Vorbildsport verdient Hauptprogramm

Die Abschiebung aller Leibesübungen abseits von Skifahren, Fußball und Formel 1 in den Spartensender ORF Sport + ist falsch. Einerseits aufgrund eines umfassenden öffentlichen Auftrags, zum anderen aber auch wegen des Einschaltquoten-Potenzials.

von Medien & Menschen - Vorbildsport verdient Hauptprogramm © Bild: Gleissfoto

Leichtathletik (LA), Turnen, Radfahren, Triathlon und Rudern teilen ein Schicksal: Sie gelten nicht (mehr) als Fernsehsportarten. Diese geschäftliche Erkenntnis von Privatsendern ist auch dem quotengetriebenen ORF Befehl. Auf seinen Vollprogrammen sind nur noch Skifahren, Fußball und Formel 1 regelmäßige Event-Fixpunkte. Der Rest wurde zum Spartensender ORF Sport +abgeschoben, dessen Marktanteil sein Betreiber wohlweislich nur jährlich bekannt gibt: 0,5 Prozent 2021 (0,4 im ersten Halbjahr 2022).

Dort fanden nun die Europameisterschaften der eingangs genannten Sportarten aus österreichischer TV-Perspektive statt. Sie haben sich auch wegen der Fernseh-Geringschätzung zum Großereignis European Athletics alias Multisport-EM zusammengeschlossen - nach einem eher kläglichen Versuch 2015 in Baku, 2018 in Berlin und Glasgow noch mit Schwimmen und Golf, die es nun wieder allein versuchten. Doch Klettern, Kanu, Tischtennis und Beachvolleyball kamen für das Spektakel in München dazu. 176 Bewerbe in zehn Tagen. Jene der Leichtathletik bescherten ARD, ZDF und SRF 2 ein Dauerquotenhoch am Hauptabend: meist über 20, bei den Eidgenossen einmal 40 Prozent Marktanteil.

Das ist eine Folge der sportlichen Erfolge. Die deutschen Gastgeber hatten das beste Leichtathletikteam in München, die Schweizer waren in vielen spektakulären Bewerben weit vorn. Österreichs Läufer, Springer und Werfer blieben hingegen ohne Medaille. Für den hervorragenden 13. Rang in der Gesamtwertung der European Championships sorgten die Tischtennisspielerinnen und Kletterer -abseits des wochentäglichen Hauptabendprogramms -zwei Mauerblümchen im toten Fernsehwinkel.

Das ist ungerecht. Denn Österreich mit acht Medaillen auf Rang 1 und 2 bei Nationenwertungen im europäischen Vergleich ist bei Sommersportarten ein sensationeller Ausnahmefall. Doch die Schweiz, insgesamt 15., hat ihre elf Podestplätze mit Radfahren und in der Leichtathletik erreicht. Letztere ist ein Musterbeispiel für die Wechselwirkung von TV-Berichterstattung und Wettbewerbserfolg. Denn wie die ARD und das ZDF in Deutschland hat auch die SRG Läufer, Springer und Werfer nicht in einen Spartensender verräumt. SRF 2 - das Pendant zu ORF 1 -zeigt regelmäßig Weltklasse-Leichtathletik; unabhängig davon, ob Eidgenossen dabei mitmischen. Sie tun es aber mittlerweile mehr denn je.

Das hat auch damit zu tun, welche Vorbilder frei Haus geliefert werden. Als Kern der Olympischen Spiele rangierte Leichtathletik einst unter den Selbsterfahrungssportarten gleich hinter Fußball. Nach jeder Fernsehübertragung maßen sich umgehend die Kinder im Hof. Das fehlt heute -die Höfe voller Kinder und die regelmäßigen Übertragungen von Nacheifer-Sommersport abseits von Fußball. Doch Mediziner, Gesundheitsexperten und Politiker beklagen die mit jeder Generation wachsende Bewegungsarmut.

Der öffentlich-rechtliche Auftrag des ORF sollte auch in dieser Hinsicht neu gedacht werden. So abwegig es klingen mag: Fernsehen kann die Volksgesundheit verbessern. Weniger durch irgendwelche Bewusstseinswochen, sondern durch kontinuierliche Programmgestaltung. Die Rezepte von einst müssen dabei nicht zwangsläufig die schlechtesten sein. Ein Musterbeispiel dafür ist "Fit mit Philipp" mit Philipp Jelinek. Die aus der Pandemie entstandene Billigsendung ist eine zeitgemäße Neuauflage von Ilse Bucks "Fit mach mit". Sie war damit 33 Jahre lang, bis 1998, die Vorturnerin der Nation.

Statt vom öffentlich-rechtlichen Auftrag ist in Zeiten von Denglish oft vom Public Value, also dem gesellschaftlichen Wert die Rede. Dazu gehört auch die zeitlose Devise "Mens sana in corpore sano", also "ein gesunder Geist in einem gesunden Körper". Und wenn das als Antrieb nicht ausreicht, mögen die enorm hohen Einschaltquoten von ARD, ZDF und SRF 2 eine Anregung sein, Leichtathletik und andere Sportarten wieder in ORF 1 auszustrahlen. Sein höchster Marktanteil am Abschlusstag der European Championships lag bei acht Prozent, während ORF Sport +der Zugkraft dieser Multisport-EM in München nicht annähernd entsprechen konnte. Die ARD kam bis auf 21, SRF 2 gar 34 Prozent.