"Lass die anderen
ihren Kram erzählen"

In Deutschland wie auch in Österreich wird gewählt. Aber was sind die Unterschiede beider Länder im Wahlkampf?

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Wahlkampf - "Lass die anderen
ihren Kram erzählen"

Deutschland wählt in wenigen Tagen, Österreich in wenigen Wochen. In beiden Ländern läuft der Wahlkampf auf Hochtouren. Inwieweit ist der Wahlkampf in den beiden Ländern vergleichbar? Der Wahlkampfberater, Buchautor und Unternehmer Roman Loidl sieht im Gespräch mit der APA große Unterschiede zwischen den beiden Nachbarländern. Das betrifft vor allem den Umgang mit den Rechtspopulisten.

"Die AfD in Deutschland ist besonders geschickt darin, Bälle hochzuschießen, die eigentlich abstrus sind, nur um damit den politischen Gegner zu definieren. Das ist wie eine umgedrehte Matrize", sagt der Experte. Indem die SPD oder andere Parteien auf den hochgespielten Ball reagiert, schaffe es die AfD mit ihren Spins, dass andere Parteien darauf reagieren und sich dadurch definieren. "Vor allem die SPD bringt kaum eigene Themen hervor und schafft es auch nicht, eigene Themen in den Mittelpunkt zu stellen, sondern definiert sich durch die Reaktion darauf, was eine andere Partei sagt", meint Koidl. "Das ist eine Defensive, aus der man in diesem Wahlkampf nicht mehr herauskommt."

"Lass die anderen ihren Kram erzählen, wir konzentrieren uns auf unsere Themen"

Anders laufe es in Österreich: Die Österreicher hätten mehr Routine nach dem Motto: "Lass die anderen ihren Kram erzählen, wir konzentrieren uns auf unsere Themen." Die Österreicher hätten langjährige Erfahrung darin, mit einem Partner FPÖ umzugehen und auf deren Attacken einzugehen. "Da sind die viel geübter. Man lässt sich das Heft nicht aus der Hand nehmen, sondern bringt mehr die eigenen Themen nach vorne."

Österreicher haben mehr Erfahrung im Umgang mit extremen Rechten

Im Umgang mit der extremen Rechten und ihren Positionen seien die Österreicher erfahrener als die Deutschen. Österreicher wissen besser als die deutschen Kollegen, wie man das adressiert, wie man sich nicht beeindrucken lässt: Höflich und freundlich bleiben, aber nicht über jedes Stöckchen hupfen, das einem vom politischen Gegner hingehalten wird.

Das sei nicht eine Frage der Mentalität, sondern der Übung. In Österreich habe man über mehrere Legislaturperioden genau verstanden, was kontraproduktiv ist. Dagegen haben sich in Deutschland offenbar alle demokratischen Parteien darauf verständigt, wie sie in der letzten Woche vor der Bundestagswahl mit der AfD umgehen: Das seien Nazis, die dürfe man nicht wählen.

"Nazi"-Begriff eine Stärkung?

In Österreich habe man längst begriffen, wenn man den politischen Gegner als Nazi diffamiere, dann schwäche man ihn nicht, sondern stärke ihn geradezu.

Wenn man über die hochgeschossenen Bälle der AfD rede, sei dies ein taktischer Fehler. Die Methode müsse sein: auslaufen lassen, reden lassen und dann gar nicht darauf eingehen, sondern den eigenen Punkt setzen und bestenfalls höflich und unaufgeregt zurückweisen.

Angriffe mit unglaublicher Härte

Ein weiterer Unterschied, der dem Wahlkampfbeobachter auffällt: Das Kennzeichen des heurigen österreichischen Wahlkampf sei, dass man mit unglaublicher Härte auf Personen gegeneinander vorgeht. Es gehe nicht um Inhalte, sondern um persönliche Herabwürdigung und Diffamierung. Die Bürger würden dadurch den Eindruck gewinnen, es gehe nur noch darum, den jeweiligen Gegner etwa in Talkshows persönlich mit Beleidigungen zu belegen und in Social Media fertigzumachen, diese Verschlechterung der politischen Gesprächskultur sei bedauerlich.

Passend dazu: Ist der Wahlkampf noch negativ oder schon schmutzig?

Der SPD - für deren Kanzlerkandidaten des Jahres 2013, Peer Steinbrück, Roman Koidl drei Monate lang als Berater tätig war - wirft Koidl im aktuellen Wahlkampf Themenverfehlung vor. "Die SPD glaubt, es genügt, in den Keller zu gehen und das Konzept von 1998 hervorzuholen, das Gerhard Schröder ins Kanzleramt gebracht hat." Es gehe diesmal aber nicht um eine Krise der sozialen Gerechtigkeit, wie sie Kanzlerkandidat Martin Schulz thematisiert habe. "Auch wenn es soziale Missstände gibt, wo es einiges zu verbessern gibt: Aber Deutschland hat keine soziale Krise", so der Experte.

Den Wettbewerb auf den Gerechtigkeitswahlkampf anzulegen sei ein großer Fehler gewesen. Vielmehr steuere Deutschland auf eine politische Krise zu, auf einen großen politischen Umbruch, der die Menschen beschäftige. "Man spürt die Stärkung der extremen Ränder. Das wäre durch die Politik anzusprechen! Stattdessen wird über Mindestlohn, Rente und Themen geredet, das sind Schallplatten der Vergangenheit!" Der Wahlkampf sei ein Sommerschlussverkauf politischer Angebote, das sei nicht mehr im Trend.

Digitalisierung kaum ein Thema

Dagegen werde in Deutschland die Digitalisierung kaum angesprochen, abgesehen von Debatten über ein paar Glasfaserkabel. Aber es gehe nicht darum, wie große amerikanische Konzerne und wenige Milliardäre den politischen und demokratischen Willensbildungsprozess beeinflussten und infiltrierten. Es werde nicht angesprochen, wie man mit Fake News umgehe, mit der Macht der sozialen Medien, mit der Ausbeutung der persönlichen Daten.

Das habe mit dem mangelnden technischen Verständnis derer zu tun, die als Repräsentanten des Staates für diese Themen verantwortlich seien. "Die sehen Digitalisierung nur unter Wachstumsaspekten, aber nicht, wie unsere Demokratie in Zukunft organisiert sein wird - eine vollkommen unterschätzte, riesige Gefahr, die einen mit großer Sorge erfüllen muss!"

Welche Rolle spielt Social Media?

Welchen direkten Einfluss die über Soziale Medien importierte Doppelmoral amerikanischer Prägung auf die westliche freiheitliche Kultur habe und wie Europa die konservative, prüde amerikanische Wahrnehmung aufoktroyiert bekomme, sei extrem gravierend, werde aber überhaupt nicht diskutiert. "Die Tendenzen der künstlichen Intelligenz, mit der uns jeder Computer, jedes Smartphone maßgeblich beeinflusst und manipuliert, werden noch nicht verstanden." Dieses größte Risiko der freiheitlichen demokratischen Grundordnung werde den nächsten Wahlkampf prägen.

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Roman Koidl ist Österreicher, lebt in der Schweiz, beobachtet die Politik in Deutschland und Österreich und veröffentlichte soeben bei Hoffmann und Campe das Buch mit dem doppeldeutigen Titel in Großbuchstaben: "Warum wir irre wählen" bzw. "Warum wir Irre wählen".

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