Warum Grüne verlieren

Vom Besten aus der Welt von Kogler und Co. bleibt nicht viel übrig, Klimaschutz hat Pause und in der Koalition herrschen alles andere als partnerschaftliche Verhältnisse.

von Politische Analyse - Warum Grüne verlieren © Bild: Privat

ANALYSE

Ihren letzten Frühling hatten die Grünen im vergangenen Herbst: Nachdem ihr Chef, Vizekanzler Werner Kogler, daran mitgewirkt hatte, dass sich Sebastian Kurz (ÖVP) aus der Politik verabschieden musste, hielten sie im Durchschnitt der Umfragen 13 Prozent. Kaum weniger als bei der letzten Nationalratswahl also (13,9 Prozent). Heute erreichen sie zehn Prozent. Schlimmer für sie: Eine Zweiparteienkoalition mit der ÖVP (22 Prozent) oder wem auch immer würde sich nicht mehr ausgehen und in einer Ampel wären sie Dritte hinter Sozialdemokraten (30) und Neos (zwölf). Damit droht ihnen nicht nur ein Stimmen-, sondern auch ein Machtverlust. Die Verzweiflung ist groß. Gerne wird auf Corona-und folgende Krisen verwiesen: Da könne man nicht gewinnen. Es ist jedoch mehr: Kurz und Kogler stellten ihre Zusammenarbeit einst unter das Motto "Das Beste aus beiden Welten". Herausgekommen ist, dass Türkise ihr Programm durchziehen und Grüne kaum leben lassen. Unter Kurz-Nachfolger Karl Nehammer hat sich das nicht wirklich geändert: Seit mehr als 600 Tagen ist ein Klimaschutzgesetz ausständig. Für die ÖVP hat es "nicht oberste Priorität". Eine CO2-Bepreisung wiederum, mit der so umfangreiche Ausgleichsmaßnahmen einhergehen, dass sie in absehbarer Zeit ohnehin nicht spürbar wäre, hätte bereits mit 1. Juli kommen sollen, wurde aber verschoben. Ob sie am 1. Oktober eingeführt wird, ist fraglich. In der ÖVP wächst der Widerstand. Umso größer ist hingegen das Bestreben, in der Not ausgerechnet ein Kohlekraftwerk (Mellach) wieder in Betrieb zu nehmen.

Im Übrigen machen den Grünen türkise Affären zu schaffen, zumal sie allerhand schlucken und sich allenfalls nur um Selbstverständliches bemühen können. Dass es etwa möglich ist, ungehindert aufzuklären. Das ist gut. Dank gibt es jedoch keinen dafür.

Ursprüngliche Absicht war, zum Beispiel über das Sozialministerium gestalterisch tätig zu sein. Im Ressort sind aber auch die Gesundheitsagenden angesiedelt, die seit Ausbruch der Pandemie so viele Probleme bereiten, dass mit Johannes Rauch schon der dritte Minister zu kämpfen hat.

Gewesslers Prüfung

Hoffnungen zerschlagen sich: Klimaschutzministerin Leonore Gewessler konnte sich durch den Projektstopp für den Wiener Lobautunnel bei den eigenen Anhängern profilieren. Sie galt bereits als fixe Kogler-Nachfolgerin in naher Zukunft. Jetzt steht jedoch eine andere Prüfung im Vordergrund, die sie erst bewältigen muss: die Sicherstellung der Energieversorgung im Winter. Da habe sie bisher "kein gutes Bild" abgegeben, ätzte ÖVP-Generalsekretärin Laura Sachslehner schon einmal. Sprich: Die Unterstützung durch den Koalitionspartner ist enden wollend. Gewessler muss eher befürchten, alleingelassen zu werden, wenn es eng werden sollte.

ZAHL

Abhängig von Pensionisten

Dass als Ausgleich zu einer stärkeren Pensionserhöhung heuer im kommenden Jahr eine niedrigere als gesetzlich vorgesehen fixiert werden könnte, glaubt Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) selbst nicht. Von ihm kommt dieser Vorschlag. Wahrscheinlicher ist, dass es auch dann zumindest für kleine und mittlere Pensionen einen Teuerungsausgleich geben wird. Alles andere würde Karl Nehammer als Kanzler und ÖVP-Chef kaum überleben. Seit Wolfgang Schüssel, einer seiner Vorgänger, 2006 infolge einer Pensionsreform eine Wahlniederlage erlitt, gilt die Devise, nur ja keinen Unmut bei einer Masse auszulösen. Pensionisten bilden eine Masse. Sie stellen ein Drittel der Wahlberechtigten und gehen auch am ehesten wählen. Das ist das eine. Das andere: Für ÖVP, aber auch SPÖ, sind sie überhaupt maßgebend. Bei der Nationalratswahl 2019 erreichten die beiden Parteien bei ab 60-Jährigen einen Stimmenanteil von insgesamt 74 Prozent. Bei Jüngeren schafften sie gerade einmal 41 Prozent. Freiheitliche, aber auch Neos und Grüne, erfuhren bei Älteren weniger Zuspruch. Werner Kogler und Co. mussten sich laut Sozialforschungsinstitut SORA mit fünf Prozent begnügen. Sie haben fast nichts zu verlieren.

Grafik NR-Wahl 2019 nach Altersgruppen
© News Quelle: SORA

Bei der ÖVP ist die Abhängigkeit von den Pensionisten zuletzt größer geworden: Der Zuspruch der treuen Wählerschaft kann Verluste begrenzen -ob bei den Landtagswahlen in Tirol, Kärnten, Salzburg und Niederösterreich im Herbst und Winter oder bei einer Nationalratswahl spätestens 2024. Das hat allerdings auch seinen Preis: Auf Maßnahmen für eine langfristige Pensionssicherung wird gepfiffen. Aus Frust darüber hat Walter Pöltner den Vorsitz in einer Kommission zurückgelegt, die die Regierung diesbezüglich berät. Sein Abschied unter Protest jährt sich dieser Tage zum ersten Mal. Bezeichnend: Es hat sich nichts geändert durch ihn.

BERICHT

Mächtiger als der Kanzler

Sie werden sich noch wundern, was alles möglich ist", sprach der freiheitliche Präsidentschaftskandidat Norbert Hofer 2016. Walter Rosenkranz, der 2022 für die FPÖ antritt, ist konkreter: Für den Fall, dass er sich gegen Amtsinhaber Alexander Van der Bellen durchsetzt, erwägt er, die Regierung zu entlassen. Eine neue würde er dann nur ernennen, um auf ihren Vorschlag hin den Nationalrat auflösen zu können. Dann müsste es eine Neuwahl geben.

Das mag weder dem Geist der Verfassung noch der bekannten Praxis entsprechen, ist aber möglich. Van der Bellen hat zwar beste Chancen, im Amt bestätigt zu werden, wachsender Unmut in der Bevölkerung sowie die Ankündigung weiterer Kandidaten neben Rosenkranz, die Regierung nach Hause zu schicken, gebieten es aber, sich bewusst zu machen, was ein Bundespräsident tun könnte. Nur weil die meisten bisher zurückhaltend waren, muss das nicht heißen, dass das alternativlos ist. Der Jurist Manfried Welan hat einmal geschrieben, dass dem Staatsoberhaupt mehr Gewicht zukommen könnte als dem Kanzler.

Niemand habe durch die Volkswahl eine so große Legitimation wie er; niemand sei so schwer verantwortlich zu machen und praktisch unabsetzbar wie er; niemand sei so ohne Konkurrenz und Kontrolle wie er; niemand habe einen so direkten Zugang zur Öffentlichkeit wie er. Er kann etwa jederzeit eine Rede halten, die auf so viel Zuspruch stößt, dass sich die Regierung, die er ja entlassen könnte, gezwungen sieht, zu tun, was er wünscht. Geschick gehört bei alledem halt dazu.

Johannes Huber, Journalist und Blogger zur österreichischen Politik, www.diesubstanz.at