Weißrussland: In Maly Trostinec starben 13.000 österreichische Juden

200.000 Menschen in Vernichtungslager ermordet

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Es war das viertgrößte Vernichtungslager nach den eingangs genannten. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden einzelne Gedenksteine, Erinnerungstafeln und ein Obelisk in dem Gelände errichtet. Doch erst seit wenigen Jahren drangen die damaligen Geschehnisse an eine breitere Öffentlichkeit. Internationale Bemühungen zur Errichtung und Gestaltung einer würdigen Gedenkstätte laufen, in die auch Deutschland und Österreich eingebunden sind. Noch gibt es keine Einigkeit über Finanzhilfen und Gestaltung des Gedächtnisortes.

Der NS-Komplex umfasste Arbeitslager, Felder, Werkstätten, ein Asphaltwerk, Erschießungs- und Verbrennungsstätten - in Maly Trostinec, im Wald von Blagowschtschina und im Dorf Schaschkowka. 2014 begannen die Arbeiten auf dem Erinnerungsgelände, ein erster Teil im Eingangsbereich wurde 2015 fertiggestellt. Transportwaggons mit Fotos und Listen der Ermordeten, Gedenksteine und -tafeln sowie ein Obelisk und eine riesige Bronzeskulptur sind schon jetzt stumme Zeugen dieser Massenverbrechen von 1941-44.

Maly Trostinec war eines von 260 (!) Todeslagern in ganz Weißrussland, wo mindestens zwei Millionen Menschen ermordet wurden. Es war das größte Vernichtungslager auf dem Gebiet der Sowjetunion und zugleich ein Durchgangslager, wie die einheimische Führerin der österreichischen Delegation erläuterte. Experten fanden 34 Massengräber mit etwa 120.000 Leichen zumeist unbekannter Identität. Kurz vor dem Anmarsch der Roten Armee hatten die Nazis noch viele Leichen verbrannt.

124 Hektar wurden von den weißrussischen Behörden unter Schutz gestellt, um den Erinnerungskomplex darauf zu errichten. Auf dem weitläufigen Areal soll auch ein zentraler "Platz der Versöhnung und des Gebets" geschaffen werden. Die Eröffnung des ersten Teils fand 2015 im Beisein von Staatspräsident Alexander Lukaschenko statt. Der 3. September wird heute noch als gemeinsamer Gedenktag für die Opfer aus ganz Europa begangen. Wenige Tage vor dem 3. September 1944 hatte die Rote Armee Minsk von den Nazis befreit.

Unter Leitung des Vizepräsidenten der Kardinal-König-Stiftung, Erich Leitenberger, besuchte dieser Tage eine österreichische Delegation die Gedenkstätte. 75 Jahre danach sei es höchste Zeit, "unserer Mitbürger", die Opfer der Nazi-Tötungsmaschinerie Maly Trostinec wurden, würdig zu gedenken, so Leitenberger. Im Juli 2016 hatte Kardinal Christoph Schönborn die Stätte besucht und sich "zutiefst erschüttert" gezeigt. Die Erinnerung an die dort ermordeten Wienerinnen und Wiener müsse bewahrt bleiben, sagte Schönborn.

Auffassungsunterschiede hinsichtlich der Gestaltung bestehen noch zwischen Minsk und Wien. Laut dem Bevollmächtigten für Religion und Nationalitäten in der weißrussischen Regierung, Leonid Gulyako, habe es mit Deutschland Gespräche über die Finanzierung gegeben. Der russisch-orthodoxe Erzpriester Fjodor Pownyi, der federführend an der Umsetzung des Projekts beteiligt ist, führt ins Treffen, Wien sei auf die aus Österreich stammenden, namentlich bekannten Opfer fokussiert. Da aber der Großteil der Opfer anonym sei, würden diese dann nicht die entsprechende Würdigung erfahren.

Österreichs Botschafter in Minsk, Bernd Alexander Bayerl, unterstreicht das Engagement für das Projekt. Österreich habe einen anderen Zugang zur Gestaltung. Eine private Initiative wünsche zum Gedenken die Namensnennung der Opfer. Es sei verständlich, dass die Hinterbliebenen diesen Wunsch haben. Auch über die ermordeten deutschen Juden gibt es namentliche Aufzeichnungen. Von der Mehrzahl der Ermordeten, Zehntausenden Weißrussen und Russen, seien aber keine Daten bekannt. Man bemühe sich um einen Kompromiss und werde eine Lösung finden, zeigte sich Bayerl zuversichtlich.

Hinter den Transporten von Wien nach Maly Trostinec verbarg sich ein teuflisches Täuschungsmanöver. Vom Aspang-Bahnhof wurden 13.000 österreichische Juden deportiert; nur 17 überlebten. Den ostwärts Verfrachteten, die viel Gepäck mitführten, wurde vorgegaukelt, sie könnten im Osten "eine neue Existenz" aufbauen. In Wolkowisk, 270 Kilometer vor Minsk, wurden sie ohne Gepäck in Viehwaggons verladen. In Maly Trostinec wurden sie auf Lastwägen zur Erschießung in den Wald von Blagowschtschina gebracht, später auch in Gaswagen erstickt. In Krematorien von Schaschkowa wurden die Leichen verbrannt.

Die Deportationen aus Wien fanden zwischen November 1941 und November 1942 statt. Männer, Frauen und Kinder wurden in den Zügen zusammengepfercht. Insgesamt wurden in Maly Trostinec von 1941 bis 1944 laut Historikern mindestens 206.500 Menschen ermordet, unter ihnen 20.000 Juden aus ganz Europa. Die ersten Opfer waren im Herbst 1941 tausend deutsche Juden aus Hamburg. Später wurden auch Partisanen und Widerstandskämpfer in das Todeslager transportiert.

Der österreichische Nationalrat beauftragte im Oktober 2016 einstimmig die Bundesregierung, ein würdiges Mahnmal für die in Maly Trostinec ermordeten jüdischen Bürger aus Wien zu errichten. Wiens Bürgermeister Michael Häupl machte 2015 eine finanzielle Zusage.

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