ANALYSE
Am 1. Mai hat FPÖ-Obmann Herbert Kickl seine bisher wichtigste Rede als Parteipolitiker gehalten. Es handelte sich um eine Weichenstellung mit dem Ziel, Regierungschef zu werden. In einem Bierzelt in Linz versuchte er aber nicht, sich als zukünftiger Bundeskanzler zu empfehlen. Er stellte sich vielmehr als "Volkskanzler"-Kandidat dar. Genauer: nicht als einer, der, einmal im Amt, nach oben diene und nach unten trete. Sondern als einer, der es genau umgekehrt mache, der den Bürgerinnen und Bürgern diene und ein "System" trete.
Dass der Ansatz demokratiefeindlich ist, nimmt Kickl in Kauf: Ein "Volkskanzler" gibt vor, dass es zu jeder Frage ein Interesse aller gibt, das der Kanzler kennt und auch umsetzt. In Wirklichkeit ist das jedoch unmöglich, geht es ausschließlich darum, einen Volkswillen zu unterstellen und daraus eine Ermächtigung abzuleiten, sich über alles hinwegzusetzen. Zum Beispiel auch über Recht, wie es Kickl ja schon einmal zum Ausdruck gebracht hat, als er als Innenminister 2019 erklärte, dass Recht der Politik zu folgen habe - und nicht Politik dem Recht, wie es sich gehören würde.
Seit dieser Rede achten Freiheitliche mit Kickl konsequent darauf, den "Volkskanzler" zu bewerben und mitzuteilen, was er alles tun würde. "Abzockpolitik" bei Autofahrern einstellen oder "unkontrollierte Völkerwanderung" beenden etwa. Oder den Vertreter der EU in Wien, Martin Selmayr, mit einem "One-Way-Ticket" nach Brüssel zurückschicken. Gesamteindruck: Es soll ein starker Mann sein.
Umso bemerkenswerter ist, dass die Strategie aufgehen könnte: Sie ist dazu angetan, die Erfolgsaussichten von Kickl zu erhöhen und Mitbewerber wie den amtierenden Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) sowie SPÖ-Chef Andreas Babler, die ohnehin schon zu kämpfen haben, noch weiter davon zu entfernen, ihm beizukommen.
Grundsätzlich hätte der Freiheitliche ja miserable Karten: Er wird von einer Masse abgelehnt. 70 Prozent misstrauen ihm. Ein Problem? Nicht für Kickl: Er pfeift umso mehr darauf, sich als klassischer Kanzlerkandidat zu inszenieren, präsentiert sich stattdessen als "Volkskanzler", der ein "System" bekämpft, womit Parteien und Politiker sowie die EU und die Nato, aber auch Medien und demokratische Verhältnisse gemeint sind, wie sie von Teilen der Bevölkerung wahrgenommen werden: negativ.
Es handelt sich um Nicht-und Protestwähler, die man nicht anspricht, wenn man sich staatsmännisch im Sinne eines Bundeskanzlers gibt. Also bietet sich Kickl als das glatte Gegenteil davon an. Damit sind mehr als die knapp 30 Prozent möglich, die die FPÖ heute im Durchschnitt der Umfragen hält. Das weiß er, es ist sein Kalkül: Geht es auf, wird es schwieriger für Bundespräsident Alexander Van der Bellen, aber auch für Türkise, ihn als Regierungschef zu verhindern.
ZAHL
Viele wollen weniger arbeiten
SPÖ-Chef Andreas Babler hat die bundespolitische Bühne mit einer populären Forderung betreten: Sein Ruf nach einer 32-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich stößt in der Bevölkerung auf breite Zustimmung. ÖVP-Politiker wie Wirtschaftskammer-Präsident Harald Mahrer scheinen mit Gegenargumenten kaum Gehör zu finden. Mahrer warnt vor einem "Drama für das ganze Land": Arbeitskräftemangel würde sich verschärfen, Wohlstand wäre gefährdet.
Einer Masse ist die eigene Lebensqualität wichtiger. 57 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher würden sich sogar für eine 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich aussprechen. Das hat eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Gallup ergeben. Zumindest ebenso bemerkenswert ist, dass laut jüngstem Mikrozensus der Statistik Austria ein Sechstel aller Erwerbstätigen den Wunsch hat, weniger zu arbeiten -und bereit wäre, dafür auch Lohnkürzungen hinzunehmen.
Dabei sind auch Teilzeitbeschäftigte berücksichtigt. News hat die Zahlen für Vollzeitbeschäftigte: Hier handelt es sich um 675.000 bzw. 22 Prozent. Bei Frauen ist der Anteil mit einem Viertel ebenso deutlich größer wie bei Akademikerinnen und Akademikern mit 29 Prozent. Relativ niedrig ist er mit 13 Prozent bei all jenen, die maximal einen Pflichtschulabschluss haben. Naheliegende Erklärung: In dieser Gruppe ist das durchschnittliche Einkommen so bescheiden, dass finanzielle Einbußen gerade in Zeiten der Teuerung eher unmöglich sind.
Nicht nur ÖVP-Politiker stellen sich gegen Bablers Forderung nach einer 32-Stunden-Woche. Auch der burgenländische Landeshauptmann Hans Peter Doskozil (SPÖ) lehnt sie ab: "Mit Träumereien Politik machen kann ich nicht", sagt er. Bloß: Es handelt sich um einen Traum, den sehr viele teilen. Sie umzustimmen erfordert offenbar bessere Argumente, sofern man findet, dass das erforderlich ist.

BERICHT
Von wegen Informationsfreiheit
Informationsfreiheit soll das Amtsgeheimnis ersetzen. Ob sie den Ansprüchen der Bürgerinnen und Bürger gegenüber staatlichen Stellen gerecht werden kann, ist jedoch fraglich. Zum einen sind weitreichende Einschränkungen geplant, zum anderen wird es voraussichtlich keine Informationsfreiheitsbeauftragten geben. Sie wären jedoch notwendig.
Ein Beispiel aus Vorarlberg unterstreicht dies. Dort wären Bürgermeisterinnen und Bürgermeister schon heute verpflichtet, ihren Bezug offenzulegen. In 44 von 96 Gemeinden ist dies jedoch ignoriert worden. Auch auf Nachfrage der "Vorarlberger Nachrichten" hat sich das nicht überall geändert. Die Zeitung berichtet vielmehr, zum Teil patzige Antworten erhalten zu haben. So sei ein Redakteur aufgefordert worden, sein Einkommen zu nennen.
Auf Bundesebene ringen ÖVP und Grüne mit Länder- und Gemeindevertretern seit Jahren um ein Informationsfreiheitsgesetz. Sollte es jemals kommen, wird es nicht zuletzt darauf ankommen, dass sich Menschen, denen eine Auskunft verweigert wird, an Informationsfreiheitsbeauftragte wenden können, die ihnen helfen, zu ihrem Recht zu kommen. Sonst wird das nur eine halbe Sache.
In den meisten deutschen Bundesländern gibt es Informationsfreiheitsbeauftragte. In Österreich sind keine geplant. Hier sollen sich vielmehr Gemeinden durch die Datenschutzbehörde beraten lassen können, wie sie mit Anfragen wissbegieriger Leute umgehen sollen. Das ist auch ein Signal. Es zeigt, was wirklich gepflegt werden soll: Anliegen der Ämter, nicht der Öffentlichkeit.
Johannes Huber, Journalist und Blogger zur österreichischen Politik, www.diesubstanz.at