Wähler zwischen Gut und Wut

von Gerfried Sperl © Bild: News

Die Österreicher sind entschlossener. Während in Deutschland zehn Tage vor der Wahl noch 46 Prozent der Wahlberechtigten unentschlossen waren, sind es einen Monat vor den Nationalratswahlen bei uns nur acht bis zehn Prozent. Gründe: In Deutschland geht massiv die Wut um, vor allem in der ehemaligen DDR. Man sieht das an der Aggressivität im Internet und an den Ausschreitungen bei Wahlkampfveranstaltungen -am stärksten gegen Angela Merkel. Im Westen wird sie zwar da und dort ausgepfiffen, im Osten aber ist sie das Hassobjekt der Wutbürger.

Also kaum Parallelen zu Österreich? Doch, vor allem was die Verteilung der Einkommen betrifft. 40 Prozent der Deutschen haben -an der Kaufkraft gemessen -1995 mehr verdient als 2015. So krass ist es in Österreich bei Weitem nicht, vor allem weil wir keinen exkommunistischen Landesteil zu integrieren hatten.

Eine zweite wichtige Parallele: die Flüchtlinge. In Deutschland haben sie, so "Der Spiegel", für eine tiefe "Verstörung" gesorgt. Der Wohlstand der Mehrheit, für den Merkel steht, wird vom rechtspopulistischen Vorwurf der "Verwahrlosung" konterkariert. Doch sogar der linke Kolumnist Jakob Augstein schrieb: Der Satz "Es geht uns gut" sei eine "gefährliche Drohung".

In Österreich ist die Wut schaumgebremst. Vor allem wegen Sebastian Kurz, der zwar die Positionen der FPÖ mitvertritt, aber mit seiner Teflon-Fassade optisch mildert. Man regt sich mehr über Nebenaspekte auf. Zum Beispiel, dass Flüchtlinge "gefüttert" werden, weil man gerne glaubt, was nicht stimmt. Gehobener: dass man sie "alimentiert".

Sogar Bobos sind zahmer. Viele von ihnen ärgert höchstens, dass sie es sich nicht leisten können, wie Sebastian Kurz und Christian Kern alle vierzehn Tage einen neuen "Slim Fit"-Anzug zu kaufen.

Der Unterschied zwischen Kern und Kurz: Für das Gute und Positive ist der Kanzler zu kantig. Er polarisiert, sogar in der eigenen Partei. Man redet lieber über Kurz. Er ist der Hansi Hinterseer der Politik. In Ställen herumgestakst ist er schon. Nur gesungen hat er noch nicht.

Kommt vielleicht noch. Denn das Wohlfühlen ist nur zum Teil materiell begründet. Vielmehr ist damit die Freizeit verbunden -das Surfen am Neusiedler See, das Jausnen auf der Alm. Kurz und seine "neue ÖVP" definieren "Wohlfühlen" nicht über die Kultur, etwa über die Wiener Festwochen oder den Steirischen Herbst. Der türkise Spitzenkandidat ist fesch, gesund, ein Strahlemann.

Das entspricht der österreichischen Mentalität. Der "neue Stil" des Außenministers, der bei Regierungssitzungen fehlt, weil er mit der amtierenden Koalition nichts zu tun haben möchte, ist ein Hinweis. Kurz findet im Grunde alles schlecht, sogar das mit seiner Stimme Beschlossene. Er liebt, was die meisten Österreicher mögen: nett sein und schön auszuschauen.