Vom Friedensmarsch ins schwere Gerät

Wieder einmal sind es die Künstler, die sich unter dem Hohngelächter der anderen gegen verheerende Fehlentwicklungen wenden. Die Pazifisten von einst befeuern derweil den Dritten Weltkrieg.

von Heinz Sichrovsky © Bild: NEWS

Der Name der deutschen Grün-Politikerin Bettina Jarasch ist Ihnen vermutlich nur bekannt, wenn Sie Satiriker sind und zur Erleichterung der einschlägigen Berufspflichten ein Archiv angelegt haben. Dann werden Sie unter dem Datum 21. März 2021 einen ernsten Zwischenfall auf offener Bühne des Bundesparteitags dokumentiert finden: Die arme Frau hatte auf die Frage, was sie als Kind gern geworden wäre, das I-Wort in den Mund genommen. Sie spuckte es ohnehin gleich wieder aus, sowie sie im Verlauf eines Empörungssturms darauf verwiesen wurde, dass man "Indianerhäuptling" nicht sagen darf. Jetzt pflanzt sie als eine Art Stadträtin im Berliner Senat auf der vielbefahrenen Friedrichstraße Bäume und die darob aufgebrachte Bevölkerung.

Weshalb ich Ihnen das erzähle? Weil die deutschen Bundesgrünen, die einst führend für die Friedensbewegung standen, gerade unter Triumphgeheul mit dem Tomahawk wedeln wie unsereins beim Indigenenspielen in der Frühphase der Vorpubertät. Der kluge, besonnene Scholz, leider nicht Inhaber eines Löwenherzens, konnte dem Drängen der kleinen Koalitionspartner auf die Dauer nicht widerstehen. Jetzt werden schwere Waffen in die Ukraine geliefert. Grüne und FDP haben uns dem Dritten Weltkrieg mehr als nur eine Idee nähergebracht. In dieser meiner subjektiven Einschätzung bestätigen mich Menschen, die ich bewundere, seit ich denken kann. Alice Schwarzer, die Initiatorin des Offenen Briefs, hat für die Sache der Frauen mehr erreicht, als die Gender- und Diversitätshysteriker*innen mit Stern seither an Nebenschauplätzen verheizen konnten. Martin Walser hat Weltliteratur geschaffen, Alexander Kluge dem deutschen Film für ein halbes Jahrhundert das Gesicht gegeben. Lars Eidinger ist ein erster Schauspieler, Gerhard Polt ein großer Kabarettist. Aber mehr haben sie nicht gebraucht, als die Harmonie des Kriegsgeheuls mit dem Misston dialektisch unterfütterter Argumentation zu zerstören. Pazifisten stehen in so miserablem Ruf wie lang nicht mehr, und die Allianzen sind zumindest beobachtenswert: Das polnische Halbfaschistenregime, das vergewaltigten ukrainischen Frauen die Abtreibung untersagt, hetzt die Nato nach Kräften auf, sich bis an die Weltkriegsgrenze ostzuerweitern, und wird dafür belobigt. Das Regiment Asow, allseits als Symbol des ukrainischen Freiheitskampfs gefeiert, ist selbstverständlich vor völkerrechtswidrigen Zugriffen russischer Kriegsverbrecher zu schützen. Tatsache ist aber auch, dass es sich um eine Bande Neonazis handelt, die Putins abstrusen Vorwand für den Überfall unheilvoll beglaubigt.

Und alles andere als unplausibel erscheint mir, was Pazifisten, denen ich mich zugehörig fühle, seit ich ein politischer Mensch bin, zu bedenken geben: Die vergleichsweise mikroskopische Ukraine gegen eine Atommacht hochzurüsten, verlängert im sozusagen glimpflicheren Fall das Sterben auf beiden Seiten. Im schlimmeren befeuert es die Ereignisse bis zum allgemeinen Untergang, an dem ich ungern solidarisch teilhätte. Also: Alle Anstrengungen für den Frieden, keine für den Krieg. Deshalb gilt mein Beifall der neutralen Schweiz, die Munitionslieferungen aus ihrer Produktion auf welchem Weg auch immer untersagt. Wogegen, Sie haben es erraten, die Grünliberalen Einspruch erheben, freilich ohne Aussicht auf eine entscheidungsbefugte Mehrheit.

Die "Grünliberalen", bei uns wie in Deutschland in zwei Parteien organisiert, sind in Wahrheit eine untrennbare, unzertrennliche Einheit: der etwas linkere und der etwas rechtere Flügel der Bobo-Fraktion. Die Funktionärsnullen, die sich jetzt an Alice Schwarzer und Martin Walser reiben, müssten unter regulären Bedingungen unhörbar bleiben. Aber die Bedingungen sind nicht mehr regulär, wenn, wie in Deutschland, zwei kleine Parteien den Wahlsieger vor sich hertreiben, weil zwischen den großen keine Gesprächsbasis mehr besteht.

Das gibt den kleinen übrigens auch bei uns unproportionale Macht. Das politische Geschehen bestimmen derzeit: der unsichtbare Vizekanzler; der bereits dritte überforderte Gesundheitsminister; die von Plagiatsvorwürfen bedrängte (aber im Gegensatz zur mittlerweile rehabilitierten Aschbacher noch im Amt befindliche) Justizministerin, in deren Ressort quasi der Bürgerkrieg tobt; sowie die Thronfolgerin, die wegen mutmaßlich rechtswidriger Anordnungen im Bereich des Straßenbaus einer Ministerklage entgegensieht. Wer die Neos für vernünftiger hält, weiß nicht, wovon er redet: Pinkerseits erwärmt man sich derzeit für die Reform der Neutralität bis zur Unkenntlichkeit, die Annäherung an die Nato und das Bekenntnis zur Kernkraft. Also kurz gesagt für den Weltuntergang. Das Programm reicht zwar nur, um mit den Impfdolmen um Platz fünf zu rittern. Aber beim Zustand der Großparteien ist es nur eine Frage der Zeit, wann der nächste Mehrheitsbeschaffer durchdreht.

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