Das Glück der neuen Vorstadtweiber

Hilde Dalik und Julia Stemberger spielen die "Neuen" in der ORF-Serie "Vorstadtweiber"

Hilde Dalik und Julia Stemberger spielen die "Neuen" in der ORF-Serie "Vorstadtweiber". Dass eine glückliche Beziehung mehr Arbeit ist als ein gepflegter Rasen, darüber sind sie sich einig.

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Hilde Dalik und Julia Stemberger © Bild: www.sebastianreich.com

Die lügen, intrigieren und denken nur an den eigenen Vorteil. Was mögen Sie eigentlich an den "Vorstadtweibern"?
Julia Stemberger: Bei manchen muss man sich tatsächlich auf die Suche nach Liebenswertem begeben, weil sie alle sehr schnell ihre Abgründe offenbaren. Was ich sympathisch finde, ist, bei aller Berechnung und Abgefeimtheit, dass sie doch alle verzweifelt versuchen, ihr Stück vom Glück zu erhaschen. Und ich habe Vergnügen daran, zuzuschauen, wie sie aufeinander zurennen und gegen Wände rennen, weil ich weiß, es knallt irgendwann, und ich will sehen, wie und wann.
Hilde Dalik: Ich mag die Menschlichkeit, die sie zeigen. Sie scheitern, schummeln sich durch und versuchen mit moralisch fragwürdigen Mitteln ihre Ziele durchzusetzen. Das ist, auch wenn es sehr zugespitzt ist, doch zutiefst menschlich.

Figuren wie Waltraud und Nicoletta bedienen sämtliche Vorstadtklischees. Gibt es solche Frauen tatsächlich? Kennen Sie welche?
Dalik: Mir wäre das noch nicht aufgefallen, aber mir sagen jetzt immer mehr Leute: "Hilde, ganz genau so wie in der Serie ist es wirklich!"
Stemberger: Ja, ich kenne eine Person, die würde so, wie sie ist, in die Serie passen. Die hat diese Eitelkeit, die aus Unsicherheit entsteht, ist sich dessen aber nicht bewusst. Für Menschen, die eitel sind, aber nicht darüber reflektieren können, wird das leicht zum Fallstrick.
Dalik: Das sind die, die auch nicht über sich lachen können.
Stemberger: Mit meiner Tochter, die ist jetzt 16 Jahre alt, hatte ich gerade ein interessantes Gespräch über Selbstbewusstsein. Sie hat festgestellt, das manche Schulkolleginnen so "wahnsinnig selbstbewusst" sind. Aber meistens haben doch gerade die, die so selbstbewusst tun, große Unsicherheiten, die sie damit kaschieren.

» Es ist okay, wirtschaftlich nicht von einem Mann abhängig zu sein«

Von der Vollzeitmutter bis zur Karrierefrau sind heute viele weibliche Rollenbilder gesellschaftlich akzeptiert. Was prägt denn das Frauenbild 2016 abseits von Klischees?
Stemberger: Das ist schwierig zu sagen, weil zum Glück heute Frauen selbstständig ihren Platz in der Gesellschaft bestimmen können. Dadurch hat das Bild der Frau von heute so viele Facetten wie noch nie. Der Film "Suffragette" von Sarah Gavron hat mir einmal mehr ins Bewusstsein gerufen, was für eine unglaubliche Errungenschaft diese Selbstbestimmtheit ist, die Frauen vor hundert Jahren für uns erkämpft haben. Auf dieser Basis können wir jetzt stehen und einen Schritt weitergehen. Dazu gehört auch, den vielen Kopftuchträgerinnen, die jetzt zu uns kommen, die Hand zu reichen und ihnen zu helfen, sich einzufinden in dieser Gesellschaft, ihnen zu sagen: Es ist okay, wirtschaftlich nicht von einem Mann abhängig zu sein.
Dalik: Diese Freiheiten behalten und ausbauen ist extrem wichtig. Wenn man an Hinweise denkt, wie jenen, dass wir besser nachts nicht mehr rausgehen und schon gar nicht im Minirock, wissen wir, dass es noch viel zu tun gibt. Wobei ich traditionelle Muster auch in mir finde. Es steckt zum Beispiel einfach in mir, dass ich mich um den Mann an meiner Seite kümmern möchte. Das hat meine Mutter mit meinem Vater gemacht und die Oma mit dem Opa. Da kann ich mir tausendmal vorsagen: "Ich bin eine eigenständige Schauspielerin." Dagegen kann ich mich nicht wehren und ich kümmere mich auch gerne.

Frau Stemberger, Ihre Tochter ist 16 Jahre alt. Welchen Weg soll sie für sich wählen?
Stemberger: Ihr Weg ist sicher dadurch geprägt, was ich ihr vorlebe. Sie hat eine Mutter, die sehr selbstständig durchs Leben geht. Freiheit und Selbstbestimmtheit sind für sie selbstverständlich. Mit genau dieser Freiheit kann sie sich natürlich später auch entscheiden, statt Karriere zu machen, lieber für ihre Kinder da sein zu wollen. Fanny soll das machen, wofür sie brennt, was ihr wirklich Spaß macht.
Dalik: Auch zu sagen, ich will mich mal um mich kümmern, statt großen Zielen nachzujagen, finde ich okay.
Stemberger: Gerade wenn man in Gegenden blickt, wo das nicht selbstverständlich ist, erkennt man, wie unglaublich reich uns diese Privilegien machen. Das bringt uns durchaus in eine gebende Position, ohne dabei überheblich zu sein.

»Diese Frau hat 50 Jahre lang keinem Mann die Hand gegeben«

Sie sprechen die Situation von Flüchtlingen in Österreich an. Sie haben eine syrische Familie aufgenommen, Frau Stemberger. Mit welchen Rollenbildern wurden Sie dabei konfrontiert?
Stemberger: Mit sehr traditionellen. Die Frau kümmert sich um die Kinder und jede Verantwortung abseits davon liegt beim Mann. Aber ich habe die Frau, unsere Freundin, auch bei der Hand genommen und ihr gesagt, dass es wichtig ist, dass sie allein U-Bahn fährt. Und das macht sie, weil sie versteht, dass diese Selbstständigkeit dazugehört, wenn sie Teil dieser Gesellschaft sein will.
Diese Frau hat 50 Jahre lang keinem Mann die Hand gegeben. Es gab dann eine unangenehme Situation, wo ein Mann sich dadurch brüskiert fühlte. Also habe ich ihr erklärt, dass es gut ist, in Österreich Männern die Hand zu geben. Sie hat die Hände vors Gesicht geschlagen und ist hochrot geworden. Für sie war das, als würde ich zu meiner besten Freundin sagen, es ist in Ordnung, auf der Straße die Hose runterzulassen. Am nächsten Tag hat sie dem Mann die Hand gegeben. Ich treffe so viele Menschen, die abfällig über die muslimische Religion sprechen. Ich habe Glück gehabt, herzensgute, offene Menschen zu treffen und hautnah mit ihrer Kultur warm werden zu können. Erst vor Kurzem haben wir über das Alte und Neue Testament und den Koran gesprochen und meine Freundin hat gesagt: "Wir kommen alle von Adam und Eva." Dazu kommt es aber nur, wenn Menschen nicht in die Defensive gedrängt werden, wenn man ihnen freundlich begegnet.

Sie haben mit Flüchtlingen eine Theatergruppe gegründet, Frau Dalik. Haben Sie Konflikte aufgrund der unterschiedlichen Frauenbilder erlebt?
Dalik: Nein, ich war in Flüchtlingsunterkünften mit hundert jungen Männern, die Disco gemacht haben. Die haben getanzt und gefeiert und ich wurde nie auch nur ansatzweise angeflirtet. Niemand war respektlos mir gegenüber oder hat sich geweigert, mir die Hand zu geben. Eher habe ich mal Grenzen überschritten, weil ich stürmisch jemand umarmt habe, weil ich der Überzeugung bin, körperliche Berührungen sind gut. Ich erlebe junge Frauen, die alle Deutschkurse machen wollen und einen Beruf lernen. Und ich habe traditionelle Werte gefunden, die unseren sehr ähnlich sind, wie die Familie. Nur hat die Familie in deren Kultur einen viel höheren Stellenwert, was ich aber sehr schön finde.

»Das hat mit Angst vor dem Leben zu tun«

Traditionelle Werte nach außen hochzuhalten, geht ja bei den Vorstadtweibern so weit, dass die alles tun für den schönen Schein. Klappt das denn, wenn eine Beziehung nur auf dem gemeinsamen Status basiert?
Stemberger: Es gibt sogar sehr viele Beziehungen, die auf dem Bewahren des Status basieren. Das hat mit Angst vor dem Leben zu tun, glaube ich. Wenn du Angst vor dem Leben hast und dich nicht mit dir selbst auseinandersetzen willst, klammerst du dich an äußerliche Werte, die ungefährlich sind. Ein Porsche bleibt ein Porsche und ein gepflegter Rasen ein Rasen. Das ist der Versuch, dem Chaos eines lebendigen Lebens zu entkommen.

Daraus resultieren dann oft Seitensprünge, weil doch etwas fehlt. Wie viel Untreue hält eine Beziehung denn aus?
Stemberger: Da muss man zwischen Funktionieren und Glücklichsein unterscheiden. Ich kenne Beziehungen, in denen Betrug stattgefunden hat, aber daraus resultiert nicht Glück. Beziehung braucht Vertrauen. Ich würde mich nie auf so ein Arrangement einlassen, weil ich finde, dass man sich nur mit offenem Herzen begegnen kann, wenn Vertrauen, Verlässlichkeit, Geborgenheit und Sicherheit gegeben sind.
Dalik: Es gibt aber auch Beziehungen, die gut gehen, weil man sich einen Teil seiner Sehnsüchte woanders erfüllt. Man findet sich auf einer Ebene, die glücklich bleiben kann, weil Unerfüllbares woanders ausgelebt wird. Aber für mich ist ein Seitensprung auch eher ein Hinweis, dass etwas schiefläuft in der Beziehung. Für mich stellt sich eher die Frage, was ich tun muss, um eine glückliche Beziehung zu haben. Welche Ängste muss ich überwinden? Wie kann ich an mir arbeiten? Was können wir gemeinsam besser machen?

Ist Beziehung auch Arbeit?
Dalik: An sich zu arbeiten finde ich positiv, ja. Und auch Abstand zu halten. Man muss ja nicht getrennt ins Bett gehen, aber es ist wichtig, dass jeder seinen eigenen Wünschen nachgeht, damit nicht der andere zur einzigen Selbstverwirklichung wird. Ein Abhängigkeitsverhältnis ist für mich eine Einbahnstraße. Frauen tendieren ja dazu, sich selbst über der Beziehung zu vergessen. Das kenne ich von mir, wenn ich merke, dass ich meine Wünsche zu sehr jenen des Mannes anpasse.
Stemberger: Da fällt mir sofort der Satz ein: "Liebe dich selbst wie deinen Nächsten." Das zu tun ist wesentlich. Denn erst, wenn ich mit mir so im Reinen bin und mich lieben kann, habe ich auch etwas zu geben. Ich sehe das wie ein Gefäß, das erst gefüllt werden muss, bevor etwas rausfließen kann. Wenn das klappt, besteht auch nicht die Gefahr, dass man sich über den anderen definiert oder der andere für die eigenen Defizite herhalten muss. Ist alles leicht gesagt, der Härtetest kommt, wenn man's ausprobiert.
Dalik: Interessant ist, welche Partner wir uns aussuchen. Das sind ja meistens welche, die für unsere Seele sehr schwierig sind, weil sie uns vor große Aufgaben stellen, weil sie uns auch verletzen. Das Blatt wendet sich dann, wenn man die Chance begreift, daran gemeinsam zu wachsen.
Stemberger: Es gibt dafür ein schönes Bild: Wenn man einander begegnet, hat jeder sein Hinterzimmer, in dem die ungelösten, schmerzlichen Dinge aufbewahrt werden. In einer Partnerschaft tut man gut daran, wenn man die Tür zu diesem Hinterzimmer ab und zu aufmacht, dem anderen etwas daraus zeigt, wenn die Zimmer begehbar werden.

»Das ist dann Abhängigkeit und keine Liebe«

Wer mehr liebt als der andere, ist schwächer, heißt es. Stimmt das?
Dalik: Das ist dann Abhängigkeit und keine Liebe. Liebe hat doch nichts mit Macht zu tun! Liebe verzeiht alles und Liebe will nichts. Wer mehr liebt, ist immer der Stärkere, weil er die besondere Fähigkeit hat, sein Herz ganz aufzumachen. Wenn ich verletzt wurde, habe ich immer gedacht: "Sieh es mit Liebe und Distanz." Das hat für mich immer funktioniert, zum Beispiel wenn ich eifersüchtig war. Stemberger: Aber man kann leicht in schwierige Situationen kommen, weil Liebe so viel erträgt, dass man auch ganz schön leiden kann dadurch. Und wenn die vorhin erwähnten Hinterzimmer geschlossen bleiben, glaube ich, begegnest du dir nicht wirklich, sondern spielst Machtspielchen.

Was schätzen Sie denn an einem Mann?
Stemberger: Wenn er sich mit sich selbst auseinandersetzt. Wenn er jemand ist, der alles nur in Ordnung und gut findet, keine Ecken an sich selbst findet, wo soll denn dann die Bereitschaft herkommen, mich mit meinen Schwächen zu hören? Aber das ändert sich mit den Jahren. Ich war früher viel eher bereit, mit einem Mann zusammen zu sein, der sich nicht mit sich auseinandersetzt. Da waren andere Qualitäten wichtiger. Heute könnte ich mir nicht vorstellen, mit einem Menschen viel Zeit zu verbringen, mit dem ich nicht auch interessant und amüsant reden kann. Ich möchte mich auseinandersetzen.
Dalik: Das teile ich komplett. Ich muss den nicht nur wahnsinnig gerne haben, sondern mich mit dem auseinandersetzen können und mit ihm lachen können.

ZUR PERSON

Hilde Dalik: Die 37-jährige Wiener Schauspielerin reüssiert am Theater ("Alma -A Show Biz ans Ende","Mein Kampf","Traumnovelle" ) ebenso wie im Kino ("Contact High","Die Werkstürmer") und ist Ensemblemitglied am Theater in der Josefstadt. Seit zwei Jahren unterstützt sie als Initiatorin von Theaterprojekten junge Flüchtlinge bei der Integration.

ZUR PERSON

Julia Stemberger feierte im Alter von 19 in "Herzklopfen" ihr Kinodebüt und arbeitete u. a. am Wiener Schauspielhaus, bei den Salzburger Festspielen, am Burgtheater, Theater in der Josefstadt mit Regisseuren wie George Tabori, Peter Zadek und Jürgen Flimm. Ihre Kino-und Fernseharbeit wurde mit dem französischen Darstellerpreis und der "Romy" prämiert. Julia Stemberger ist 51 und Mutter der 16-jährigen Fanny.

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