Das Passionsspiel
vom Wechselbälgchen

Über die faszinierende Wiederentdeckung der Kärntner Erzählerin Christine Lavant

von
Volkstheater - Das Passionsspiel
vom Wechselbälgchen

Die 1973 verstorbene Kärntnerin Christine Lavant wird in den Literaturgeschichten als eminente Lyrikerin geführt. Eine Außenseiterin, immer an der Kippe zur seelischen Zerrüttung, schuf sich in dunklen, schweren, sprachmächtigen Gedichten Auswege aus dem Lebensdilemma. Als Epikerin ist sie kaum bekannt. Umso überwältigender ist die Wirkung der schmalen Erzählung "Das Wechselbälgchen", in der es in Wahrheit um die Hölle des Andersseins geht. Ein behindertes uneheliches Kind steht der Konsolidierung der Lebensumstände seiner Mutter, der Magd Wrga, entgegen: Es muss weg, darauf besteht der Stiefvater im Wahn seines Aberglaubens. Am Ende ertrinkt es in einer Falle, die man ihm gestellt hat, in der aber das wohlgeratene kleine Schwesterchen fast zu Tode gekommen wäre, hätte sich der "Wechselbalg" nicht selbstaufopfernd in den Bach gestürzt. Das ist nicht leicht zu dramatisieren, doch die bedeutende Autorin und erfahrene Dramaturgin Maja Haderlap entledigt sich ihrer Aufgabe respektabel, im zweiten Teil sogar mit Bravour.

Als Regisseur wurde der ingeniöse Puppenspieler Nikolaus Habjan verpflichtet, und das ist der Glücksgriff der Aufführung. Der Bühnenbildner Jakob Brossmann hat drei antike Museumsvitrinen auf die Szene gestellt. Dort verharren die Personen als bewegungslose Exponate, ehe sie sich beleben, um das Passionsspiel vom kleinen, gequälten Mädchen Zita aufzuführen. bjan wirkt diesmal nicht selbst mit, doch sind die Schauspieler bis zur Perfektion in die Führung der lebensgroßen Klappmaulpuppen eingewiesen. Das Wechselbälgchen ist eine solche Puppe, ebenso der Pfarrer und die kleine Schwester in ihrer monströsen Hübschheit. Die Magie der Puppenszenen ist gewaltig, das Geschehen schwingt sich in ihnen sofort zu der dem Text eigenen irrationaler Grausamkeit auf. Hier zeigt sich ein Paradoxon: In der Rolle der Mutter scheitert Seyneb Saleh mit ihrem schneidigen Bühnennorddeutsch an Christine Lavants Sprache. Weder Dialekt noch Idiom sind hier gefordert, wohl aber Farbe und Tonalität, mit einem Wort: schauspielerische Musikalität. Als Animatorin und Sprecherin des "Wechselbälgchens" aber leistet dieselbe Schauspielerin Herausgragendes. Florian Köhler und Claudia Sabitzer entledigen sich ihrer Aufgaben authentischer als der gleichfalls achtbare Gabor Biedermann.

In den Außenbezirken aber findet zum zweiten Mal in Serie – nach Stefanie Reinspergers atemberaubenden Handke-Monolog – dasspannendste Theater Wiens statt.

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