So wird die Welt nach
Corona aussehen

Wie wird die Welt nach Corona aussehen? Ein Blick in die noch trübe Glaskugel zeigt: ganz anders als die davor. Unsere Gesellschaft hat im Schatten der Gesundheitskrise eine enorme Entwicklung durchlaufen. Fünf Trends, die gekommen sind, um zu bleiben

von Pandemie - So wird die Welt nach
Corona aussehen © Bild: iStockPhoto.com

Dämmerung an einem Nebeltag. Allmählich steigt die Sonne empor. Ein gelb-rötlicher Fleck hinter den Schwaden, der immer stärker wird, bis sich die letzten Nebelfetzen irgendwann verzogen haben und die Sonne hell am Himmel steht.

Wenn man schon ein Bild für das Ende der Corona-Pandemie braucht, dann dieses. (Das "Licht am Ende des Tunnels" war schon passé, als es vergangenen Sommer leichtfertig versprochen wurde.)

Die schlechte Nachricht: Es kann noch dauern, bis der Nebel sich endgültig verzogen hat. Die gute: Es wird dazu kommen, ganz sicher, bald.

Wann genau? Die WHO geht von Anfang 2022 aus, andere Schätzungen vom Ende des nächsten Jahres. Aber was heißt "vorbei"? Werden wir nie wieder Masken tragen? Kaum. Gibt es dann wieder unbeschwerte Massenveranstaltungen, egal welcher Größe? Solange nicht auszuschließen ist, dass Virusmutation von irgendeinem anderen Ende der Welt eingeschleppt werden können: eher nicht. Wird es jemals wieder so -genau so - wie früher werden? Nein. Aber das ist nicht schlecht.

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Jahrelang wurde Franz, 77, von seinen Kindern und Enkelkindern bestürmt, sich endlich ein Smartphone zuzulegen. Er weigerte sich standhaft. Vor wenigen Wochen schickte er seiner Tochter die erste Whats-App-Nachricht seines Lebens: "Hallo! Ich habe jetzt ein Smartphone. Bussi, Papa." Er hatte sich das Handy zugelegt, um die Corona-Tests leichter abwickeln zu können.

Das vergangene Jahr hat enorme Veränderungen bewirkt. Entwicklungen, die sich bereits abgezeichnet haben, wurden rasant beschleunigt. Anders ausgedrückt: "Disruption will accelerate." Das ist die erste von vier Lektionen, die Adil Najam, Dekan an der Boston University, im vergangenen Jahr gelernt hat. Der Umweltforscher hatte 99 Intellektuelle -durchwegs Kapazunder von Judith Butler und Francis Fukuyama über Thomas Piketty bis zu Noam Chomsky -in kurzen Interviews, die auf YouTube veröffentlicht wurden, gefragt, was wir aus der Corona-Krise lernen können.

Ein Jahr wie zehn Jahre

Wichtigste Erkenntnis: Disruption, also die radikale Veränderung tradierter Kommunikations-und Verhaltensweisen durch neue Technologien, schreitet wie im Zeitraffer voran. Ein Jahr Pandemie = zehn normale Jahre, könnte die Formel lauten. Das betrifft alle möglichen Bereiche, nicht nur die Offensichtlichen. Zum Beispiel den Bildungsbereich. Wer es bisher irgendwie geschafft hat, ohne größere Anpassungen durchzukommen, muss sich spätestens jetzt mit grundlegenden Fragen auseinandersetzen: Die Frage etwa, welche Universitäten sich wie gut und wie schnell auf neue Technologien und damit auf adäquaten Fernunterricht bzw. Forschung einstellen, könnte für ihr künftiges Renommee entscheidend sein. Auch im Umfeld der Schulen ändert sich vieles.

Louis, 18, ist sehr glücklich über das Angebot einer digitalen Nachhilfeplattform, ein österreichisches Start-up, das im letzten Jahr rasant gewachsen ist. Seine Mathe-Nachhilfelehrer sind jung und motiviert, die Stunden werden gefilmt, sodass er einzelne Passagen auch später nachvollziehen kann. Louis' Mama freut sich, dass das neue Angebot günstiger ist als herkömmliche.

Wenige Wochen nach dem ersten großen Lockdown im Frühling 2020 -die (westliche) Welt stand nach Jahrzehnten des gleichförmigen Funktionierens noch unter Schock - wurden erste Zukunftsprognosen erstellt. Die Welt nach Corona, war man sich einig, werde eine bessere sein. Fotos von süßen Tieren, die ihren Lebensraum zurückeroberten, begeisterten die Medienkonsumenten, und viele Trendforscher sahen den Beginn eines neuen Zeitalters der Nachhaltigkeit. So optimistisch ist man heute nicht mehr. Professor Najam glaubt, aus seinen Gesprächen gelernt zu haben, dass Pandemie-Angewohnheiten bestehen bleiben. Das heißt also im Guten: Homeoffice-Lösungen werden überdauern, auch das bequeme Bestellen im Internet oder die neuen kommunikativen Freiheiten durch Zoom &Co. Aber finden wir es auch so gut, dass es bald "überall Roboter geben wird", wie einer von Najams Gesprächspartnern vermutet?

Maria, 39, lebt im Wiener Speckgürtel. Vor Corona verbrachte sie jeden Tag eineinhalb Stunden im Auto. Mindestens. Je nach Verkehrslage. Dass sie derzeit drei von fünf Tagen im Homeoffice verbringen kann, erleichtert ihr Leben enorm. Sie sagt: "Ich hoffe, es bleibt so. Das extrem frühe Aufstehen und das Gehetze zwischen Büro und Schule brauche ich wirklich nicht mehr."

Vielleicht ziehen wir uns künftig in kleine Communitys zurück. Draußen am Land, gerne ein Stück außerhalb der Ballungszentren, weil man als Büromensch eh nur mehr zwei Mal die Woche "rein" muss. Günstiges Haus am Land. Die Kinder in der Dorf-Volksschule. Berufliche Kontakte werden weniger wichtig, Dienstreisen gehen gegen null, weil man auch in 3D videokonferieren kann. Sieht so unsere Zukunft aus? Schon möglich, erklärte Bill Gates vor einiger Zeit in einem Podcast.

Out of the Box

Das würde aber auch bedeuten, dass die Stadtzentren an Bedeutung verlieren, dass Büroflächen kleiner werden, weil sich mehrere Personen einen Arbeitsplatz teilen. Dass wir künftig bei der Wahl unseres Wohnortes flexibler sein können. Dass Städte, die von Businessreisenden leben, ein Problem bekommen. Alles Zukunftsmusik natürlich, im Guten wie im Schlechten. Aber die Vordenker dieser Welt sind sich einig: So wie früher wird es nicht wieder. Besser, man denkt rechtzeitig ein bisschen "out oft the Box" und stellt sich auf die neue Post-Corona-Realität ein.

Der größte Nachteil in der Corona-Zeit, findet Felix, 8, ist, dass die Freizeit-und Vergnügungsparks geschlossen haben. "Wir dürfen normalerweise auch selten hingehen, und jetzt geht es gar nicht." Eines Gutes habe das letzte Jahr aber auch gebracht, meint der Schüler: "Es fliegen weniger Flugzeuge, und das ist gut für das Klima."

Bill Gates, der bereits 2015 vor einer Virus-Pandemie gewarnt hat (und deshalb Gegenstand vieler Verschwörungstheorien ist), fürchtet jetzt den Klimawandel und Bioterrorismus: Terroristen könnten gezielt Krankheiten entwickeln und unters feindliche Volk bringen. Alter Schwarzmaler. Denn es gibt auch Hoffnung.

Wir haben im letzten Jahr gelernt, dass die Menschheit Krisen nicht ausgeliefert ist. Dass es ganz schnell gehen kann, wenn es darauf ankommt. Dass man die Ärmel hochkrempeln und handeln kann, auch wenn es, zugegeben, hie und da ein bisschen rumpelt, in einigen Ländern mehr als in anderen. Unterm Strich haben wir es selbst in der Hand. Der große alte Noam Chomsky sagte im Interview mit Adil Najam: "Wir müssen uns fragen, was für eine Welt dabei herauskommen soll. In was für einer Welt wollen wir leben?"

© Getty Images 2020 Didier Marti

TREND 1 - Wohnen

Der österreichische Immobilienmarkt zeigt bereits jetzt einen deutlichen Corona-Effekt. Die Immobilienpreise legten im 4. Quartal 2020 um insgesamt zehn Prozent zu, hauptverantwortlich dafür war das gestiegene Preisniveau der Einfamilienhäuser, gab die Österreichische Nationalbank im März bekannt. Und lieferte die Erklärung gleich dazu: Wer zumindest teilweise im Homeoffice arbeitet, hat es zu Hause gerne schöner und nimmt auch abgelegenere Lagen in Kauf. Dieser -auch international zu beobachtende Effekt -verändert auch die Anforderungen an die Immobilien: Ein zusätzliches (Arbeits-)Zimmer ist plötzlich dringend nachgefragt, offene Wohnküchen erscheinen manchen Küchentisch-Arbeitern vielleicht nicht mehr so praktisch, auf Einrichtung und Ausstattung wird mehr Wert gelegt. Und: Ein -zumindest kleiner - Garten ist auf einmal viel mehr wert als vor der Pandemie. Der Land-oder zumindest Speckgürtel- Boom könnte auch Auswirkungen auf die Städte haben. Zumindest in Gegenden mit vielen Büros -oft die Stadtzentren - dürften Restaurants, Geschäfte und Fitnesscenter künftig unter dem Ausbleiben von Büromenschen leiden, prognostizieren Analysten. Aus Klimaschutzperspektive durchwachsen scheint der Trend in Sachen Mobilität: Homeoffice bedeutet zwar weniger Pendler, aber auch einen deutlichen Umstieg auf das Auto. Die Wiener Linien verzeichneten im Jahr 2020 einen Rückgang von ungefähr 40 Prozent. Zugleich sind viele Menschen im Corona-Jahr mehr zu Fuß gegangen und Fahrrad gefahren. Experten glauben, dass der Trend zur Mikromobilität (Fahrräder, Scooter, Skateboards etc.) anhalten wird und die Öffi-Nutzung nach Ende der Pandemie wieder deutlich ansteigt.

TREND 2 - Arbeit

Der neue Megatrend heißt Homeoffice. In entwickelten Volkswirtschaften könnten 20 bis 25 Prozent der Arbeitskräfte auch nach der Krise -zumindest teilweise -von zu Hause aus arbeiten, schätzt das Beratungsunternehmen McKinsey in einem neuen Bericht. Auch Dienstreisen sollen demnach nicht mehr auf das Vorkrisenniveau ansteigen. Das letzte Jahr hat gezeigt: Es lässt sich viel mehr Arbeit "remote" verrichten, als vermutet wurde. Die Qualität der Software für Videokonferenzen steigt. Firmen haben in der Krise begonnen, auf Automatisierung und künstliche Intelligenz zu setzen - Stichwort Industrie-oder Serviceroboter. Eine Entwicklung, die, meinen die Experten von McKinsey, gekommen ist, um zu bleiben. Der Homeoffice-Trend bedeutet für viele Firmen, dass sie Büroflächen abstoßen können. Und idealerweise das Konzept "Büro" neu denken: Sind Großraumbüros in postpandemischen Zeiten noch sinnvoll? Wie können sich Arbeit zu Hause und im Büro sinnvoll ergänzen? Welche Rolle spielt die persönliche Begegnung? Corona hat aber auch aufgezeigt, wie viele Berufsgruppen nicht sinnvoll im Homeoffice arbeiten können. Von Krankenhaus-und Pflegepersonal über Lehrer bis hin zu Paketauslieferern gibt es immer noch genug Menschen, die täglich zur Arbeit fahren müssen und sich nicht mit Laptop in virensicheren Vorstadtkleingärten verstecken können.

© Getty Images Mareen Fischinger

TREND 3 - Freizeit

Ballett in Blasen, das bleibt ein Corona-Phänomen. Tatsächlich gehen die meisten Beobachter davon aus, dass sich der Bereich Bühne und Liveevent rasch erholen wird. Denn die letzten Monate haben gezeigt, dass es dafür keinen adäquaten Onlineersatz gibt. Die Sehnsucht nach genuinem Erleben - sei es Operngenuss oder Pogotanzen mit Bierdusche -ist groß, auch wenn man am Anfang vielleicht noch einen negativen Corona-Test herzeigen muss. Ähnlich dürfte es sich etwa mit Fitnessangeboten verhalten. Hanteln stemmen? Geht vielleicht auch weiterhin zu Hause. Mit einer Trainerin eine Choreografie erarbeiten und gemeinsam Spaß haben? Eher nicht. Die Corona-Krise stellt alte Gewohnheiten auf die Probe. Die bekannte US-Trendforscherin Faith Popcorn, Erfindern des Begriffs "Cocooning", rief in den ersten Corona-Monaten den Trend zum "Deep Cocooning" aus, die Vision einer Gesellschaft, die nur noch virtuell miteinander kommuniziert und sich von Sexbots und Liebesroboter trösten lässt. Vielleicht dann nach der nächsten Mega-Krise.

TREND 4 - Einkauf

Die Lockdowns des vergangenen Jahres haben auch Menschen, die bis dahin wenig dafür übrig hatten, die Freuden des Onlineshoppings eröffnet. Kein stundenlanges Gedränge in Geschäften mehr, ein Klick, und das gewünschte Produkt liegt zwei Tage später vor der Haustür. Eine Megatrend mit gravierenden Folgen: Die Zahl der Geschäftsflächen wird zurückgehen, verbunden mit Arbeitsplatzverlusten und der Frage der Nachnutzung. Die Zahl der - oft prekär arbeitenden -Paketauslieferer steigt an, ebenso die Marktmacht einzelner Global Player wie Amazon. Zugleich eröffnete die enorme Dynamik des letzten Jahres heimischen Branchen ungeahnte Chancen: Der Onlinehandel mit Biogemüse boomt zum Beispiel. Aktuelle Zahlen zeigen, dass 38 Prozent der Österreicher seit Beginn der Pandemie öfter online einkaufen als zuvor.

TREND 5 - Reisen

Derzeit liegt die Reisebranche komplett darnieder. Zumindest im privaten Bereich wird sie sich aber wieder erholen und sich komplett an das Vorkrisenniveau anpassen, glauben Experten. Das zeigen Daten aus China. Durchaus möglich, dass eine Urlaubsreise dann aber trotzdem anders aussieht, als vor 2020. Airbnb-Mitbegründer Brian Chesky vermutete in einem Interview, dass Reisende sich künftig nicht mehr in massentouristisch erschlossenen Städten oder an überfüllten Stränden drängeln, sondern eher abgelegene Destinationen aufsuchen werden. Das hätte positive ökonomische Auswirkungen auf diese Regionen. Das neue Reisen post coronam könnte -nach den Erfahrungen des letzten Jahres -nachhaltiger, regionaler und bewusster sein und die Chance auf eine Neuerfindung des zerstörerischen (Massen-)Tourismus bieten.

Im Bereich Geschäftsreisen könnte es dagegen zu nachhaltigen Rückgängen kommen. Immerhin, das letzte Jahr hat gezeigt, wie gut Videokonferenzen funktionieren können und wie viel effizienter ohne Wartezeiten am Flughafen etc. gearbeitet wird. Hinzu kommt, dass die Reisebudgets vieler Firmen in Folge der Krise geschrumpft sind. Eine Studie des US-Beratungsunternehmens Oliver Wyman kommt zu dem Schluss, dass 43 Prozent von knapp 5.000 Befragten auch künftig weniger Geschäftsreisen planen. Eine potenzielle Gefahr vor allem für das etwa in Wien stark vertretene Luxussegment -Geschäftsreisende steigen in hochpreisigen Hotels ab und fliegen mit teuren Flugtickets. Eines ergeben aktuelle Umfragen aber auch: Videokonferenzen sind geeignet, um bestehende Beziehungen zu pflegen. Um neue zu knüpfen, sollte man einander aber doch persönlich begegnen.