Was bedeutet Heiraten überhaupt?

Während sich die Politik eine ideologisierte Schlammschlacht darüber liefert, ob auch Homosexuelle heiraten dürfen, sagen Heteros immer öfter "Ja". Sind wir romantischer, konservativer oder einfach sicherheitsorientierter? Was bedeutet das überhaupt: heiraten?

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Ja, ich will! - Was bedeutet Heiraten überhaupt?

Heiraten oder trennen? Vor dieser Entscheidung standen Miriam und René vor eineinhalb Jahren. Ihr halbes Leben hatten sie miteinander verbracht. Teenager waren sie, als sie sich im Jahr 1999 auf einer Party kennenlernten. Sie verliebten sich und zofften sich, suchten Nähe und entfernten sich, sie wurden erwachsen, mit Heim im Grünen und zwei Kindern. Mit Arbeit, Doppelbelastung und Sorgen. Und irgendwann verloren sie sich. Entfremdung und Sprachlosigkeit hielten Einzug in das Familienidyll. Und da standen sie nun. Nach 17 gemeinsamen Jahren. Und es war klar, dass etwas geschehen musste. Etwas Einschneidendes. Ein klarer Schritt. Trennung oder Hochzeit? Miriam und René entschieden sich für Letzteres. Am 5. Februar 2016 gaben sie sich mitten in niederösterreichischen Weinbergen das Jawort.

Miriam und René Mehlman sind eines von 44.890 Paaren, die im Jahr 2016 geheiratet haben. So viele waren es schon lange nicht mehr. Fünf Jahre zuvor sagten nur 36.426 "Ja". Den bisherigen Tiefpunkt in Sachen Heiratswille verzeichnet die Statistik Austria im Jahr 2001 mit nur 34.213 Eheschließungen.


Dass wir heute wieder häufiger heiraten, könnte mit einem generell erhöhten Sicherheitsbedürfnis zusammenhängen, meint Paarcoach und Familienberaterin Sandra Teml-Jetter. "Wer 2016 geheiratet hat, war mit dem Flüchtlingsstrom ein Jahr zuvor konfrontiert, der die Idee des Krieges näher heranrücken hat lassen. Anschläge wie in Brüssel, Istanbul oder Nizza lassen die Sehnsucht von Menschen wachsen, näher zusammenzurücken, um hochoffiziell Sicherheit und Geborgenheit, Heimat und Stabilität im anderen zu finden", sagt Teml-Jetter.

Ehe und Stabilität

Anzunehmen, dass die Ehe per se Stabilität garantiert, ist natürlich naiv. "Die Eheschließung allein kann die ewige Liebe nicht gewährleisten. Das ist ein Irrglaube", sagt Teml-Jetter. Was oft nicht einkalkuliert wird: Eine Beziehung ist nicht der ruhige Hafen für immer, sondern, wie der amerikanische Paartherapeut David Schnarch sagt, eine "Menschenwachstumsmaschine". "In eine Paarbeziehung sind Konflikte im Sinne der eigenen Weiterentwicklung mit eingebaut. Und bei der Ehe geht es darum, sich diesen auch zu stellen - in guten wie in schlechten Zeiten", sagt die Psychologin. Mit der Ehe verpflichten sich zwei Menschen offiziell, Schwierigkeiten gemeinsam durchzustehen und nicht beim ersten ernsthaften Disput das Handtuch zu werfen. Sie versprechen einander, den anderen zu tragen und zu unterstützen "bis dass der Tod sie scheidet".

Ehe und Romantik

Viele sehen in diesem Versprechen den Gipfel jeder Romantik. Liebe ist noch immer das Hauptmotiv für Eheschließungen. Bei einer Onlinebefragung der Wiener Familienrechtsanwältin Katharina Braun gaben über 66 Prozent der Paare an, aus Liebe geheiratet zu haben. Weitere Gründe waren "ein gemeinsames Kind", "das Bekenntnis der Beziehung nach außen", "finanzielle und rechtliche Absicherung" sowie "gesellschaftlicher Druck".

Viele Paare wollen mit einer Ehe ihre Beziehung in gewisser Weise "adeln". "Wir wollten einander Mann und Frau sein. Weil wir uns erstmals in unserem Leben vollen Herzens, ohne Hintertür für jemanden entschieden haben", drückt es Ingrid Diem aus. "Oft ist die Eheschließung ein Unterscheidungsmerkmal zu früheren Beziehungen", sagt die Psychologin Teml-Jetter. Wenn Frauen den Bund fürs Leben eingehen, sind sie heute durchschnittlich 30 Jahre alt, Männer 32,6. Die allermeisten von ihnen hatten schon ein Beziehungsvorleben. Und dann entsteht der Wunsch, den Partner in einen Status zu heben, in dem die anderen zuvor nicht waren.

Ehe und Recht

Für manche wirkt gerade diese idealisierte Überfrachtung einer Beziehung abschreckend. Für Paare etwa, die zwar Zweisamkeit und Kinder wollen, aber - aus Erfahrung oder Realitätssinn - nicht an die ewige Liebe glauben. Auch der Anwältin Maria In der Maur-Koenne fällt es schwer, die Ehe als rein romantischen Akt zu sehen. "Die Ehe ist ein Vertrag mit Rechten und Pflichten." Ein Vertrag, den man zumindest einseitig schwer kündigen kann. Im Gegensatz dazu haben Unverheiratete in Österreich relativ wenig Rechte und Pflichten. Einzig bei den Rechten gegenüber gemeinsamen Kindern sind sie Verheirateten gleichgestellt, zumindest sobald die Vaterschaft anerkannt und die gemeinsame Obsorge vereinbart ist.

Die größten Unterschiede zwischen Ehe und Partnerschaft liegen im Finanziellen. Bei der Ehe kommt es im Scheidungsfall zur Vermögensaufteilung und unter bestimmten Voraussetzungen zu Unterhaltszahlungen. Auch beim Thema Erben sind Verheiratete gegenüber Unverheirateten bessergestellt: "Als Ehegatte ist man erbberechtigt. Der Lebensgefährte erbt ohne Testament nur dann, wenn wirklich kein Blutsverwandter - egal welchen Grades - aufzutreiben ist." Sinn mache eine Ehe dann, "wenn man sich wirtschaftlich im Sinne der Lebensgestaltung auf den anderen verlassen muss". Etwa wenn Kinder da sind, einer von beiden seinen Job reduziert und weniger verdient.

"Bei wirtschaftlicher Abhängigkeit ist es von großem Vorteil, wenn der andere sich nicht einfach aus der Verantwortung ziehen kann", so In der Maur-Koenne. Grundsätzlich sei Ehe eine Frage der Perspektive, sagt sie: "Wenn Sie ein aufstrebender Generaldirektor sind und fünf Kinder wollen, dann könnte das schlecht für Sie ausgehen. Wenn Sie fünf Kinder mit einem aufstrebenden Generaldirektor wollen, tun Sie das nie, ohne verheiratet zu sein."

Hierzulande gibt es für heterosexuelle Paare noch keine Alternative zur Ehe. Anders ist das in Frankreich, wo es seit 1999 den "pacte civil de solidarité", genannt Pacs, gibt. Mit diesem einseitig kündbaren Vertrag werden Paare gemeinsam besteuert, erhalten Besuchs- und Auskunftsrecht, wenn der Partner im Krankenhaus liegt, und eine Rente, wenn der andere stirbt. Österreichern bleibt dazu nur die Hochzeit. Um böses Erwachen zu vermeiden, rät In der Maur-Koenne heiratswilligen Paaren, sich vor der Hochzeit juristisch beraten zu lassen. Dann, sagt sie, kann Ehe wirklich romantisch sein. Aber nur, wenn man weiß, was man tut.