, vermutet der Politikwissenschaftler Laurenz Ennser-Jedenastik vom Institut für Staatswissenschaft an der Universität Wien. "Weil die legislativen Kompetenzen der Länder einfach sehr eingeschränkt sind. Ich glaube, man würde, wenn man nichts über die neue Landesregierung wüsste, keinen radikalen Politikwandel im Land Niederösterreich wahrnehmen."

Zumal die konkreten Projekte, mit denen Schwarz-Blau an den Start geht, mit diversen Problemen behaftet seien: "Mit den angekündigten Coronamaßnahmen sind alle möglichen verfassungsrechtlichen Probleme verbunden, das wird wahrscheinlich nicht so gehen, wie die FPÖ sich das vorstellt. Auch die Deutschpflicht auf Schulhöfen wird sich nicht umsetzen lassen." Und die Wirtshausprämie, mit der die FPÖ Lokale stützen will, die traditionelle österreichische Speisen anbieten, sei "Peanuts" im Verhältnis zum großen Ganzen.

Wie sich die blaue Handschrift hingegen im Salzburger Regierungsübereinkommen zeigen wird, lässt sich nicht vorhersagen. Die Verhandlungen werden unter Ausschluss der Öffentlichkeit geführt. Derzeit äußern vor allem jene Sorgen und Interessen, die nicht in den Gesprächsrunden sind, sich aber schon betroffen fühlen. Die Landesumweltanwaltschaft etwa warnt vor der Beschneidung ihrer Rechte (wofür sich ÖVP und FPÖ im Wahlkampf aussprachen). Inhaltlich seien sich die beiden Parteien in vielem nahe, heißt es: von Windrädern über den Abschuss von "Problemwölfen", vom Ausbau des Einkaufszentrums Europark bis zur Kinderbetreuung - man könne sich finden.

Blau und bürgerlich

"Wir reden hier schon noch von der FPÖ", sagt Thomas Hofer, "aber abgestimmt auf ein Salzburger Publikum. Marlene Svazek ist in diesem Milieu angekommen und hat eine bürgerliche Note in die Partei gebracht. Sie positioniert sich nicht mit rabaukenhaften Auftritten wie ihre Parteikollegen in anderen Bundesländern oder auf Bundesebene und hat auch Haslauer im Wahlkampf nicht so hart attackiert."

Bei Svazek stellt sich allerdings für die Zukunft noch eine andere Frage: Bisher galt sie als Personalreserve im Bund. Sitzt sie nun in Salzburg fest? Hofer: "Eigentlich ist ihre Perspektive, dass Haslauer nicht die volle Amtszeit durchmacht und sie dann als eingeführte Marke bei der nächsten Landtagswahl profitieren kann. Andererseits ist die Personaldecke der FPÖ nicht so dick, dass man Ministerämter locker besetzen könnte. Das würde eine knifflige Frage für sie." - Wenn es denn zu einer Bundesregierung unter Teilnahme der FPÖ kommt. Denn auch wenn die FPÖ sich schon länger in den Umfragen auf Platz eins hält und besser in der Strategieentwicklung ist, "der Vorsprung ist nicht in Stein gemeißelt", so Hofer.

Schwarz-Blau "eine Option"

Sind die schwarz-blauen Koalitionen in den drei Bundesländern eine Vorbereitung für Schwarz-Blau im Bund? "Ich weiß nicht, wie tragfähig die Idee ist, dass man jetzt schon in Unkenntnis des Wahlergebnisses auf eine bestimmte Kooperation hinarbeitet", schränkt Laurenz Ennser-Jedenastik ein. "Schwarz-Blau ist sicher eine Option, die Abgrenzungen der ÖVP sind sehr weich. Europaministerin Karoline Edtstadler zum Beispiel kritisiert die FPÖ zwar oft, hat aber noch nie dazugesagt, dass sie im Fall einer Koalition mit der FPÖ nicht mehr als Ministerin zur Verfügung stünde. Aber dass es ein Zug ist, der unaufhaltsam in eine Richtung rast, glaube ich nicht."

Ein zu gutes Wahlergebnis könne der FPÖ sogar schaden. "Der ÖVP geht es vor allem darum, den Kanzler zu halten. Wenn sie das als Nummer zwei an der FPÖ vorbei tun kann, wird sie es tun." Vor allem wenn Bundespräsident Alexander Van der Bellen seine Ankündigung wahr macht, Kickl nicht automatisch mit der Regierungsbildung zu beauftragen, sollte die FPÖ stimmenstärkste Partei werden. Dann könnte die ÖVP als Nummer zwei Verhandlungen mit der drittplatzierten SPÖ aufnehmen - falls die Wahlergebnisse bei der Nationalratswahl 2024 entsprechend ausfallen.

Auf Bundesebene jedenfalls hätte die FPÖ in Regierungsverantwortung mehr Gestaltungsmöglichkeiten. Die Gefahr einer "Orbanisierung" Österreichs sei potenziell vorhanden, sagt Ennser-Jedenastik. "Ich kann mir schon vorstellen, dass die FPÖ in Hinblick auf den ORF oder Medien insgesamt oder auf Behörden problematische Intentionen hat. Ich würde jedenfalls nicht sagen, so schlimm wird das nicht, auf keinen Fall."

Aber darum, glaubt der Politikexperte, gehe es vielen Kritikern Kickls derzeit gar nicht. "Die Leute tun so, als hätte eine ÖVP-FPÖ-Regierung unter einem Kanzler Kickl eine ganz andere Qualität. Das kann ich nicht nachvollziehen. Kickl war bereits Innenminister. Die Leute, die in der Partei etwas zu sagen haben, sind ungefähr dieselben wie zu Zeiten der letzten türkisblauen Koalition. Wenn also jetzt jemand der Auffassung ist, dass diese Zusammenarbeit 2017 noch ganz in Ordnung war, aber jetzt wirklich schlimm wäre, dann vermute ich eher symbolische oder machtpolitische Bedenken."

Auch Haslauer in Salzburg habe sich eher von der Tonalität als von den Inhalten der FPÖ distanziert. Ennser-Jedenastik schließt daraus auf folgendes ÖVP-Befinden: "Man will den Bundeskanzler stellen, darum geht es in Wirklichkeit. Und ich glaube, eine Regierung mit einem FPÖ-Kanzler finden manche deswegen so schlimm, weil man dann selbst nicht mehr den Kanzler stellt." Bei aller inhaltlichen Nähe, wenn es um die Macht geht, ist sich immer noch jeder selbst der Nächste.

Dieser Beitrag erschien ursprünglich im News-Magazin Nr. 20/2023.