Was passiert nach
Merkels Rückzug?

Die Rückzugsankündigung der deutschen Kanzlerin Angela Merkel schürt in Brüssel die Angst vor einem europapolitischen Stillstand.

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Merkels Rückzug? © Bild: Tobias SCHWARZ / AFP

Erst die monatelange Suche nach einem Koalitionspartner, dann die Wahlschlappen in Bayern und Hessen, nun der Verzicht auf den CDU-Vorsitz und das absehbare Ende ihrer Kanzlerschaft - in Brüssel gilt Merkel endgültig als "lame duck", als "lahme Ente".

»In Europa wird ihr niemand mehr zuhören«

Der Einfluss der einstmals mächtigsten Frau Europas schwindet, so der Konsens unter Diplomaten, Politikern und Experten.

"In Europa wird ihr niemand mehr zuhören", prophezeit der Europaexperte Sebastien Maillard vom Institut Jacques Delors in Paris. Nun beginne eine lange Periode der Unsicherheit. "Das ist ein harter Schlag für Europa", sagt Maillard.

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Ganz ähnlich sieht Eric Maurice von der Brüsseler Stiftung Robert Schuman die Dinge: "In Brüssel gilt Merkel als ausgeschieden." Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sei derzeit der einzige, der das Vakuum ausfüllen könnte. "Aber zusammen mit wem?"

Was geschieht mit Macron?

Macron hat ehrgeizige Pläne zur Reform der EU. Doch dem Franzosen mangele es an Partnern, sagt Maurice. In Spanien regiere eine fragile Minderheitsregierung. Italien und Polen hätten sich quasi von Europa abgemeldet. Den anderen fehle es an Größe und Einfluss. "Ohne Deutschland ist Macron nichts", resümiert Maurice.

Der französische Präsident selbst machte aus seiner Enttäuschung über Merkels Entscheidung keinen Hehl: Ihr Rückzug habe "nichts Beruhigendes", sagte Macron am Montagabend. "Sie hat niemals vergessen, was Europas Werte sind." Die Worte des Präsidenten hörten sich fast wie ein Nachruf an.

Merkels Nimbus in Brüssel bröckelt - und das nicht erst seit dem Paukenschlag nach der Hessen-Wahl. "Diese Situation hatten wir bereits nach den Bundestagswahlen (im September 2017, Anm.) und der langwierigen Regierungsbildung", sagt Julian Rappold vom European Policy Centre.

"Flüchtlingskanzlerin"

Zwischen September 2017 und März 2018 schaute Europa verwundert nach Berlin, wo sich Merkel monatelang abmühte, eine Regierungskoalition auf die Beine zu stellen. "Jetzt muss Brüssel wieder auf Berlin warten", fürchtet Rappold.

Merkel hat sich in der EU nicht nur Freunde gemacht. Als "Austeritätskanzlerin" war sie Ziel von Anfeindungen in Südeuropa, als "Flüchtlingskanzlerin" seitens der politischen Rechten nicht nur in Osteuropa.

"Dennoch genießt sie enormen Respekt bei den Regierenden in der EU", sagte Joachim Fritz-Vannahme von der Bertelsmann-Stiftung. In den anderen Mitgliedstaaten käme scharfe Kritik an ihr meist lediglich aus der Opposition.

In den Augen vieler ist Merkel der letzte Stabilitätsanker der von Finanz- und Migrationskrisen gebeutelten EU. Diese Stabilität hänge nun davon ab, ob sie mit Annegret Kramp-Karrenbauer ihre bevorzugte Nachfolgerin in Stellung bringen kann, glaubt Experte Rappold vom European Policy Centre.

»Ich sehe kein Risiko für Chaos oder Instabilität für Europa«

"Sollte sich aber ein Merkel-Kritiker als Parteivorsitzender durchsetzen, wäre das ein klares Signal für das Ende ihrer Kanzlerschaft", sagt Rappold. Die Kluft zwischen ihr und ihrer eigenen Partei wäre dann zu groß. In großen europapolitischen Themen wie Sicherheit und Migration seien dann bis nach der Europa-Wahl im Mai keine nennenswerten Fortschritte zu erwarten.

Diesen Pessimismus teilen nicht alle. Merkels Entscheidung sei zu erwarten gewesen, es ändere sich dadurch nichts, heißt es aus EU-Kommissionskreisen. "Ich sehe kein Risiko für Chaos oder Instabilität für Europa, denn das wird ein sehr langsamer Abgang sein", sagt Sudha David-Wilp, stellvertretende Leiterin des German Marshall Fund.

Auch Fritz-Vannahme von der Bertelsmann-Stiftung warnte vor übertriebener Unruhe. "Auf kurze Sicht wird die Kanzlerin vielleicht sogar mehr Zeit haben, sich auf Europa zu konzentrieren", vermutete er. "Ein neuer Parteichef wird sich voraussichtlich nicht in Europa tummeln, aber ihr dafür vielleicht den ein oder anderen innenpolitischen Termin abnehmen."

Merkel sieht sich nicht geschwächt

Merkel selbst sieht sich durch ihren angekündigten Rückzug von der CDU-Spitze in internationalen Verhandlungen nicht geschwächt. "Ich glaube, dass sich an der Verhandlungsposition in internationalen Verhandlungen nichts verändert", sagte sie am Dienstag in Berlin. "Man kann sogar sagen, ich habe mehr Zeit, mich auf die Aufgaben als Regierungschefin zu konzentrieren."

Dagegen ist Lüder Gerken, Vorstand des Forschungsinstituts Centrum für Europäische Politik, überzeugt, dass Merkels Führungsrolle in der EU der Vergangenheit angehört. "Nach ihrem Verzicht auf den CDU-Parteivorsitz wird die Bundeskanzlerin die Welt kaum noch davon überzeugen können, dass sie weiterhin die Garantin für eine gewisse Stabilität in der EU sein kann."

Merkel hatte am Montag angekündigt, nicht mehr als CDU-Chefin kandidieren, aber bis Ende der Legislaturperiode Kanzlerin bleiben zu wollen. Zur Nachfolgedebatte in der CDU wollte sie erneut keine Stellung nehmen. "Ich als Vorgängerin habe im meinem politischen Leben gelernt, dass man sich in die Frage der Nachfolgen nicht einmischen sollte, weil das noch nicht geklappt hat. So werden ich das auch halten", sagte sie. Es sei ein "offener Prozess".

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Das Schlimmste seit Hitler! Ganz Europa zerstört, die Flüchtlingsfrau!

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Ich schenke Ihnen bei Gelegenheit eine Packung Pflaster. Bei meinem Teddybär hat das auch immer funktioniert: Ein Pflaster kleben, und schon war der Bär wieder heil. Bei Ihrer Weltanschauung wird das bestimmt schon helfen, vermute ich.

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