"Da werden Menschen sterben"

Helfen wird im Flüchtlingslager Vucjak zur Straftat. Ein Gespräch über die humanitäre Katastrophe und Rassismus vor Ort.

„Es passt bei mir nie, weil ich immer in irgendwelchen Schwierigkeiten stecke.“ So fängt ein Telefonat mit Dirk Planert an, einem Mann, der im Flüchtlingslager Vucjak seit vier Monaten humanitäre Hilfe leistete – und das jetzt nicht mehr darf. Vorige Woche wurde er mit seinem medizinischen Hilfs-Team aus dem Lager geworfen. Hat er zu viel Aufmerksamkeit auf die unmenschlichen Zustände des Lebens der Menschen auf der Müllkippe sowie im Nahe gelegenen Bihac gelenkt?

von Vucjak © Bild: Dirk Planert

Seit Juni 2019 leistet Dirk Planert humanitäre Hilfe im Flüchtlingslager Vucjak. Ein Flüchtlingslager, das außerhalb der bosnischen Stadt Bihac an der Grenze zu Kroatien auf eine Müllhalde improvisiert wurde, weil die regulären Lager überfüllt waren. Internationale Organisationen und NGOs wollen mit dem Lager nichts zu tun haben, da es nicht ihren Standards entspricht.

Vucjak
© Dirk Planert Dirk Planert bei seiner Arbeit im Hilfszelt in Vucjak

Planert, ein deutscher Journalist, folgte den ersten Bussen, die Flüchtlinge dorthin brachten und als ihm dort „aus einem Polizeibus ein schwerstkranker, vor Schmerzen schreiender Mann einfach vor die Füße geworfen wurde“, beschloss er, zu helfen. Zunächst mit einfachen Mitteln wie Verbandsmaterial und einfachen medizinischen Hilfen, die auch ein Nicht-Mediziner leisten kann. Dann informierte er Medien und die europäische Politik wodurch professionelle medizinische Helfer aufmerksam wurden und ihm zur Hilfe kamen. In einem kleinen, vom örtlichen Rot-Kreuz zur Verfügung gestellten Zelt wurden seitdem die Menschen rund um die Uhr ärztlich versorgt. Bis letzten Mittwoch, als die Aktion der humanitären Helfer plötzlich zur Straftat wurde.

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News.at: Herr Planert, Sie und ihr Team wurden letzte Woche aus dem Lager geworfen. Was ist passiert?
Dirk Planert: Vergangenen Mittwoch kam plötzlich die Ausländerbehörde in unser Rot-Kreuz-Zelt in Vucjak und hat die Papiere der zu dem Zeitpunkt arbeitenden Leute beschlagnahmt. Das war eine ungarische Ärztin, ein slowenischer Ausbilder vom Militär für Sanitäter und eine deutsche Notfallsanitäterin. Sie mussten am nächsten Tag in der Ausländerbehörde erscheinen und 150 Euro pro Kopf Strafe zahlen.

Wofür mussten sie Strafe bezahlen?
Für illegale Arbeit.

Waren Sie und Ihr Team irgendwo angemeldet oder registriert?
Ich bin als Freiwilliger beim Roten Kreuz in Bihac gemeldet, alle anderen als Helfer. Damit bekamen sie vom Roten Kreuz die Zufahrtsgenehmigung zum Camp und wurden am Polizeicheck durchgelassen.

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Dann war Ihre Arbeit doch nicht illegal?
Offiziell begründet wird es damit, dass es notwendig gewesen wäre, dass wir von einer professionellen Hilfsorganisation, die in Vucjak medizinische Hilfe leistet, eingeladen worden wären.

Die Anmeldung beim Roten Kreuz hat also nicht mehr gereicht?
Nein, sie wollten uns einfach raushaben. Fertig.

Was bedeutet das für Ihre Hilfsaktion?
Ab dem Zeitpunkt war vollkommen klar, dass egal, was ich hier tue, ob ich jemandem Schuhe gebe oder medizinische Ersthilfe leiste, das im Kanton Bihac eine Straftat darstellt. Ich müsste wohl damit rechnen, einen wesentlich höheren Strafzettel zu bekomme und wohl des Landes verwiesen zu werden. Deshalb mache ich gar nichts mehr.

Das klingt ja eher nach einer Ausrede, weil man Sie nicht haben wollte. Was steckt wirklich dahinter, denken Sie?
Ich habe die Augen der Medien in Deutschland und Österreich und damit auch in Italien und Frankreich auf Vucjak gerichtet. Ich habe dafür gesorgt, dass es eine Gruppe von bisher drei EU-Parlamentariern gibt - die aber sehr engagiert sind und die Gruppe vergrößern wollen - die sich dafür einsetzen, dass dieses Camp aufgelöst wird, die Menschen vernünftig untergebracht werden. Sie arbeiten auch gerade an einer Petition.
Ich habe aber in letzter Konsequenz nicht die geringste Ahnung, warum wir unsere Arbeit dort nicht fortsetzen dürfen. Ich habe dreieinhalb Monate wunderbar mit medizinischem Personal gearbeitet, auch wenn es trotzdem elend war. Jeder Patient, der bei uns behandelt worden ist, ist in einem besseren Zustand raus als er rein gekommen ist.

Vucjak
© Dirk Planert Flüchtlingslager Vucjak auf der Müllhalde

Was ist nun Ihr weiterer Plan?
Ich führe Gespräche mit Politikern, wie dem Bürgermeister, dem Ministerpräsidenten und verschiedensten Medien. Ich versuche also, das Rad herumzureißen. Die Wahrscheinlichkeit, dass mir das gelingt, ist aber ausgesprochen gering.

Warum?
Weil die Stadt Bihac bzw. das Gesundheitsministerium, die im Kern dafür verantwortlich sind, dass wir rausgeflogen sind, das Camp jetzt eine Woche ohne jede medizinische Hilfe gelassen haben. Und weil sie jetzt einen Kilometer entfernt eine Sanitätsstation installiert haben, wo an zwei Tagen die Woche ein bosnischer Arzt und zwei Krankenschwestern arbeiten.

Das heißt, es tut sich etwas, wenn eine Sanitätsstation errichtet wurde?
Nein, denn das wird für dieses Camp niemals auch nur im Ansatz ausreichen. Hunderte von diesen Menschen, die dort leben, haben offene Wunden durch Infektionen und den ganzen Dreck. Wenn diese Station also Mittwochs und Donnerstags offen ist, gibt es von Donnerstag bis zum nächsten Mittwoch keinen Verbandswechsel, keine Versorgung.

»In Bihac ist es den Menschen scheißegal, wie es dem Ungeziefer, denn so werden Flüchtlinge hier genannt, in Vucjak geht. «

Was sagen die Einwohner von Bihac selbst zu der Misere? Wie ist die Stimmung vor Ort?
In Bihac ist es den Menschen scheißegal, wie es dem Ungeziefer, denn so werden Flüchtlinge hier genannt, in Vucjak geht. Ich habe gerade mit einer Frau gesprochen, die in ihrem Privathaus 15 oder manchmal sogar 30 Flüchtlinge versteckt hält. Die müssen tagsüber verschwinden, sich irgendwo verstecken, weil regelmäßig die Polizei bei der Dame vorbeikommt. Wenn die Nachbarn Menschen mit dunkler Haut in ihr Haus gehen sehen, rufen die die Polizei. Die Frau ist völlig fertig mit den Nerven und hat ihr ganzes Geld ausgegeben, um diese Menschen zu ernähren. Sie will sie nicht im Stich lassen.

»Es gibt hier keine Humanität.«

Menschen werden aus Kaffees rausgeschmissen, weil ihre Hautfarbe nicht stimmt. Flüchtlinge werden 60 Kilometer westlich von Bihac aus Zügen und Bussen rausgeholt, wenn die von Sarajevo nach Bihac fahren obwohl sie bis Bihac bezahlt haben. Den Rest der Strecke müssen sie zu Fuß gehen. Es ist eine Straftat, einen Flüchtling im Auto mitzunehmen. Und jetzt ist es für mich eine Straftat, wenn ich einem Menschen helfe. Wissen sie, an was mich das erinnert? Was hier in Bihac passiert, ist absolut unglaublicher Rassismus. Es gibt hier keine Humanität.

Was passiert dann mit den Flüchtlingen, wenn die Polizei einschreitet?
Dann packen sie die Leute in einen winzigen Polizeibustransporter zusammen, die werden reingestopft bis keiner mehr reinpasst, und dann werden sie hochgefahren auf die Müllkippe, wo sie rausgeschmissen werden.

Wie ist der Zustand in Vucjak seither?
Das Rote Kreuz hat nur die Kapazitäten für ein Stück Brot am Morgen und am Nachmittags gibt es so eine Art Eintopf. Das ist alles viel zu wenig. Es ist keine Ambulanz mehr im Camp. Ich weiß von Flüchtlingen, dass sie nicht behandelt wurden.

»Da kann ich mir gleich ein Messer ins Herz stechen, das kommt aufs Gleiche raus. «

Waren Sie noch einmal im Camp – dürfen Sie noch rein?
Doch ich war noch einmal da, ich halte aber gerade aus strategischen Gründen die Füße still, denn wenn ich da jetzt hochfahre, habe ich sofort eine Traube von hunderten von Menschen um mich herum, die alle Hilfe brauchen. Und dann nichts tun zu dürfen, da kann ich mir gleich ein Messer ins Herz stechen, das kommt aufs Gleiche raus. Das tut als Mensch unfassbar weh.

Ist irgendeine Verbesserung der Lage in Aussicht?
Nicht in Bosnien. Ich habe mit dem IOM (Internationale Organisation für Migration) gesprochen und der sagt, das Problem ist, dass der Kanton Bihac kein anderes Gelände zur Verfügung stellt und dann kann der IOM natürlich auch kein Camp bauen. Es wäre aber zwingend erforderlich, dass dieses Camp aufgelöst wird, dass politischer Druck auf Bosnien gemacht wird und dass die EU eine verdammte Lösung findet, weil da werden Menschen sterben. In sechs Wochen ist der Winter da.

Anmerkung: Am Sonntag, den 6. Oktober, findet um 16.00 Uhr eine Solidaritätsbekundung vor der bosnischen Botschaft in Wien statt. Es wird gegen die unmenschlichen Bedingungen in dem Camp protestiert. Gefordert wird sofortige Hilfe oder eine Alternative für das Camp Vucjak.