Die Welt im Kaufrausch

Warum wir es nicht lassen können, uns zu Weihnachten zu beschenken

"Heuer schenken wir uns einmal nichts": In wie vielen Familien ("Geschenke nur für die Kinder") oder Freundeskreisen ("Geschenke haben wir doch nicht nötig") wird wohl auch dieses Weihnachten wieder diese vermeintlich fortschrittliche Parole ausgegeben? Und in wie vielen Familien und Freundeskreisen drückt man das Vorhaben, einander nichts zu schenken, dann rund um den Heiligen Abend wirklich durch? Ach, nur eine Kleinigkeit. Eben.

von Weihnachten © Bild: Shutterstock.com

Weil Geschenke zum Fest gehören wie Weihnachtsbäckerei, Baum und volle Bäuche. Weil es Brauch ist, weil es immer schon so war und immer noch so ist: Wenn es keine - nicht einmal irgendwelche kleinen, symbolischen - Weihnachtsgeschenke gibt, kippt ganz schnell die Stimmung. Seit man nicht mehr ans Christkind glaubt (siehe Seite 72), das einem sämtliche Herzenswünsche erfüllt hat, sind Geschenke vor allem ein Zeichen der Wertschätzung. Sie festigen Beziehungen zwischen Familienmitgliedern und Freunden. Auch darum hat der Tauschhandel Tradition.

"Hast du schon alle Geschenke?" Mit dieser Frage kann man sein Umfeld derzeit ähnlich in Panik versetzen wie mit der Frage, ob das Festtagsmenü schon steht oder ob der Baum schon besorgt ist. Mitte Dezember sollte man langsam loslegen. Wer mutig genug war, bereits an den ersten beiden Adventsamstagen eine Fußgängerzone oder ein Einkaufszentrum zu betreten, konnte ohnehin den Eindruck gewinnen, dass der vorweihnachtliche Konsumwille ungebremst ist. Der Handel spricht zwar von vielen "Schauern", die sich erst einmal über das Angebot informiert hätten, zeigt sich aber vorsichtig optimistisch: In Wien wurde laut Wirtschaftskammer an den beiden bisherigen Adventsamstagen "etwas weniger" als im Vorjahr umgesetzt.

Zahlen aus dem immer wichtiger werdenden Onlinehandel liegen noch nicht vor; wobei dieses Weihnachtsgeld ohnehin meist ins Ausland geht. Immerhin zehn Prozent der Weihnachtsgeschenke sollen laut Institut für Wirtschaftsforschung (Wifo) heuer im Internet gekauft werden, und augenscheinlich fahren Paketdienste jetzt wieder Sonderschichten, um die Lieferungen von Amazon bis Zalando rechtzeitig zuzustellen. Ganz Schlaue legen gleich Onlinewunschlisten an oder lassen ihre im Internet bestellten Geschenke direkt zustellen; fröhliche Weihnachten geht jedenfalls anders.

Geschenknetzwerke

Es kommt von Herzen. Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft. Das sind nicht nur Redensarten, auch in der Wissenschaft bauen viele Geschenktheorien darauf auf, dass Geschenke in dem sozialen Umfeld, in dem man sich bewegt, die Beziehungen stärken und auch erwartet werden. "Durch Geschenke weben wir soziale Netze", formuliert es etwa die Wiener Soziologin Elfie Miklautz, die mit "Geschenkt" ein Buch über das Geben und Nehmen geschrieben hat. Man könnte sagen: Schenken und sich beschenken lassen ist ein Tauschhandel, der wichtig für unser Zusammenleben ist. Darum fällt es auch vielen so schwer, "Wir schenken uns heuer nichts zu Weihnachten"-Vereinbarungen einzuhalten.

Knapp zwei Milliarden Euro wollen die Österreicherinnen und Österreicher laut Regioplan Consulting heuer für Weihnachtsgeschenke ausgeben. Und sie rennen in die Geschäfte. Am umsatzstärksten sind die Shopping City Süd in Vösendorf mit 50 bis 55 Millionen Euro erwartetem Weihnachtsumsatz und die Wiener Mariahilfer Straße. Auf der "Mahü" sollen in den Wochen bis zum Fest 45 bis 50 Millionen Euro umgesetzt werden; das Wiener Donauzentrum und die Pluscity in Pasching sind mit hochgerechnet jeweils 30 bis 35 Millionen Euro Umsatz ebenfalls dick im Weihnachtsgeschäft.

Dabei verliert der Weihnachtsumsatz für den Handel mehr und mehr an Bedeutung. Dank Kauf-Events wie Halloween, Black Friday, Valentinstag, Mid-Season- Sale und Schlussverkauf verteilen sich die Konsumspitzen übers Jahr. Dennoch legt der Umsatz im Dezember bei Spielzeug, Uhren, Schmuck, Büchern und Unterhaltungselektronik deutlich zu, und wie jedes Jahr zeigen sich Schenktrends. Bei den beliebtesten Weihnachtsgeschenken führt laut einer Umfrage der ING-Diba mit 41 Prozent das "Praktische" - vom Haushaltsartikel bis zur Kleidung. Jeweils etwa 30 Prozent wollen nichts falsch machen und verschenken Gutscheine oder Geld. 31 Prozent der Beschenkten bekommen Sportartikel und Bücher auf den Gabentisch, Luxusartikel wie Schmuck oder Parfum gibt es bei zwölf Prozent; Mehrfachnennungen waren möglich. Dass gerade Luxusartikel so beliebt sind, liegt auch daran, dass viele sich teure Parfums oder Schmuck zwar leisten könnten - es aber nicht wollen. Als Geschenk nimmt man Luxus jedoch offenbar gerne an.

Dabei geht es laut Experten beim Schenken nicht unbedingt um den Austausch von teuren Dingen. Der Wert eines Geschenks ist relativ egal. Wichtiger ist die Wertigkeit, also der Faktor, ob das Geschenk gut ausgesucht wurde, ob es die Wünsche der Beschenkten erfüllt, Geschmack und persönliche Interessen gut getroffen wurden. Seltsamerweise bietet der Handel trotzdem Jahr für Jahr von Herstellern lieblos zusammengestellte Geschenkesets an. Und trotzdem gibt es in vielen Familien die berühmte Krawatte für den Vater, den Pullover für den Opa und die Bonbonniere für die Großtante.

Sich in den anderen einzufühlen sei beim Schenken am wichtigsten, sagt der Soziologe Holger Schwaiger in einem Interview mit der "Süddeutschen Zeitung". Das Geschenk sei dann missglückt, "wenn der Beschenkte überhaupt nicht nachvollziehen kann, was das Geschenk mit ihm zu tun haben soll", sagt der Deutsche, der seine Dissertation zum Thema Schenken geschrieben hat: "Die Anzeichen können da von sehr subtil bis völlig offensichtlich reichen: Der Beschenkte nimmt das Geschenk gar nicht erst symbolisch in Besitz, er probiert die Krawatte nicht mal an. Oder deutlicher: Er schenkt es sofort weiter."

Schwaiger empfiehlt, öfter übers Jahr Geschenke zu machen, nicht nur dann, wenn ein gesellschaftlicher Zwang dazu besteht wie zu Weihnachten.

Schenksymbolik

Schenken hat auch eine Menge mit Symbolik zu tun. Zeichen dafür ist, dass man Geschenke normalerweise hübsch verpackt, um sie symbolisch weiter aufzuladen, besonders zu machen. Der Marketingstratege Roman Kmenta (siehe Kasten auf Seite 68) rät sogar, in eine schöne Verpackung zu investieren, "weil ein liebevoll verpacktes Geschenk zeigt, dass man sich Mühe gegeben und nicht nur versucht hat, möglichst viel Geld auszugeben."

Das ideale Geschenk ist dabei ohnehin kaum zu finden. Es sollte persönlich sein, gut ausgesucht, sollte Gemeinsamkeiten zum Ausdruck bringen und ehrliche Freude wecken. An einem hektischen Samstagnachmittag auf einer Einkaufsstraße ist so etwas schwer zu bekommen. Freilich gibt es auch Menschen, die die ganze Schenkerei perfekt beherrschen - entweder weil sie gut informiert sind und nachgefragt haben, was sich der andere wünscht, oder weil sie sich auf ihr Umfeld einlassen können. So etwas kommt an.

Am schlimmsten sind jene Geschenketypen, die beim Schenken vor allem an sich selbst denken. Ein Buch zu verschenken, das man selbst gern gelesen hat, mag zwar persönlich wirken. Wenn sich der andere aber nicht für mittelalterliche Geschichte oder Seefahrt interessiert, wird das Buchgeschenk weniger gut ankommen. Ähnliches gilt für Mode: Wer seiner Frau ein sexy Abendkleid schenkt, mag sie gerne darin sehen - obwohl sie sich darin vielleicht gar nicht wohlfühlt.

Viele greifen auch zum Gutschein, damit die Beschenkten sich ihr Geschenk selbst aussuchen können. Aufmerksame besorgen immerhin Gutscheine von Geschäften, in denen der andere ohnehin gern einkauft. Geldgeschenke kommen eigentlich nur bei Jugendlichen an, deren Geschmack und Interessen für die meisten älteren Angehörigen nicht mehr nachvollziehbar sind.

Nachhaltig schenken

Lang hält die Freude über materielle Geschenke ohnehin selten an. Wer besonders nachhaltig schenken möchte, sollte deshalb weniger auf Werte als auf Erlebnisse setzen. Die kanadischen Forscher Aaron Weidman und Elizabeth Dunn haben kürzlich in einer Studie gezeigt, dass geschenkte Erlebnisse nachhaltiger sind und glücklicher als materielle Dinge machen. Vor allem im Rückblick wirken sie positiv nach.

Die beiden Psychologen ließen Menschen sechs Wochen lang über ihre Gefühle zu ihren Weihnachtsgeschenken Tagebucheinträge machen. Das Ergebnis: Die Freude über materielle Geschenke ist zwar zu Beginn groß, und an den ersten Tagen freuen sich die Beschenkten immer wieder kurz über das neue Skateboard, den Computer oder den Sweater. Die erste Euphorie ebbt mit der Zeit jedoch ab, die Freude über geschenkte Erlebnisse - vom gemeinsamen Dinner über den Theater- oder Konzertbesuch bis zum Abenteuerausflug - bleibt. Man solle, so die Forscher, sich also genau überlegen, welche Freude man verschenken möchte: kurzfristige oder nachhaltige. Einfühlung ist demnach auch hier angesagt.

Nachhaltig Freude machen kann man auch mit Spenden; indem man direkt jenen Geld oder Dinge zukommen lässt, die wenig bis gar nichts besitzen. Man kann dem Schenken aber auch eine neue Bedeutung geben, wie es die Caritas mit der Aktion "Schenken mit Sinn" vorschlägt. "Überraschen Sie Ihre Lieben doch mal mit einer Ziege, Saatgut oder einer Hühnerschar", heißt es dort. Das Prinzip ist einleuchtend: Man spendet mehr oder weniger zweckgebunden für Entwicklungshilfe- oder Nachbarschaftsprojekte, und der Beschenkte bekommt ein Billet, das über das jeweilige Projekt informiert. Möglicherweise ist das die bessere Investition als ein weiterer Staubfänger fürs Regal.

Erlebnisse, Zeit, Spenden, immaterielle Dinge schenken: Weihnachten wäre so einfach und stressfrei. Wenn das nur all jene wüssten, die noch am 24. Dezember kurz vor Ladenschluss mit angstgeweiteten Augen durch Einkaufsstraßen und Shoppingcenter hetzen.

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