Hoffmanns zu
ausführliche Erzählungen

Heinz Sichrovsky über eine verdienstvolle Neuproduktion, die sich selbst im Weg steht

Nicht selten begegnet man als Kritiker einem schmerzlichen Vorgang: Eine Produktion, die viele Ingredienzien des Gelingens in sich trägt, steht sich im Gefolge übermäßiger Ambition selbst im Weg. So ergeht es dem Geniewerk „Hoffmanns Erzählungen“ in der Volksoper: Dramaturgischer Ehrgeiz dehnt die Aufführung, die an sich ideal für den Einstieg eines jungen oder sonstwie ungeübten Publikums wäre, bis zur Mühseligkeit.

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Hoffmanns Erzählungen © Bild: (c) barbara pálffy / volksoper

Offenbachs Werk ist Fragment und doch vollkommen: Der Witz und der todsüchtige Schrecken der Novellen des deutschen Schwarzromantikers E. T. A. Hoffmann sind in ein feines Libretto und eine geniale Partitur gegossen: solch einer Symbiose aus deutscher Romantik und französischer Eleganz begegnet man sonst nur noch bei Heinrich Heine. Da das Werk in der Aufführungspraxis stets aus seinen verstreuten Bestandteilen collagiert wird, haben kluge Dramaturgen schon vor Längerem eine glänzende, praktikable Fassung erstellt. Nun aber geht der Ehrgeiz auf Vollständigkeit, und auch in der Volksoper werden Striche geöffnet, die sich bisher als segensreich erwiesen haben. Ein unstrittiger Gewinn ist die Wiedereinführung der Muse, die den Dichter Hoffmann durch seine vom Teufel sabotierten Liebensgeschichten geleitet. Weshalb die zugehörige Szene in der Volksoper aber gleich zwei Mal – am Beginn und am Schluss – geboten wird, ist nicht beantwortet. Auch im Gefolge anderer Erweckungen erreicht die Aufführung beinahe vier Stunden Länge, und das tut ihr, bei allen Meriten, nicht gut.
Die Meriten liegen vor allem im Musikalischen. Rätselhaft anhaltende Kommunikationsprobleme zwischen Orchestergraben und Chor abgerechnet, leistet das Orchester unter Gerrit Prießnitz imponierende Arbeit, was Raffinesse und romantische Klangentfaltung betrifft. Mirko Roschkowski entledigt sich der höllisch schweren Titelpartie ohne Tadel, mit leichtem, aber durchschlagskäftigem Tenor. Hätte man, in Befolgung einer einst klug geübten Praxis, den Giulietta-Akt vor den tenoral mörderischen Antonia-Akt gestellt, hätte man sich womöglich die zweite Pause erspart. Beate Ritters auch gestalterisch erstklassige Olympia ist eines der Höhenwunder, die das Publikum in berechtigte Euphorie versetzen. Ihren von Hoffman adorierten Kolleginnen Kristiane Kaiser und Anja-Nina Bahrmann ist nichts Abträgliches nachzusagen. Die Muse (in der Gestalt des Kumpanen Niklaus) liegt für Juliette Mars etwas hoch, und der vorzüglich singende und agierende Josef Wagner ist für die Bösewichter eine Spur zu wenig dramatisch. Aber das sind Marginalien, zumal auch Christian Drescher als Tenor-Buffo feine Arbeit leistet.
Richtig, die Inszenierung von Renaud Doucet und die Ausstattung von André Barbe: Hier ist vieles gelungen und zuvieles gewollt, was bekanntlich der Tod des Witzes auf der Bühne ist. So tritt eine Art Krawallfrohsinn, die sonst eher den karnevalistischen Vorkommnissen in Köln und Mainz eignet, an Stelle des Hintersinns. Nichtsdestoweniger: Die beherzte Kürzung um eine halbe Stunde müsste für die Etablierung eines repertoiretauglichen Glanzstücks genügen.

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